Markus Strothmann: im Gespräch mit dem Schlagzeuger

Der gebürtige Gütersloher, der in Enschede studierte, ist ein Urgestein der regionalen Jazzszene des Kreises Gütersloh, auch wenn er noch jung an Jahren ist und nun seine Zelte an der Elbe und Alster aufgeschlagen hat. Dennoch ist er mit dem Farmhouse Jazzclub Harsewinkel immer noch tief verbunden, wie seine regelmäßigen Auftritte in der westfälischen Provinz unterstreichen. In einem Interview mit der regionalen Tageszeitung „Die Glocke“ vom 8. November 2014 verriet er: „Beim Jazz können Momente entstehen, die einfach unglaublich sind.“ Ich hatte die Gelegenheit ihn bei seinem Auftritt mit Woodpegg's Organ Lab vors Mikrofon zu bekommen.

Was fällt Dir spontan ein, wenn du den Begriff „Jazz“ hörst?

M. S.: Mir fällt dazu ein Begriff ein, der viel zu breit ist. Es gibt einerseits einen extrem künstlerischen Jazz, und das ist heutzutage, so finde ich, nicht mehr Jazz für die Masse, und andererseits Unterhaltungsjazz. Der Unterhaltungsjazz ist für mich der, der auch ein breites Publikum anlocken kann, was im Moment nicht so geschieht. Der künstlerische Jazz wird augenblicklich mehr wahrgenommen, und es wäre schön, wenn man von der Unterhaltungsseite mehr erfahren würde.

Heißt Unterhaltungsjazz das, was es in den 1930er und 1940er Jahren schon mal gegeben hat, als Jazz die Popmusik jener Zeit war?Damals kannten die Leute die Songs und tanzten auch dazu.

M. S.: Das fände ich sehr schön, und ich glaube auch, dass es das teilweise wieder gibt. Es muss nicht unbedingt die Musik sein, zu der die Leute mittanzen. Unterhaltungsjazz kann für mich in der Tat der Big-Band-Jazz der 1930er und 1940er Jahre sein, es kann aber auch New Orleans Jazz sein. Es kann aber auch Broadway Jazz sein, was dem Musical sehr nahe ist. Das kann man zwar nicht generalisieren, aber sobald Gesang dabei ist, ist die Chance gegeben, dass es etwas unterhaltsamer ist, sofern in den Solos nicht die kompliziertesten Sachen ausgeschöpft werden. Ja, wenn die Musik etwas mehr Rhythmus orientierter, manche würden Groove orientierter sagen, gespielt wird, und es in den Improvisationen nicht so weit raus aus dem Schema geht, sodass ein Normalpublikum es auch erfassen kann.

Du spielst Schlagzeug. War nie der Gedanke da, Rockmusik zu spielen?

M. S.: Ja, am Anfang war der Gedanke schon Rock. Ich hatte bei einem großartigen Schlagzeuger aus Oelde Unterricht. Der heißt Dirk Brand und ist deutschlandweit bekannt. Dirk hat in jener Zeit auch mit Ansgar Specht (heute Woodpegg's Organ Lab) gespielt. Das war das erste Konzert, in dem ich Dirk gehört habe. Dirk macht ganz viel Rocksachen und hat mich da herangeführt. Das war damals auch die Musik, die ich hauptsächlich gehört habe. Das war ursprünglich das, was ich wollte: Rockmusik machen. Ich hatte aber auch einen akademischen Anspruch. Ich wollte gerne studieren. Es hat sich dann ergeben, dass ich Jazz studiert habe, auch weil ich möglichst breit gefächert spielen wollte. Wenn mich eine Salsaband anrufen sollte, wollte ich nicht absagen müssen. Dass das auf einmal für mich zu einer Art Markenzeichen für mich wird und Jazz die Musik sein sollte, mit der ich mich identifiziere, habe ich anfangs nicht geahnt. Wie sagt man so schön: Wenn man einmal mit Jazz infiziert ist, kann man es auch nicht mehr abwaschen!

Wo hast Du die Ausbildung gemacht? In Enschede?

M. S.: Ja, in Enschede. Ich habe da Jazzmusik studiert und mit einem Master abgeschlossen. Seither bin ich dort auch als Dozent tätig. Genau.

Gibt es einen Grund, um aus der westfälischen Provinz in die Großstadt Hamburg zu gehen?

M.S.: Ja, es ist so, dass ich in Gütersloh ein bekannter Musiker bin, würde ich sagen, und ich habe dort für mein Gefühl alles erreicht, was ich erreichen konnte. An einem Standort wie Hamburg sind bestimmte Netzwerkmöglichkeiten gegeben, die man in einer kleinen Stadt nicht hat.

Welche Jobs machst Du? Wie sieht es mit sogenannten Brot-Jobs aus?

M. S.: Ich versuche, nur noch Auftritte zu machen, die ich künstlerisch auch will. Ich unterrichte ja auch noch und würde sagen, dass dies mal mehr und mal weniger der Broterwerb ist. Man hat aber auch Monate, in denen man mehr vom Spielen lebt. Ich sehe beides als ein Ganzes. Was für mich nur ganz wichtig geworden ist, dass ich nur Auftritte spiele, hinter denen ich künstlerisch auch stehe.

