Peter Lehel: Gespräch mit dem Karlsruher Saxofonisten






Peter Lehel begann mit elf Jahren mit dem Saxophonspiel. Zwischen 1988 und 1996 studierte er Jazz und Popularmusik an den Musikhochschulen in Stuttgart und Budapest. Zu den Formationen, mit denen Peter Lehel in Clubs und auf Theaterbühnen zu hören ist, gehören sein Quartett, aber auch das von ihm initiierte Jazz Ensemble Baden-Württemberg, bekannt von der Einspielung „Doors without words“. Seit 1993 ist er Mitglied der Gruppe Pipes & Phones mit dem Stuttgarter Organisten und Komponisten Peter Schindler und der vor allem in Südkorea populären Band SaltaCello. Zu erwähnen ist auch die Zusammenarbeit mit dem argentinischen Bandoneonspieler Dino Saluzzi. Mit dem Hoppel Hoppel Rhythm Club engagiert Lehel sich für die pädagogische Vermittlung des Jazz an Kinder. Lehel arbeitete außerdem als Komponist und Arrangeur u. a. für die Klarinettistin Sabine Meyer, die Klarinettisten Wolfgang Meyer und Paquito D’Rivera und die Hammondorgel-Virtuosin Barbara Dennerlein.

Seit mehr als einem Jahrzehnt ist Lehel Dozent für Jazz / Harmonielehre / Improvisation und Bigband an der Musikhochschule Karlsruhe. Betrachtet man den Werkkanon des süddeutschen Saxofonisten, so fällt auf, dass er auch im „kammermusikalischen Jazz“ zuhause ist und dabei auch das musikalische Erbe von Béla Bartók, Zoltan Kodály, Franz Schubert, Johannes Brahms, Felix Mendelssohn Bartholdy, Claude Debussy, Maurice Ravel und Sergei Rachmaninoff in seine Kompositionen und Arrangements integriert.

Anlässlich eines Konzerts mit Musik von John Coltrane im LWL Museum für Kunst und Kultur (Münster) hatte ich Gelegenheit, Peter Lehel zu treffen und mit ihm ein Interview zu führen.





War die Wahl für das Saxofon als Instrument eine bewusste Entscheidung? Was waren die Gründe für die Wahl?

PL: Das sind, wie es im Leben so spielt, eher Zufälle gewesen. Ich lebte in einem kleinen Dorf, und meine Oma hat dann irgendwann gemeint, als ich acht Jahre alt war, der Bub, der lernt jetzt ein Instrument. Da sie den Klarinettenlehrer gut kannte, hat man mir eine Klarinette in die Hand gedrückt. Das Klarinettenspiel hat mir sehr viel Spaß gemacht. Ich war wohl auch nicht sehr ungeschickt, sodass man mir mit 10/11 ein Altsaxofon gegeben hat. Das hat mich sofort gepackt.

Dann haben wir auch Glenn Miller und solche Sachen gespielt, auch Billy Vaughn. Danach bin ich ein bisschen zur Rockmusik mit Supertramp und Pink Floyd gekommen. Mit 15 war ich zum ersten Mal in New York City und habe mir Saxofonplatten gekauft. Das erste, was ich gehört habe, war John Coltrane mit „I want to talk about you“. Am nächsten Tag bin ich in ein Musikinstrumenten-Geschäft gegangen und habe mir ein Tenorsaxofon gekauft. So ist die Liebe zum Saxofon entstanden. Nachfolgend habe ich mich dann auch bis zum Abitur täglich bis zu acht Stunden damit beschäftigt.


Worin liegen die Stärken bzw. Schwächen des Saxofons im Gegensatz zu anderen Instrumenten wie Klarinette oder Trompete?

PL: Im Grunde genommen sehe ich hauptsächlich Vorteile. Das Tenorsaxofon ist sehr stark; es ist aber auch sehr sonor. Es kann in die Tiefe gehen; durch die Überblastechnik kommt man aber auch ganz nach oben. Es hat sehr viel Power. Es ist wie alle Saxofone virtuos spielbar. Es gibt eine große Tradition im Jazz mit vielen unterschiedlichen Klängen von Coleman Hawkins, Ben Webster, Lester Young über Sonny Rollins, Dexter Gordon, John Coltrane, Michael Brecker und immer so weiter; eine große Geschichte, auf die man sich berufen kann, was sehr hilfreich ist. Der einzige Nachteil, den Saxofone generell haben, wenn man aus der klassischen Musik kommt, ist die Tatsache, dass sie nicht so einfach leise zu spielen sind. Es bestehen auch Intonationsschwierigkeiten. Viele Jazzmusiker intonieren nicht sehr gut. Das sorgt für jemand, der wie ich auch mit der Klassik aufgewachsen ist, hier und da mal für Schwierigkeiten. Das ist der Grund, warum viele klassisch ausgebildete Musiker nervös werden, wenn Jazzmusiker zum Beispiel im Orchester mitspielen.


