Julian Sartorius – im Gespräch mit dem aus Thun (Schweiz) stammenden Schlagzeuger

Ich traf mich mit Julian Sartorius am Rande der Jazzahead Bremen 2016. Hier präsentierte er im Rahmen des Schweizer Abends nicht nur sein Soloprojekt, sondern war auch Teil des Colin Vallon Trios.
1981 in Thun geboren, begann Sartorius bereits mit fünf Jahren Unterricht am Schlagzeug zu nehmen. Hinfort testete er die Grenzen des Schlagzeugs aus, überwand diese, bediente sich bei Neuer Musik, Hip-Hop und auch elektronischer Musik. Bei Auftritten spielt er auch an einem präparierten Schlagzeug, aber nicht ausschließlich. Zu seinen Lehrern gehörten u. a. Pierre Favre and Norbert Pfammatter an den Jazz-Schulen in Bern und Luzern. Er hat eine Reihe von Alben veröffentlicht, darunter auch die 12-LP-Box „Beat Diary“. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit audiovisuellen Arbeiten so wie dem Projekt „Morph“.

Ist ein musikalisches Elternhaus essenziell, um schon in jungen Jahren Musik zu machen?

JS: Das ist schwierig zu sagen. Das Schlagzeug war da, soweit ich mich erinnern kann. Offenbar habe ich als Zweijähriger auf allem trommeln wollen. Meine Mutter hat mir vor Kurzem erzählt, dass, wenn sie abgewaschen hat, sie unten in einem Schrank extra Geschirr hatte und ich damit trommeln konnte, weil ich immer trommeln wollte. Dann hat sie mir auch erzählt, dass ich als Vierjähriger bei den Nachbarn geklingelt habe und mit einem Tambourin vorspielen wollte. Daran erinnere ich mich natürlich nicht mehr.
Meine Mutter hat Instrumente gespielt und mein Vater hat eine riesige Musiksammlung. Das hat mich auch inspiriert.

Welche Art von Musik war während deiner Kindheit und Jugendzeit im Hause Sartorius zu hören?

JS: Ich hatte eine kleine Trommel und bin zu Marschmusik rund um den Tisch marschiert. Es gab auch eine Single von der deutschen Band Trio, die habe ich immer gehört, als ich klein war. (Lachen) Von den Beatles war „I'm The Walrus“ mein absolutes Lieblingslied, davon hatten wir auch eine Single, die ich immer hören wollte.

Das war das, was deine Eltern gehört haben?

JS: Marschmusik gar nicht. Das haben sie wahrscheinlich gehasst. Die Platte ist wohl als Unfall bei uns gelandet. Mein Vater hat viel klassische und zeitgenössische Musik gehört. Er hatte eine riesige Bob-Dylan-Sammlung, auch eine John-Zorn- und eine ECM-Sammlung.

Wann bist du zum ersten Mal mit Jazz welcher Art auch immer in Berührung gekommen? Welche Art von Jazz war das?

JS: Das war an der Musikschule in Thun in einem Workshop, und da habe ich es überhaupt nicht gemocht,  (Lacher). Da war ich noch klein.
Mit 14 habe ich dann „Live at Birdland“ von Coltrane in die Finger gekriegt. Das habe ich dann die ganze Zeit gehört. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was da passiert, es hat mich aber total reingezogen. Es war wie ein Dschungel, der mich fasziniert hat. Ich habe es immer wieder gehört, aber meine Ohren waren noch nicht geschult. Coltrane und Monk waren wichtig, auch Miles Davis, vor allem seine Musik aus den 60ern und 70ern.

Spielte Neue Musik, 12-Ton-Musik oder gar Noise Music und Atonales im Hause Sartorius eine Rolle? Wenn ich dein jetziges Werk betrachte und nicht nur deine Performance, dann nehme ich das jedenfalls an.

JS: Ja extrem. Die Neue Musik hat mich immer stark interessiert. Ich habe viel Xenakis gehört. Varèse hat mir auch sehr gefallen. Die Bücher von und über John Cage waren schlussendlich eine Initialzündung. „Silence“ und ein Interviewbuch mit ihm – das hat mich beschäftigt.

Was ist das Faszinierende am Solospiel, wenn du im Fokus der Zuhörer?

JS: Dass ich beim Solospiel das ganze Frequenzspektrum und die Dynamik des Schlagzeugs ausnutzen kann, ohne anderen Instrumenten in die Quere zu kommen. Und die Musik mit meinen eigenen Möglichkeiten gestalten kann. Das gefällt mir in dem Moment. Manchmal hasse ich es auch, weil man so alleine ist, aber die Auseinandersetzung mit sich selbst ist wichtig für mich. Man sollte sich der Frage stellen, was man selbst will. Auf sich allein zurückgeworfen zu sein, das mag ich grundsätzlich sehr.

