Simon Camatta: Im Gespräch mit dem aus Essen stammenden Schlagzeuger

Mit elf Jahren bekam der in Essen geborene Simon Camatta ein Schlagzeug geschenkt; und seither sitzt er hinter seiner Schießbude, nicht nur bei 'Camatta Monk'. Diese kleine „Brassband“ hat sich Material des Bebop-Pianisten Thelonious Monk vorgenommen und darüber Paraphrasierungen und freie Improvisationen gesetzt. Mal sind es jagende Saxofonduette, die der Zuhörer vernimmt, mal eine signalartige Trompete. Das Spiel steigert sich bisweilen in ein Brass-Crescendo von Dialog und Konfrontation. Camattas Schlagzeugspiel setzt dabei hintergründige Rhythmusakzente.

Das deutsch-italienische Quartett um Camatta bestehend aus dem Trompeter Flavio Zanuttini, dem Tenorsaxofonisten Julius Gabriel und dem Baritonsaxofonisten Florian Walter hat Monk-Kompositionen wie „Ugly Beauty“ und „Bye-Ya“ ebenso bearbeitet wie „Introspection“. Doch der überaus umtriebige Simon Camatta spielt auch in anderen Formationen eine Rolle, ob im Oktett 'Rabatz!' oder im 'Trio Shorter' oder bei 'Knu'. Insgesamt an zehn Bands ist Camatta beteiligt, auch wenn er mal nur Snare spielt. Mit 'Knu' heißt es keine Kompromisse zu machen und ganz auf freie Musik zu setzen, also ein Gegengewicht zu „Monk-Melodien“ mit „Überformungen“, bei denen der Zuhörer mit eingängigen Melodiepassagen wie bei 'Bye-Ya' erst einmal mitgenommen wird, um dann auch den weiteren Weg der Improvisation mitgehen zu können. Bei 'Knu' hingegen mischen sich ab und an elektronische Soundspielereien mit harten Beats und Saxofonstakkatos. Camatta spielt aber auch in einem Ensemble namens 'Das Große Ding' – kein Bankraub, sondern der musikalische große Wurf – mit. Aus einem Pool von 15 Musikern treten immer acht gemeinsam auf. Dabei werden nicht Kompositionen frei überspielt, sondern bestenfalls abgesprochene Konzepte in freie Musik umgesetzt. Beim Zuhören erinnert das stark an Arbeiten von Alexander von Schlippenbach oder Peter Brötzmann. Schließlich aber hört man Camatta auch als Solisten, der die Trommelfelle streichelt.

Wenn Du den Begriff Jazz hörst, was assoziierst du damit?

S. C.: Natürlich die ganze traditionelle Jazzmusik, so wie ich sie kennengelernt habe, Art Blakey, Thelonious Monk, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Max Roach, aber auch die Weiterentwicklung in den 60er Jahren durch Miles Davis oder Art Ensemble of Chicago. Das ist für mich auch Jazz. In die Neuzeit übersetzt, ist das eine bestimmte Art, an Musik heranzugehen. Das schließt sowohl Kompositionen wie Improvisationen ein. Jazz bedeutet aber auch große Freiheit zu haben, aber es kommt schon aus der Tradition.

Anknüpfend an deine Ausführungen folgt für mich die Frage nach den Wurzeln des Jazz, sprich Jazz ist für dich eher afroamerikanische als europäische Musik, oder

S. C.: Nee, da kommt es her, aber ich würde schon sagen, dass es universell gilt. Spätestens ab den 60er Jahren hat Jazz auch in Europa eine eigenständige Stimme erhalten. Ich glaube, dass es generell in der Kunst und Musik um Persönlichkeit geht, und so kann man denn bestimmte Genres nicht bestimmten Kontinenten oder Städten zuordnen, weil es ja auf den persönlichen Ausdruck ankommt und nicht auf die Herkunft oder den Lebensort. Im Jazz ist ja besonders der persönliche Ausdruck von Bedeutung, und der kann ja überall stattfinden.

Wann machte es eigentlich „klick“ und du wusstest, Jazz das ist mein Ding? Mit Beginn des Schlagzeugspiels oder später?

S. C.: Es war eigentlich ein fließender Übergang. Ich habe schon immer gerne in den verschiedensten Kontexten improvisiert oder gejammt, und das entwickelte sich dann ganz natürlich zum Jazz. Dort hat Improvisation ja einen höheren Anteil als in der Popmusik. Es war ein fortlaufendes Beschäftigen mit Musik. Die Improvisation war ein wichtiger Teil.

Welche Art von Musik hast du denn gehört, als du dich mehr und mehr mit Jazz beschäftigt hast?