Ist das Saxofon das Instrument des Jazz schlechthin? Also Jazz gleich Saxofon, Saxofon gleich Jazz? Warum? Adolphe Sax hat es ja eigentlich für Militärkapellen entwickelt.

PL: Na ja, das Saxofon hat ja wirklich eine spannende Geschichte und wir können dem Jazz danken, dass das Instrument so populär geworden ist. Gleichwohl gibt es auch sehr viele klassische Musiker, die das Instrument entdecken. Sehr viele Komponisten schreiben extrem interessante Werke für Saxofon. Das heißt, da gibt es ein bisschen ein Umkippen in eine andere Welt. Natürlich ist das Saxofon immer noch im Jazz präsent, teilweise hier und da auch in der Popmusik. Die klassische zeitgenössische Musik hat das Saxofon jetzt aber auch für sich entdeckt. Und eigentlich hat der Adolphe Sax schon davon geträumt, dass sein Instrument auch ins Orchester, ins Symphonieorchester kommt. Aber da gab es Intrigen, schwierige Zeiten, Probleme mit der Instrumentenlobby, und als Belgier in Paris war es halt schwierig.


Wann bist du erstmals mit Jazz konfrontiert worden? War es ausschließlich Coltrane, wie eingangs von dir erwähnt?

PL: Na, es war zunächst mal Coltrane. Es gab damals fast keine Transkriptionen, kaum Bücher, kein YouTube, wo man sich das ansehen konnte, und ich habe zu gekauften Langspielplatten versucht, mitzuspielen, um den Sound, den Spirit zu erfassen, nur langsame Stücke. Schnelle Stücke habe ich nicht gepackt. Nach einiger Zeit habe ich gedacht, ich müsse Coltrane mal weglegen. Es war mir einfach zu schwierig. Dann habe ich Charlie Parker entdeckt. Seine Musik ist auch nicht wesentlich unkomplizierter. Das hat aber neue Dimensionen erbracht. Ich habe eigentlich danach mich in alle Saxofonisten eingelesen und deren Musik studiert. Der eine hat mir mehr gefallen als der andere. Dexter Gordon hat mir sehr gut gefallen. Das war leichter verständlich. Ich bin aber immer wieder auf Coltrane zurückgekommen, bis heute. Er ist immer wieder Inspirationsquelle.


Was macht das Besondere von Coltrane aus?

PL: Für mich sind es der Sound und die Ernsthaftigkeit; diese völlige Überzeugung, ich muss das tun, natürlich auch die Spiritualität.


Und das unterscheidet ihn von Saxofonisten wie Paul Desmond, Gerry Mulligan oder Cannonball Adderley, um nur einige Namen fallen zu lassen?

PL: Das sind alle auch großartige Musiker, zum Beispiel der genannte Paul Desmond. Der hat mir eine ganze Weile nicht so gut gefallen. Ich dachte, das ist ja ein schlechter Klarinettenton, wie der am Altsaxofon klingt. Mittlerweile denke ich, wenn ich ihn höre, dass das unfassbar ist, wie er gespielt hat. Er spielte mit einer Lässigkeit. Das Hören verändert sich auch. 15Jährige sind auf der Suche, sind beeinflussbar, und Coltrane hat mich einfach berührt. Man kann das Berühren nicht wirklich erklären. Sonny Rollins ist großartig, hat mich aber nie so berührt wie Coltrane.


Würdest du dich als musikalischen Grenzgänger zwischen Pop, Rock, Jazz und Klassik bezeichnen? Wenn ja, warum?

PL: Das trifft es eigentlich ziemlich gut.



Wie kommt es dazu? Es gibt doch Jazzmusiker, die sich zum Beispiel im Hard Bop oder Cool Jazz auskennen und in dem entsprechenden Klangspektrum auch spielen.

