Peter Brötzmann, Majid Bekkas & Hamid Drake - Catching Ghosts
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ACT
Die Veröffentlichung des Albums ist schon etwas älter, aber immer noch als ikonisch zu bezeichnen, auch wegen eines der Protagonisten, nämlich Peter Brötzmann.
Wie kein anderer hat der 2023 verstorbene Saxofonist den europäischen Free Jazz geprägt. Zu Lebzeiten las man: „Brötzmann, dieser 1941 geborene, immer noch amtierende wildeste Mann des deutschen Jazz, dessen berühmteste Aufnahme nicht von ungefähr „Machine Gun“ heißt, weil ihr Urheber seit nunmehr sechs Jahrzehnten nicht nachlassende Saxophon-Salven gegen gemütliche Hörgewohnheiten abschießt“ erfuhr spät, aber immerhin den Ehrenpreis der Deutschen Schallplattenkritik für sein Lebenswerk.
Eine Ikone des Jazz und der Weltmusik ist Majid Bekkas: Der 1957 geborene Guembri-Spieler und Sänger aus Marokko singt auf dem Album traditionelle Gnawa-Lieder zu seiner tieftönenden Kastenhals-Laute. Es sind Lieder, die gute Geister anrufen und böse vertreiben und mit ihren ständig wiederkehrenden Bass-Patterns eine trance-artige Energie entfalten können.
Schließlich ist da noch der Drummer Hamid Drake, der im Hintergrund für die steten Energieströme sorgt. Gemeinsam bringen sie uns traditionelle Gnawa-Musik zu Gehör, allerdings durch einen Jazzfilter, Free-Jazz-Filter nebst Weltmusik. Das Album ist im Übrigen ein Live-Mitschnitt. Das mitgeschnittene Konzert fand im Rahmen der Berliner Festspiele / Jazzfest Berlin 2022 statt.
Das Album lebt durch die dichte und fein abgestimmte Kooperation der drei Musiker. Da wird der Gesang von Bekkas mit Klarinettenklängen verbunden, die Brötzmann zu verdanken sind. Man hört die Guembri, ein Saiteninstrument ohne große Resonanz und zudem das intensive Schlagwerk von Drake. Drake lässt uns mit seiner Art Drumming an traditionelle afrikanische Trommler denken, die uns in Trance versetzen.
Gleich zu Beginn des Albums dringt der eher flache und wenig voluminöse Klang der Guembri an unser Ohr. Durchdringend setzt Brötzmann bei „Chalaba“ sein Saxofon ein, nicht röhrend, kehlig oder überdreht, sondern eher ritualisierte Musik vortragend. Doch dann fallen die Schranken, die Motive zergehen und Brötzmann „quält“ die Klänge seines Instruments. Wiederkehrende Klangmuster und Klänge, die aggressiv und aufgeregt sowie erregt erscheinen, sind im Weiteren wahrzunehmen. Dazu gibt es die Guembri zu hören, die in ihren Klangstrukturen beschränkt bleibt. Im Hintergrund vernehmen wir verstetigtes Tick-Tick-Tick-Tick, dank an Hamid Drake. Darüber erhebt Bekkas seine Stimme. Formelhaft mutet an, was vokal vorgetragen wird. Man könnte auch von einem Narrativ reden, das aber der Übersetzung bedarf. Als Begleiter des Gesangs ist Brötzmann mit „aufgekratzter“, röhrender und erregter Stimme zu hören. Dabei bildet er ein stimmliches Gegengewicht gegen den Gesang und den Guembri-Klang. Teilweise ist dabei Brötzmann auch mit seiner Klarinette unterwegs, die dicht an den Gesangslinien geführt wird, andererseits aber auch so klingt, als würde sie aus der Fassung geraten.
Nach dem Eröffnungsstück, das länger als eine Viertelstunde dauert, folgt das kürzere Stück „Mawama“. „Mawama“ ist dem heiligen Moussa gewidmet, der zwischen Himmel und Meer zu finden ist und deshalb eine blaue Farbe hat. Und dann folgt „Haradou-chia“ (Hamdouchia). Es ist ein spirituelles und mystisches Lied aus dem Ort Sidi Ali Ben Hamdouch in einem 5/4-Rhythmus. Wie ein Stadtrufer mutet an, was Brötzmann zu sagen hat, teilweise sonor und weich gezeichnet, aber stets kraftvoll. Wir können ein Auf und Ab in den Klangfolgen wahrnehmen. Schnelles Getrommel ist Teil des Arrangements. Und auch „Schlagwerknebel“ wird eingebracht. Knurrig-knarzig äußert sich Brötzmann im Verlauf des Stücks. Wie ein Bass mit Klangbeschränkungen bringt sich Bekkas mit seiner Guembri ein. Und dann erhebt Bekkas obendrein seine klagende Stimme. Man muss bei dem Gesang auch an Beschwörungsformeln und Riten denken, oder? Tempozunahmen sind Teil des Arrangement, zu dem Brötzmann das schwirrende Saxofon beifügt. Eine gewisse Monotonie liegt im Gesang, der gemeinsam mit der Rhythmisierung des Stücks, geeignet ist ähnlich wie bei Sufi-Zeremonien in Jaktationen zu verfallen, wäre da nicht Brötzmann mit seinen Klangfacetten. Bläst er seine Klarinette, so haben wir Schlangenbeschwörer vor Augen, die allabendlich in Fez das Publikum unterhalten. „In dem Stück ‚Balini‘, dem Schlussakkord des Albums, danken Gnawa Gott dafür, diese Musik spielen zu können und gute Schwingungen (‚vibes‘) im Leben zu verbreiten.“, so lesen wir es im Begleittext zum Album.
© fdp 2025
Musicians
Peter Brötzmann tenor & alto saxophone, clarinet
Majid Bekkas guembri & voice
Hamid Drake drums & percussion
Tracks
01 Chalaba 16:11
02 Mawama 7:11
03 Hamdouchia 14:01
04 Balini 5:33
All music Gnaoua traditionals















