Broede Schirmer Unit - Berlin, Germany - imaginary moments in a city

Broede Schirmer Unit - Berlin, Germany - imaginary moments in a city

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FMR

Was darf man von dieser Berliner Formation erwarten?  Free Improv, Composition and Contemporary (Free) Jazz! Und all das angesichts einer her ungewöhnlichen Instrumentierung des Ensembles: Mundharmoninka, Klarinette, Piano, Schlagzeug und Bass. Das Ensemble besteht aus Bernd Oezsevim am Schlagzeug, Tobias Schirmer, der Bassklarinette und Klarinette spielt, dem Bassisten Jan Roder und dem Pianisten und Mundharmonikaspieler Matthias Broede.  Letzterer ist der Gewinner des WDR-Jazzpreises 2013.

Über Broede sagte einst Toots Thielemans: „The world of Matthias Broede – schooled musician pianist composer harmonica virtuoso... I can only applaud Matthias and his friends. I enjoy and I learn…“. Auch David Liebman äußerte sich zu Broede und zwar wie folgt: „This is a very interesting and different approach to using the harmonica in jazz. With a giant like Toots around, it is hard to escape the shadow but Matthias has accomplished that admirably.…“ Tobias Schirmer ist ausgebildeter Klarinettist und Saxofonist aus Berlin und studierte am „Jazz Institut Berlin“. Er spielte unter anderem mit KOKTOB und mit PUZZLE zusammen. Zu dieser Band gehören auch Satoko Fuji und Natsuki Tamura.

Kein Unbekannter in der Berliner Jazzszene ist der Bassist Jan Roder, der seit 1995 in Berlin heimisch geworden ist. Zusammengespielt hat er u. a. mit Alexander v. Schlippenbach, Aki Takase, Rudi Mahall, Irene Schweizer, Ulrich Gumpert, Ernst Ludwig Petrowski, Thomas Borgmann, Peter Brötzmann, Wolfgang Puschnig, Axel Dörner, Wlli Kellers, Oliver Steidle, Tristan Honsinger und  Olaf Rupp. Zu seinen Veröffentlichungen zählen beispielsweise „Jan Roder – Doublebass", “Die Enttäuschung – Vier Halbe”, “Monk's Casino”, “Die Dicken Finger – Argyromanie”, “Soko Steidle – Played Ellington”, “ Rennert-RoderSchabata-Soyka – Viererlei”, „ Tama-Goldfish“, „JR3 - Happy Jazz“.

Der Schlagzeuger Bernd Oezsevim tourt seit Jahren mit  Gunter Hampel und stand mit Perry Robinson, Matthias Schubert, Steve Swell, Florian Weber, Randy Brecker, Uri Caine, Nguyên Lê und Silke Eberhard auf der Bühne. Auch er ist auf zahlreichen CDs zu hören so mit Theo Jörgensmann auf der Veröffentlichung des Contact 4tett „Full House“.

Das Ensemble begleitet uns durch (ein imaginäres) Berlin, so wie es der gemeine Tourist noch nie gesehen und entdeckt hat. Da besucht man zum Schluss nicht Westend unweit vom Theordor-Heuss-Platz und Heerstraße, sondern „West Ending“. Das Planufer steht ebenso auf dem Zettel wie der Monbijou-Park in Mitte unweit der Museumsinsel. Und auch beim Humboldt schaut man vorbei, sprich im Humboldthain. Oder besucht man die Uni und entdeckt den steinernen Humboldt? Und wo bitte schön ist der Kaisersteg? - das fragt sich gewiss der eine oder andere Zuhörer. Nein, ein altes Berliner Adressbuch oder einen aktuellen Stadtplan braucht man nicht, um sich zurechtzufinden, wenn man der Broede Schirmer Unit lauscht; nur die Ohren, die muss man schon aufstellen, um den (musikalischen) Weg richtig einschlagen zu können, auch wenn es um das 660 m lange Planufer am Landwehrkanal in Kreuzberg geht.

Mit einem „Spaziergang am  Planufer“ macht das Album auf. Also geht es mit allerlei Klangschattierungen ins nunmehr angesagte Kreuzberg, einst eher das vernachlässigte „Schmuddelkind der Stadt“, bevor die IBA den Bezirk in Besitz nahm und chic machte. Ob all das für die Musiker von Belang ist, wissen wir nicht. Wir begnügen uns mit dem Zuhören von „Prominent Promenade on Planufer“. Sanfter Klarinettenklang dringt zunächst ans Ohr des Zuhörers. Im Gefolge ist der Bass unterwegs. Danach erleben wir eine gewisse dramatische Inszenierung, wenn Matthias Broede in die schwarzen und weißen Tasten des Pianos greift. Wie sich zersetzende Nebelschwaden mutet an, was der Klarinettist Tobias Schirmer zum besten gibt. Hintergründig lässt Jan Roder die Saiten des Basses schwirren, derweil auch Diskantes zu vernehmen ist. Kristalline Strukturen werden ausgebreitet und von Sonorem überlagert. Einer der Höreindrücke ist der von kabbeligem Wasser. Na ja, vom Planufer aus hat man ja den Blick auf den Landwehrkanal. Jan Roder beteiligt sich an dem Gang am Planufer mit einem quirligen Solo. Und dann ist Matthias Broede auch auf der Mundharmonika zu erleben, dabei wiederholende Klangschleifen spielend.

Müsste man einen steten Verkehrsfluss im urbanen Dschungel klanglich untermalen, könnte man Broedes Sequenzen sehr gut einarbeiten. Zugleich erleben wir dialogische Momente zwischen Harmonikaspieler und Klarinettisten. Ist es Verständigung oder Konfrontation; ist es Zustimmung oder Widerrede?  Nein, in die Fußstapfen von Toots Thielemans tritt Matthias Broede nicht. Dazu ist sein Duktus viel zu sehr dem Free Jazz und der freien Improvisation verpflichtet.  Und was erzählt uns Tobias Schirmer in seinem nachfolgenden Solo? Begleitet er einen Flaneur oder Touristen, die eine Location fürs Partymachen unter freiem Himmel suchen? Immer wieder findet sich das Ensemble als Einheit zusammen, wenn diese Einheit auch streckenweise aufgebrochen wird, u.a. durch das dynamische Spiel von Matthias Broede auf der Mundharmonika, deren lang gezogene Klangschwaden das Ende des Stücks bestimmen.

Auf geht’s im Weiteren nach Mitte, wenn „Two im Monbijou“ auf dem Programm steht. An eine Ballade muss man denken, wenn man die Sequenzen aufnimmt, die Matthias Broede vorträgt. Was beschreibt uns der Musiker mit seiner Mundharmonika? Die Dämmerung im Montbijou-Park am Rande der Berliner Flanier und Ausgehmeile in Berlin Mitte? Einen lauen Sommerabend, an dem sich der Park zum Treffpunkt entwickelt? Das unstete Leben rund um den Park, der keine grüne Oase ist, sondern öffentlich genutzter Raum? Nervöses Klarinettenspiel folgt auf die Mundharmonika-Sequenzen. Die Klavierbegleitung erscheint so dynamisch wie das Wasser eines Wehrs, das rollend in die Tiefe rauscht. Als Bild zur Musik tauchen unter Umständen auch Szenen aus „Sinfonie der Großstadt“ auf. Alles ist im steten Fluss. Unruhe ist das Gebot der Stunde. Stillstand gibt es nicht, nur Vorwärtsstreben – und das suggeriert die Musik nachhaltig.

Auch in „Sommerfrische Humboldt“ ist nichts von Beschaulichkeit zu spüren. Im Fokus des Stücks steht erneut die Mundharmonika, die aquarellierte Klangbilder malt. Dabei folgt ihr die Klarinette mit ein wenig samtener Stimme. Auch in diesem Stück wird der Bass nicht ignoriert, sondern bekommt entsprechende Aufmerksamkeit in einer solistischen Darbietung. Das klingt erdig, lässt an informelle Malerei in Brauntönen denken, also an Gestenreiches. Beim weiteren Zuhören drängt sich die Vorstellung auf, Kurt Weill habe hier und da Pate für die Musik gestanden. Anmutungen von Blues sind ins Stück auch eingeflochten worden, dank an Matthias Broede. Im zweiten Teil des Stücks scheint man eher die hereinbrechende Nacht in der Großstadt zu erleben. Späte Heimkehrer und Vergnügungssüchtige sind noch unterwegs von Kneipe zu Kneipe. Die Lichter der meisten Wohnungen sind erloschen. Nur die Laternen spenden Licht. So könnte man die musikalische Erzählung interpretieren. Doch dieses nächtliche Intermezzo, wenn man so will, ist nur eine Momentaufnahme, ehe dann wieder die unbändige Natur einer Großstadt eingefangen wird. Diesmal durch  umherschweifende Klänge des Klarinettisten charakterisiert.  Kaskadierend angelegt ist das Spiel des Pianisten Matthias Broede, der auch perlende Läufe in sein Spiel einstreut. Je länger er spielt, desto eher sieht man einen Malstrom. Das wird auch durch den Schlagwerker unterstrichen, der für allerlei Wirbel sorgt. Doch was ist mit der Sommerfrische? Mit „West Ending“ endet die Berlin-Erkundung: Klanggefälle präsentieren der Pianist und der Klarinettist. Versetzt folgen sie einander. Jan Roder hingegen setzt mit seinem Bass Ankerpunkte Schritt für Schritt. Unruhe verbreitet der Schlagwerker. Man ist geneigt, ein musikalisches Chaos mit Klangstürzen auszumachen. So fragt man sich schließlich: Was ist eigentlich los in „West Ending“?

© ferdinand dupuis-panther


Infos

https://matbroedemusike.wixsite.com/matthiasbroede
http://matthiasbroede.com
https://matthiasbroede.bandcamp.com

Tracks
1. Prominent Promenade on Planufer 11:55
2. Two im Monbijou 03:24
3. Viktoria Goes Parking 03:17
4. Sommerfrische Humboldt 15:55
5. Please Cross at Kaisersteg ! 03:49
6. West Ending 09:00


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