PL: Ja, ich habe mir darüber nicht so wirklich Gedanken gemacht, das ich nur dieses oder jenes spiele. Es hat sich halt so ergeben. Irgendwann habe ich angefangen, selber zu schreiben, eher autodidaktisch, habe dann aber festgestellt, was z.B. Debussy und Bartók kompositorisch auf den Weg gebracht haben. Dann hört man diese oder andere Musik, und die eigene Musik wird davon beeinflusst. Ich wusste ziemlich schnell, na ja ich will nicht ein weiterer Bebop-Spieler werden – überhaupt nichts gegen Bebop. Wenn man heute Charlie Parker hört, ist das immer noch so frisch. Aber das ist nicht so ganz meine Seele, da komme ich nicht her. Ich kann versuchen, das technisch nachzuspielen und müsste dies mein Leben lang spielen, damit ich einigermaßen so klinge wie die großen Vorbilder. Da fand ich es spannender zuzulassen, mal das eine oder andere zu probieren, mal mich von etwas anderem beeinflussen zu lassen, Neues zu entdecken, irgendetwas spielen, sodass jemand sagt: „Der Lehel spielt seine Sache, das ist in Ordnung, muss mir ja nicht gefallen.“ Darum geht es mir schon eher.


Was ist das Faszinierende an Béla Bartók?

PL: Na das ist auch eine Gefühlssache. Wahrscheinlich hängt das mit meiner Herkunft zusammen – wie gesagt mein Vater stammt aus Ungarn. Die archaischen Melodien habe ich studiert und erforscht. Das Archaische hat so etwas Tiefes. Béla Bartók bedient sich dieser Melodien. Wie Coltrane ist Béla Bartók ein ernsthafter Mensch. Auf Fotos von ihm sieht man kein Lächeln oder gar Lachen. Er war in gewisser Weise auf einer Mission.


Ist dein Album „Hidden Tracks“ eine Art Resümee?

PL: Das klingt ja so, als wolle man aufhören. Das Album habe ich deshalb gemacht, weil ich einfach mal mit diesen drei ganz unterschiedlichen Pianisten auf einer Platte sein wollte, die mit jeweils drei Stücken aus unterschiedlichen Epochen auf dem Album vertreten sind. Für mich ist das so, als ob ich drei gute alte, wunderbare Freunde in einem Restaurant auf ein Bier zu treffe.


Ist im Jazz eigentlich schon alles gesagt?

PL: Oh, die Frage habe ich befürchtet.



Na ja, etwas Neues nach Swing, Bebop, Hard Bop, Modern Jazz und Fusion zu finden, ist doch schwierig, oder? Es ist doch schwierig, einen eigenen Stil zu schaffen, sodass nicht jeder sagt, der hört sich wie xy an oder spielt in der Tradition von ...

PL: Geschichte ist ja so, dass man erst in der Zukunft sieht, wie Geschichte wirklich war. Ich bin sicher, es werden auch zukünftig neue Dinge passieren, aber es wird nicht mehr so sein, dass man im Behrendtschen Sinne alles in Zehn-Jahresabläufe packen kann, dass ein, zwei oder drei Musiker eine Epoche bestimmen. Es passiert wahnsinnig viel gleichzeitig. Aufgrund der technischen Möglichkeiten wird es noch extrem weitergehen. Die jüngeren Musiker sind teilweise instrumental unfassbar gut und machen alles richtig, aber dennoch gelingt ihnen kein neuer Style. Gut, Chris Potter ist der Gott für alle Saxofonisten heutzutage. Ob man sich in zehn Jahren daran erinnert, dass er einen neuen Stil kreiert hat, der zehn Jahre der Jazzgeschichte ausmacht, weiß ich nicht. Da kann man mich in dreißig Jahren fragen. Was komplett Dominantes wie den Bossa-Nova-Style zu schaffen, der um die ganze Welt ging, ist vergleichsweise schwierig.


Wie wichtig ist für dich die elektronische Komponente, die mehr und merh Einzug in die Musik gehalten hat, im Vergleich zum Analogen? Oder bist du eher Purist und sagst, dass das Instrument wie das Instrument und nicht in elektronisch modifizierter Art klingen soll.

PL: Na ja, vielleicht bin ich da ein wenig zu bequem. Ich bin eher der analoge Typ. Ich finde, mit einem guten Saxofonklang, kann man immer noch etwas ausdrücken. Ich will es nicht ausschließen, aber ich bin nicht der Typ, der sich aktiv um die Elektronik kümmert. Ich finde es bei jungen Typen schon beeindruckend, was da rauskommt. Aber ich mache erst einmal meine Sachen.


Danke für das Gespräch.

Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther


Informationen


https://www.peterlehel.net





Referenzen

John Coltrane I want to talk about you

Michael Brecker

Coleman Hawkins


In case you LIKE us, please click here:




Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet




our partners:

Clemens Communications


 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst