Volker Kriegel: Lost Tapes Mainz 1963-1969

Volker Kriegel: Lost Tapes Mainz 1963-1969

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2 CDs, ArtHaus Musik / Jazzhaus Label, Jazzhaus 1010726

Eigentlich ist der Titel „Lost Tapes“ missverständlich. Die Aufnahmen sind ja nicht verloren gegangen, sondern nur vergessen worden, ehe nun das Arthaus Musik / Jazzhaus – Label sie wieder herausgegeben hat. Zudem ist der 2003 verstorbene Zeichner, Geschichtenerzähler und Jazzgitarrist in der Jazzwelt immer noch präsent, auch wenn das Mood Label nicht mehr existiert, auf dem unter anderem die Einspielungen des United Jazz & Rock Ensembles herausgebracht wurden.

 

Von der Soziologie zur Musik
Dass Kriegel einst Soziologie und Psychologie studierte und das Studium abbrach, um sich ganz und gar der Musik zu widmen, wissen wenige. Dass er auch ein begnadeter Zeichner war, wird häufig ebenfalls vergessen. Sein zeichnerischer Nachlass ist nun Teil der Sammlung des Deutschen Museums für Karikatur und Zeichenkunst in Hannover.

Nur kurz sei noch darauf eingegangen, dass er nicht nur Teil des Dave Pike Set war, sondern auch mit Klaus Doldinger auf der Bühne stand und wohl das bekannteste Gesicht des deutschen Jazz Rock war. Kriegel hatte – das merkt man bereits auf den Aufnahmen der 1960er Jahre – keine Berührungsängste zu Pop und Rock. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass man auf den sogenannten Lost Tapes „Norwegian Wood“ von Lennon/McCartney findet.

Kriegel in Aufnahmeboxen des SWR
Dem beigefügten Booklet der Doppel-CD können wir entnehmen, dass es sich bei den Titeln dieser CDs nur um eine Auswahl handelt. Kein Wunder, denn im Archiv des SWR in Mainz gab es 57 einzelne Boxen mit Aufnahmen Kriegels aus der Zeit zwischen 1963 und 1969. Es war eine Zeitspanne, in der sich Kriegel noch nicht ganzlich als Profimusiker verstand. Denn erst 1968 erfolgte der Schritt in Richtung professioneller Musikerkarriere, also das musikalische „Coming out“!

Erst spielte Kriegel in einem Trio, ehe er es zu einem 4tett umbaute und mit dem Vibrafon eine Klangfarbe ins Boot holte, die sich bestens mit dem Sound seiner Gitarre verstand. Wer von Volker Kriegel redet, der wird die „vergessenen Aufnahmen“ sicherlich schätzen, auch wenn es darüber hinaus nicht nur die legendären Auftritte mit Albert Mangelsdorff, Jon Hiseman, Charly Mariano, Ian Carr, Barbara Thompson und anderen Musikern beim United Jazz & Rock Ensemble gibt. Erinnert sei auch an das Album „Houseboat“ mit dem Vibrafonisten Wolfgang Schlüter, dem Bassisten Hansi Stroer und anderen Virtuosen des Jazz.

Der frühe Volker Kriegel
Doch nun zum frühen Volker Kriegel: Dass Kriegel Kriegel ist und nicht Jim Hall oder Joe Pass verdeutlichen schon die ersten Aufnahmen von 1963. Dennoch kann Kriegel nicht von sich weisen, dass die genannten Gitarristen auch sein Spiel auf den sechs Saiten beeinflusst haben. Kriegel spielt ohne elektronische Effekte und vermeidet offensichtliche Effekthaschereien. Bisweilen schrammelt er auch mal über die Saiten. Stets aber überzeugt er durch ein quirliges Spiel, das zu einem puren Hörgenuss wird. Im Hintergrund agiert der Bass, den Helmut Kampe in den ersten erhaltenen Tonaufnahmen zupft. Dieter Matschoß bearbeitete dabei die Schießbude, auch in „Django“, eine Nummer von John Lewis, die sehr lyrisch anmutet und bisweilen auch Rhythmen von Rock 'n Roll durchscheinen lässt.

Acht Titel wurden von den genannten Musikern im Jahr 1963 eingespielt, darunter auch Klassiker wie der Saint Louis Blues und der Thelonious Monk Titel „Rythmn-A-Ning“. Selbst ein Evergreen wie „Autum Leaves“ forderte Kriegel und seine Kumpanen heraus. Mit ein wenig Latin Groove kommt „Tabu“ daher, eine Komposition von Margarita Lecuona). Zwischenzeitlich klingt Kriegels Gitarrenspiel bei diesem Stück wie purer Flamenco! Doch das ist nur ein Intermezzo. Sonst jazzt Kriegel mit allen Finessen und so, wie es sein Fingerspiel erlaubt. Ab und an fühlt man sich beim Zuhören auch an eine der erfolgreichsten Instrumentalbands der 1960er Jahre erinnert, an „The Ventures“.

Bei einem Titel wie „Israel“ scheint es so, dass sich alles auf Kriegel fokussiert, und die übrigen Mitspieler eher in einer Rolle des Begleitens verharren. Nicht bedächtig-bluesig ertönt der Saint Louis Blues, sondern eher flott als Tanznummer gesetzt. Wozu braucht man ein Klavier, wenn man Monk spielen will, Gitarre und Bass können das allemal, so auch im Stück „Rhytmn-A-Ning“. Plink, plank, plonk – Monk auf den Saiteninstrumenten war in den 1960er Jahren etwas Ungehörtes.

Dass Kriegel überhaupt der Jazzgitarrist wurde, der er war, verdankte er auch der Kaderschmiede des Jazz, dem Frankfurter Jazzkeller sowie den dortigen Begegnungen mit den Brüdern Mangelsdorff, um nur einige Jazzer der ersten Stunde zu nennen. Kriegel mischte schon sehr seinen Interpretationen von Klassikern des Jazz und den eigenen Kompositionen eine rockige Note bei, was gewiss dem Zeitgeist den 60er und 70er Jahre geschuldet war. So klingt dann „Autumn Leaves“ auch nicht mehr nur elegisch.

Mit „Three Seconds“ klingt der erste Set der beiden aktuell erschienenen CDs aus. Anschließend erfolgen mit „Tea and Rum“ sowie „Morandi“ Aufnahmen von 1967. Dabei sind dann auch eigene Kompositionen Kriegels zu hören. Die Zeit der Adaptation von Jazzklassiker scheint somit vorbei.

In den Aufnahmen jener Zeit kommt dem Vibrafonisten Claudio Szenkar eine zentrale Rolle bei der Herausbildung des Klangbilds zu. Dabei begnügt sich Kriegel wie in „Tea and Rum“ zeitweilig mit der Rolle des Rhythmusgebers. Typisch für Kriegel scheinen auch die unterschiedlichen Tempi seiner Stücke. So ist nach dem flott gespielten „Tea and Rum“ das Stück „Morandi“ ein eher bedächtig angelegter Song.

Traffic Jam und Soul Eggs
Dass das eigene Repertoire 1968 bis 1969 noch nicht ausreichte, um ein vollständiges Programm zu bestreiten, unterstreicht die zweite vorliegende CD, für die der Vibrafonist Claudio Szenkar Titel wie „Five By Four“ und „Royal Harp“ beisteuerte. Für einen Teil der Aufnahmen stand der Flötist Emil Mangelsdorff mit Kriegel auf der Bühne und setzte zarte Noten über das kraftvoll rockige und jazzige Gitarrenspiel. Man lausche dazu mal „Traffic Jam“, von Kriegel komponiert, der mit „Soul Eggs“ eine andere Köstlichkeit seiner Jazzküche darreicht. Mit dem Frank-Zappa-Titel „Mother People“ verabschiedet sich Kriegel von seinen Zuhörern. Damit zeigt er uns ganz deutlich, dass Rock und Jazz Brüder und Schwestern im Geiste waren und bis heute sind, oder?

© ferdinand dupuis-panther

Informationen

Label

ArtHaus Musik / Jazzhaus Label
www.jazzhaus-label.com
http://arthaus-musik.com/jazzhaus/cd.html

Musiker

Volker Kriegel
http://www.volker-kriegel.de/


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