Was passiert mit dir im Spiel mit Trio im Vergleich zum Solistischen?

JS: Ich liebe es, mit Leuten zusammenzuspielen, die Interaktion, dass man die Musik zusammen gestaltet. Ich brauche beides. Ich könnte niemals nur Solo auftreten. Ich mag kleine Formationen. Ich habe viel Duo gespielt, auch viel Trio.

Wie würdest du die Musik charakterisieren, die du solo präsentierst? Freie Improvisation? Freie Musik? Geräuschmusik?

JS: Ich kann es nicht beschreiben. Ich sehe eher Bilder. Bilder mit merkwürdigen Tieren oder Robotern, die sich komisch bewegen oder auseinanderfallen. Für mich ist die Musik sehr bildhaft. Ich habe keinen Stilbegriff dafür.

Aber es ist die Musik aus dem Moment heraus?

JS: Ja, aber ich habe schon so etwas wie Stücke. Manche sind fixe Stücke vom Material her oder vom Rhythmus oder den Klangfarben her. Wie lange sie dauern und was passiert, das kann aber aus dem Moment entscheiden, weil ich alleine bin und sich niemand übergangen fühlt, wenn ich etwas anderes mache. (Lachen)

Als ich es gehört habe, hatte ich eher den Gedanken an Momentaufnahme und Konzentration, um den Punkt des Beginns zu finden. Du steuerst, was alles gesagt wird. Wovon ist abhängig, dass du sagen kannst, es sei alles gesagt oder das Bild sei gemalt?

JS: Es hängt mit dem Raum zusammen. Und mit dem jeweiligen Schlagzeug, ich habe nie mein Schlagzeug dabei. Ich versuche, mit dem Raum zu arbeiten. Manche Klänge oder musikalischen Ideen funktionieren nicht überall. Dann spiele ich es ganz kurz oder lasse es weg. Ich versuche auf das einzugehen, was mich trägt.
Und wenn ich das Gefühl habe, dass ich mit einem Material nichts mehr zu sagen habe, dann bleibe ich oftmals grad extra dabei. Dann kommen die Details plötzlich raus, und da ist so ein Reichtum vorhanden. Dann ist es wieder interessant. Statt aufzuhören, muss man dann dranbleiben. So kommt man auch weiter. Das ist auch beim Üben so.

Du sagst, du hast nie dein Schlagzeug dabei?

JS: Bloss die Becken und einige Perkussion.

Du vertraust dann darauf, dass die Basstrommel den Durchmesser hat, den du haben möchtest?

JS: Ja, ich gebe ein paar Spezifikationen durch, aber ich bin nicht pingelig. Im Gegenteil, ich mag es, wenn es plötzlich eine Rock-Bass-Drum ist, dann muss ich halt anders spielen. Ich mag diesen äußeren Einfluss und die Herausforderung, weil ich ja beim Solospiel keinen Mitmusiker habe. Deswegen wird das Instrument als Gegenüber sehr wichtig. Wie viele Trommeln ich haben will und deren etwaige Größe, das sage ich vorher, aber ich sage nicht, diese oder jene Snare mit genau diesem Fell. Ich sehe die Snare und dann schaue ich halt, was möglich ist.

Woher nimmst du Inspirationen für deine Solo-Stücke? Sind die Bilder präsent, von denen du geredet hast? Auch auf der Bühne?

JS: Ja, die sind stark präsent. Wenn ich beim Spielen bin, versuche ich mir, Bilder im Moment zu schaffen, oder Bilder entstehen zu lassen. Bilder helfen mir, der Musik Kraft zu geben.

Klingen die Stücke, wenn du sie heute spielst, anders als gestern und wiederum anders, wenn du morgen am Schlagwerk sitzt?

JS: Ja, es klingt immer anders, obwohl es gleiches Klang-Material ist.

Wie wichtig ist der Raum für das Spiel und spielst du gerne in Industriehallen? Trocken oder schmutzig klingende Räume?