Du hast das Stichwort Broadway genannt. Daher die nächste Frage: Siehst Du in Jazz mehr eine afroamerikanische als eine europäische Musik?

M. S.: Die Keimzelle des Jazz ist schon Amerika. Ich würde dabei New Orleans mit dem Oldtime-Jazz und New York voneinander trennen. Ich bin jemand, der europäischen Jazz unheimlich klasse findet, und habe meine Masterarbeit über die Vernetzung europäischer Jazzmusik geschrieben. Ich habe vor allen Jazzrichtungen Respekt. Ich finde alles, was aus New York kommt toll, aber ich finde auch alles, was aus Europa kommt, toll. Ich werte das eine nicht höher als das andere. Mir ist nur historisch bewusst, dass der Ursprung des Jazz in New Orleans und New York zu suchen ist und dass jetzt eine Jazzgeschichte in Europa entsteht.

Ist die Verknüpfung des europäischen Jazz mit klassischer Musik wesentlich?

M. S.: Ich finde die Frage total gut. Für mich muss das gar nicht so sein. Letzten Endes hört man solche Projekte der Verbindung von Klassik und Jazz, aber es gibt europäischen Jazz, der auch ganz andere Richtungen aufweist. Häufig hört man europäischen Jazz, der ein größeres Publikum gewinnen kann. Es gibt einige Künstler auf dem ACT Label, die ein breites Publikum erreichen, ohne die Seele der Musik zu verkaufen. Das gefällt mir sehr gut.

Ist die Musik, die Du bei Woodpegg's Organ Lab spielst, eine, die Dir sehr nahe liegt?

M. S.: Das, was wir da spielen, sind die Wurzeln des Jazz. Es ist nicht das Standard-Repertoire, wenn auch daran angelehnt. Ansgar Specht als Bandleader hat ein sehr cooles Programm gestrickt. Ich mag den Sound, der zu Hammond passt. Es ist in der Tat die Art von Jazz, in der ich in Enschede ausgebildet wurde. Ich meine damit, die Standardart zu spielen. Ich gucke da nicht auf bestimmte Künstler, sondern auf die Art Jazz zu spielen.

Spielst du auch mit Kollegen, die ganz freie Improvisationen machen?

M. S.: Es passiert hin und wieder mal. Ich spiele schon frei, aber nicht so sehr in Sachen Jazz, und zwar mit dem Synthesizerspieler Bernhard Wöstheinrich und dem Bassisten Ufo Walter. Das ist mehr krautrockig. Für mich ist Musik immer spannend. Ich muss nur einfach, wenn ich spiele, das Gefühl haben, das ich hinter dem Projekt stehen kann.

Ist das eine Balance und ein Ausgleich?

M.S.: Das war mal so. Ich habe mich allerdings momentan etwas in den Projekten reduziert. In den Jahren zuvor habe ich mal in einer Mittelalterband gespielt. Ich habe auch in einer Drum 'n Bass Band mit Weltmusikeinflüssen gespielt. Außerdem habe ich auch in einer Blues Rock Band gespielt. Ich habe gemerkt, dass das für mich nicht gut ist und ich mich verliere. Ich habe nun hauptsächlich zwei Projekte zusammen mit dem holländischen Organisten John Hondorp. Das ist eine ist das Transition Organ Duo, unser instrumentales Projekt. Da arbeiten wir für Auftritte mit verschiedenen Gastmusikern zusammen. Für dieses Duo schreibe ich auch meine Instrumentalkompositionen. Dazu kommt noch ein neues Projekt ebenfalls mit John Hondorp und der Sängerin Adrienne West. Wir nennen das Adrienne West and the Hammond Jazz Orchestra. Dabei geht es um Broadway Jazz. Bei richten wir unser Augenmerk auf die breitere Masse. Wir müssen halt im Jazz eine gewisse Hörerschaft erreichen, die wir momentan nicht haben. Wir geben gemeinsam auch Workshops, um Leuten zu erklären, wie Jazz funktioniert.

Wie erklärst du dir denn den Bruch, den es spätestens in den 1960er Jahren gab, als Jazz immer weniger eine breite Masse ansprach und an Popularität verlor?

M. S.: Das Stichwort ist dabei wohl tanzbar. Jazz war irgendwann nicht mehr tanzbar. Zudem kam Musik auf, die viel tanzbarer wurde. Jazz wurde immer komplizierter. Spätestens ab dem Zeitpunkt, als es akademisiert wurde, wurde diese Musik noch komplizierter. Ich habe den Eindruck, dass diese Entwicklung tendenziell immer weitergeht. Immer mehr Musiker werden außerdem auf den Jazzmarkt gespült, aber es gibt keinen wachsenden Jazzmarkt. Wir müssen dafür sorgen, dass es den Markt wieder gibt und eine breitere Masse angesprochen wird. Die Frage der Tanzbarkeit ist sicherlich ein Thema, über das wir uns Gedanken machen müssen.

Ich danke für das Gespräch.

Interview und Fotos © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Markus Strothmann
http://www.markusstrothmann.com

Dirk Brand
http://dirkbrand.com/medien/cds/index.php

Farmhouse Jazzclub Harsewinkel
http://www.farmhouse-jazzclub.de


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