S. M.: Die „Klassiker“ waren die Ersten, die ich als Jugendlicher so kannte, aber dann hat es sich mit dem Forschen darüber, was es sonst so gibt, aufgefächert. Ich hatte eine sehr große New-York-Downtown-Szene-Phase . Dazu fallen mir Namen wie Jim Black und Chris Speed ein. Das hat mich sehr fasziniert. Dann hatte ich eine Phase mit Free Jazz aus Chicago wie dem Art Ensemble oder Fred Anderson und Hamid Drake. Die ECM-Plattenproduktionen haben mich schon immer fasziniert, gerade auch die frühen Aufnahmen. Ich habe einige Schallplatten von meinem Vater wie die erste Scheibe 'Gateway'. Da war ECM noch sehr auf experimentierfreudigem Jazz ausgerichtet, so bei den ersten 100 Alben, würde ich sagen. Es war alles sehr freigeistig, z. B. die erste Jack DeJohnette-Soloplatte oder die Duo-Platte von Keith Jarrett und Jack DeJohnette. Das fand ich alles sehr spannend.

Du hast ja sehr früh mit dem Schlagzeugspiel angefangen. Bis du denn auch mit Musik und insbesondere mit Jazz aufgewachsen?

S. C.: Ich bin sehr viel mit Musik aufgewachsen, weil mein Vater auch Musiker ist. Er hatte eine große Schallplattensammlung, zu der ich freien Zugang hatte. Mit Jazz konkret bin ich nicht aufgewachsen, aber in einem sehr breit aufgestellten musikalischen Elternhaus. Mein Vater hatte eben die besagten ECM-Platten zum Beispiel 'Bitches Brew' von Miles Davis.

Gab es jemals eine Weggabelung, an der du dich für Rock versus Jazz entscheiden musstest?

S. C.: Nein, die Entscheidung treffe ich heute auch noch nicht. Ich würde mich, wenn ich es denn müsste, als Jazzschlagzeuger bezeichnen, aber ich spiele auch Rock, während ich Jazz spiele. Das trenne ich nicht so.

Hörst du anderen Schlagzeugern zu und tüfftelst dann deine eigenen Rhythmussprünge und -läufe sowie Sound-Akrobatiken aus?

S. C.: Na klar, aber nicht nur Schlagzeugern, sondern generell Musikern. Ich kopiere das nicht eins zu eins, indem ich Sachen heraushöre und transkribiere. Es ist eher eine Herangehensweise an Musik oder eine bestimmte Soundästhetik, die ich mag, so zum Beispiel von Jim Black. Da schaue ich eher, wie die ihr Schlagzeug stimmen, wie bestimmte Sounds klingen und Ähnliches. Ich höre aber auch schlagzeuglose Musik sehr gerne.

Warum und was fasziniert dich so an Thelonious Monk? Was führte denn zu 'Camatta Monk', sprich zur Musik der 1960er Jahre?

S. C.: Was mich fasziniert, ist die Tatsache, dass man es sofort heraushört, und wenn Leute einen eigenen Stil bekommen, obwohl sie wie Monk recht traditionellen Jazz gespielt haben. Das heißt, egal ob es die Komposition oder die Improvisation ist, man hört sofort, dass es Monk ist. Ich mag die Art der Kompositionen und das Rhythmische darin und zudem das auf den ersten Blick einfach Erscheinende der Kompositionen. Diese Kompositionen haben eine gewisse rhythmische Griffigkeit. 'Camata Monk' ist der Spaß am Verbinden von der eher swingenden Musik mit der total freien Improvisation. Wir wechseln das radikal ab. Wir arrangieren Teile, aber andere lassen wir komplett frei. Ich habe es gerne, wenn der Free Jazz auch swingt. Außerdem habe ich Spaß an Brassband-Besetzungen. Schlagzeug und Bläser – das ist für einen Schlagzeuger herrlich, wenn man viel Platz zum Spiel hat.

Ich weiß wohl, dass Monk, zum Beispiel 1966, auch mit Coltrane zusammengespielt hat, also Brass kein Fremdkörper in Monks Kompositionen war und ist. Dennoch die nachstehende Frage: Wie schafft ihr den Übergang von den Pianopassagen Monks zum Röcheln, Schmatzen, Kreischen und Gurren eurer Saxofone? Also: Wie viel Monk ist in 'Camatta Monk' oder wie viel Camatta ist in 'Camatta Monk'?

S. C.: Wir spielen ja schon die Themen, die sind meist arrangiert, auch für die drei Bläser. Das Arrangement bedient dabei auch die Harmonien, die sonst der Part von Monks Klavierspiel sind. Die Improvisationen folgen teilweise einer bestimmte Linie, sind aber auch komplett frei. Da gibt es dann Absprachen, wie wir an Sachen herangehen. Die Themen sind also arrangiert und der Vibe der Improvisationen bisweilen auch. Der Rest passiert ad hoc. Dadurch ist sehr viel Persönliches aller vier Musiker in 'Camatta Monk'.

In den 30er bis in die 60er Jahren war Jazz Popmusik, es war Tanzmusik. Man traf sich zum Tanz, konnte die Musik mitsummen oder bei Vocal Jazz auch mitsingen, flirtete, trank heftig und landete, wenn es dann klappte, gemeinsam im Bett. Diese Entwicklung des Jazz ist jäh abgebrochen. Hast Du eine Erklärung dafür, dass Jazz nicht mehr populär ist, sondern eher ein Nischendasein fristet?

S. C.: Das ist eine Entwicklung, die sich über Jahre abgezeichnet hat. Das fing ja schon mit dem Bebop an, als die Leute nicht mehr dazu tanzten oder auch tanzen durften. Dann ging es mit Cool Jazz wieder in eine andere Richtung. Doch heute wird wieder zu Jazz getanzt. So Sachen wie die, die der Tenorsaxofonist Maceo Parker bei der James Brown Band gemacht hat, das ist ja auch vom Jazz beeinflusst. Auch im Funk und Boogaloo findet man Jazzelemente. Dazu wird heute wieder getanzt. Worauf weniger getanzt wird, das ist Swing, aber das ist ja auch erneut im Kommen. Es ist ja viel mehr Musik dazugekommen, viel mehr funktionalere Tanzmusik wie elektronische Musik.

Du spielst ja auch freie Musik mit 'Knu' und dem 'Großen Ding'. Ist das deine zweite Leidenschaft, das freie Spiel?

S. C.: Ja, na klar. Ich spiele gerne komponierte Musik. Ich spiele ja auch bei 'The Dorf' mit und das ist großenteils komponierte Musik. In sogenannten normaleren Formationen spiele ich gerne Kompositionen, wenn die gut sind. Standards spiele ich eigentlich nur bei 'Camata Monk'. Es kommt auf die Musik an. Ich brauche beides, freie Musik und komponierte Musik. Ich finde beides spannend.

Könntest du ein wenig das Konzept der freien Gruppen erläutern? Gibt es ein Mindestmaß an Absprachen? Und wenn ja, in welcher Weise? Ihr spielt ja nicht einfach los und schaut dann, was sich ergibt, oder?

S. C.: Teils schon. 'Das Große Ding' ist ein Kollektiv, was einen festen Kern an Musikern aus Köln und Essen umfasst. Da treffen wir uns und spielen dann darauf los. Wir haben aber auch schon mal Kompositionskonzepte ausgearbeitet, die wir dann nicht live eins zu eins anwenden, sondern da improvisieren wir nur. Bei 'Knu' ist es so, dass wir improvisieren. Da aber jeder der drei Musiker spezielle Vorlieben hat, ist dann die Improvisation ganz anders als beim 'Großen Ding'. Wir haben uns bei 'Knu' auch gesagt, wir wollen kurze Improvisationen spielen. Wir wollen nicht, wie es im Free Jazz sonst üblich ist, 40 Minuten am Stück spielen. Wir spielen lieber zehn Mal vier Minuten. Uns geht es darum, eine oder zwei Ideen schön auszuspielen. Wir packen unser Spiel in ein Songformat, sodass wir, wenn sich der erste Schluss anbietet, auch aufhören. Wir schrecken auch nicht vor Disco, Groove, Rock oder sonst etwas zurück. Wir sind wirklich total offen für alles.

Worin siehst du die Zukunft von Jazz?

S. C.: Ich glaube, es ist wichtig, dass diese Musik draußen passiert. Ich erlebe es sehr oft, wenn man vermeintlich radikale und anstrengende Musik in anderen Kontexten spielt, so vor jungen Leuten in Kneipen und Clubs, dass die Musik sehr positiv aufgenommen wird. Es ist wichtig, dass diese Musik gespielt wird, nicht immer nur im Rahmen von Jazz Clubs.

Ich danke dir für das Gespräch.


Text und fotos: ferdinand dupuis-panther

Informationen

Homepage

http://simoncamatta.de

Hörproben / Audio

https://soundcloud.com/simoncamatta
http://www.dasgrosseding.yolasite.com/
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CD/Vinyl

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Namen, die im Interview erwähnt wurden:

Art Blakey (dr)
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