JS: Der Raum ist extrem wichtig. Am liebsten sind mir hohe Räume mit viel Holz. Der Raum sollte nicht ganz, ganz trocken sein, aber schon eher auf der trockenen Seite. Es gibt auch Räume, die sind so ausgewogen, dass die kleinsten Sachen tragen und die lauten nicht aggressiv wirken. Hallen sind schwierig, aber auch reizvoll.
In Bremen ist die Halle auf der Bühne total trocken, und es besteht die Gefahr, dass man als Musiker das Gefühl hat, die Klänge tragen nicht. Das ist das Schlimmste, wenn ich auf der Bühne das Gefühl habe, die Klänge verpuffen, ohne dass sie richtig bis zum Publikum dringen.

Wie wesentlich ist das Audiovisuelle für deine Musikpräsentation? War die Aktion mit den rollenden Blechen in der Industriehalle eine einmalige Aktion?

JS: Ja, eine Einmalige. Das Visuelle möchte ich bei Konzerten aber manchmal am liebsten ausblenden, dass die Leute nur zuhören. Und ich mag es nicht so gerne, wenn mich alle Leute anschauen. Ich mag es, wenn es ziemlich dunkel auf der Bühne ist und ich ein bisschen verschwinde.
Es gibt ein audiovisuelles Projekt mit einer Collage und einem Audio-Loop, woran ich jeden Tag weiter arbeite. Ich habe auch ein Beat Diary, so eine Art Klangtagebuch mit Beats, gemacht. Das habe ich fotografisch begleitet.

Beschreibe doch mal bitte deinen Arbeitsplatz. Wie viele Trommeln nutzt du und welche? Wie viel Cymbals und welche nutzt du?

JS: Ich benutze so wenig wie möglich. Das habe ich am liebsten, dann komme ich mit dem Material zu einer gewissen Tiefe. Am liebsten Trommeln, die offen klingen und viele Obertöne haben, damit ich sie klanglich gut modulieren kann. In meinem Setup habe ich oft nur ein Becken, benutze aber verschiedene Sticks. Das klingt dann so, als hättest du fünf Becken, je nachdem wie du sie anschlägst; ansonsten totaler Standard: Bass-Drum, Snare, ein Floor-Tom und Hänge-Tom oder eine zweite Snare statt eines Hänge-Tom, ein Hi-Hat und das Becken. Oftmals präpariere ich das Schlagzeug mit verschiedensten Materialen um verschiedenste Klänge zu finden, auch deshalb brauche ich kein riesiges Schlagzeug.

Wie habt ihr beim Colin Vallon Trio zusammengefunden?

JS: Das Trio gab es schon länger, aber es gab Wechsel bei Bass und Schlagzeug. Dann haben sich die Wege von Colin und Patrice auf der einen Seite und dem neuen Schlagzeuger Samuel Rohrer auf der anderen Seite getrennt. Dann bin ich dazugekommen. Ich war also nicht von Anfang an dabei, sondern erst seit vier Jahren. Wir haben uns in Bern bei Konzerten oder Sessions getroffen, wo Colin, der aus Yverdon stammt, gelebt hatte. Als dann Platz in der Band wurde, hatte er mich gefragt, auch auf dem Hintergrund des vorherigen Zusammenspielens.

Wie kannst du dich beim Colin Vallon Trio einbringen?

JS: Ich habe sehr viele Freiheiten, und wir erarbeiten viele Beats oder Klangmischungen zusammen. Das genieße ich sehr.

Die Frage bleibt nach dem Unterschied von Soloauftritt und dem Triospiel?

JS: Es ist ein riesiger Unterschied. Es ist ja eine total andere Spielhaltung. Beim Solo liegt der Fokus ganz auf meinem Instrument. Wenn ich mit Leuten zusammenspiele, versuche ich extrem bei ihnen zu sein und nur das zu spielen, was wirklich etwas bringt.

Ist das Schlagzeug unterschiedlich?

JS: Ja, ein bisschen, aber nicht völlig unterschiedlich. Einen Riesen Unterschied gibt es: Ich dämpfe die Bass-Drum viel mehr oder stimme sie ein bisschen rauf, da ja noch ein Bassist da ist. Wenn ich alleine spiele, ist ja kein Bass da, und ich kann den Bass selbst machen. Ich stimme sie dann runter und dämpfe sie kaum, sie klingt länger. Ich spiele sie viel aktiver, weil ich ja der einzige Bass bin. In einer Band will ich mit den Frequenzen so spielen, dass ich nicht alles zudecke.

Ist nicht eigentlich der Schlagzeuger der bessere Bandleader?

JS: Ui! Das kann man so nicht sagen.. als Schlagzeuger hat man schon eine große Macht, vor allem über die Dynamik. Man muss sehr bewusst damit umgehen.

Ich danke dir für das Gespräch.

Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Julian Sartorius
http://juliansartorius.com/
http://juliansartorius.com/discography/






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