Axel Zinowsky: ein Gespräch ...

Wenn Sie den Begriff Jazz hören, was fällt Ihnen spontan ein?

Oh, das ist ja mit einem Satz gar nicht zu beantworten. Was fällt mir ein? Das ist ja fast eine philosophische Frage. Das ist die Musik, die ich seit Jahrzehnten mache und die mich inspiriert. Sie ist Teil meines Berufs, weil ich Jazz spiele und auch unterrichte.

Sie sind aber ursprünglich klassisch ausgebildeter Gitarrist, oder?

Ich habe klassische Gitarre in Münster studiert. Ich bin als junger Gitarrist wie die meisten Gitarristen über Blues, Rock, Pop allmählich zum Jazz gekommen.

Was war denn im Kern die Motivation, die Klassik zu verlassen und zu einer Musik zu wechseln, die nur teilweise strukturiert ist und im Wesentlichen von der Improvisation lebt?

Ich habe die Klassik als junger Gitarrist verlassen, weil früher der Unterricht an Musikschulen sehr langweilig und konservativ war. Ich habe mich zu dieser Zeit mehr für die E-Gitarre interessiert und die wurde an Musikschulen gar nicht unterrichtet. Ich wollte als junger Amateurmusiker eine eigene Band haben und da war dann halt Schluss mit der klassischen Gitarre, viele Jahre lang. Ich habe dann ausschließlich E-Gitarre gespielt und mich der klassischen Gitarre erst wieder zugewendet, als ich dann beschlossen hatte, Musik zu studieren.

Welche Art der klassischen Gitarrenmusik war es und ist es, die sie fasziniert? Klassische Musik dieser Art reicht ja von Sor bis Brouwer, oder?

Erst einmal wurde im Studium verlangt, dass man alle Epochen kennenlernt. Das geht von Renaissancemusik über Barockmusik und das 20. Jahrhundert bis in den Bereich Neue Musik. Das war sowieso eh Thema im Studium. Es hat mich auch total interessiert, weil ich auch während des Studiums erstmals damit konfrontiert wurde, sprich mit der ganzen Fülle der Gitarrenliteratur. Ich habe immer parallel zum Studium als Musiker auch Jazz gemacht.

Gibt es bei Ihnen eine Überlappung zwischen Klassik und Jazz?

Ja, zumindest von der Spieltechnik her. Da ich einen großen Teil meines Programms auf der Nylonstring-Gitarre spiele, kam mir die klassische Ausbildung und Vertiefung des Musikhochschulstudiums total entgegen. Ich habe aber auch viele Inspirationen bekommen. Ich habe während des Studiums Musik von Astor Piazzolla kennengelernt und auf der Gitarre gespielt. Auf meiner zweiten CD habe ich auch ein Stück von Piazzolla eingespielt und daran die Eigenkomposition 'Buenos Aires' angehängt. Da sieht man sehr gut die Verbindung zwischen Tango, also der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts, und Jazz.

Sie wurden für Ihr Warendorfer Konzert mit Latin Jazz angekündigt und zudem fiel der Begriff Fusion-Formation. Wie gehen Sie mit einer derartigen Einordnung um?

Latin Jazz – ich weiß nicht, wer das aufgebracht hat – ist ein Begriff, den ich nicht für unsere Musik verwenden würde. Es ist ein Aspekt unserer Musik. Es existieren Latin orientierte Rhythmen in einigen Kompositionen. Fusion ist ja ein Begriff, der schon ein wenig mehr beinhaltet. Man kann ja zahlreiche Stile mit Jazz verbinden, aber da ist Fusion schon umfassender. Da können Rock-Elemente, Blues-Elemente und anderes einfließen. Im Zentrum jeden Stücks steht – und das ist ja das Wichtige im Jazz – die Improvisation. Dabei können sich die einzelnen Bandmitglieder, wie ja im Konzert auch zu hören war, dann ausspielen.

Sie hatten alle beim Konzert Notenständer mit Noten vor sich zu stehen. Warum eigentlich? Denn aus meiner Sicht gibt es beim Jazz ein Thema, das alle kennen, und darüber werden dann Phrasierungen und Paraphrasierungen gespielt. Wenn Sie mit Noten spielen, liegt doch die Annahme nahe, dass Sie weitgehend notierte Musik spielen, oder?

Ja, notiert sind Melodie und Harmonien in Symbolen, in vielen Stücken zudem eine Basslinie für den ersten Teil eines Stücks, das auskomponiert ist. Es folgt danach die Improvisation, die aber über das vorgegebene Harmonieschema abläuft. Insofern ist es wichtig diesen Ablauf auch vor sich zu haben, wenn man die Stücke noch nicht auswendig spielen kann. Ich fände es natürlich besser, wenn man die Notenständer wegräumen könnte und wir alles auswendig spielen würden. Dazu müssten wir aber mehr gemeinsame Konzerte am Stück spielen. Außerdem haben wir auch eine Reihe neuer Kompositionen gespielt, als wir in Warendorf waren. Die waren für die Kollegen noch so frisch, dass sie den Ablauf auf dem Notenblatt verfolgen mussten.

Sie haben das Konzert mit den Worten eingeleitet „Liebe Freunde der gehobenen Unterhaltungsmusik“. Wie darf ich das denn verstehen?

Ironisch. Ich wollte halt eine lockere Begrüßung loswerden. Und es gab ja auch einige Lacher und Schmunzler.

Weiter werden Sie mit den Worten zitiert: „Heute gibt es was zum Entspannen, aber man muss auch durch schwierige Passagen durch.“ Vielleicht könnte Sie auch dazu einige Worte verlieren.

Dass Jazz unterhalten darf, finde ich gar nicht verkehrt. Es gibt ja einige Melodien in vielen Kompositionen, bei denen man sich gut unterhalten fühlt und die man genießen kann. Dann gibt es Improvisationen, bei denen man schon mal gefordert wird. Da geht es richtig ab. Es gibt Momente, bei denen der eine oder andere sagt, wenn er denn kein erfahrener Jazzhörer ist, das sei jetzt zu heftig. Das war mit der Bemerkung gemeint.

Jazz gilt allgemein als intellektuell, verkopft und Nischenmusik. Wie gehen Sie mit einem solchen Urteil um?

Ja, wahrscheinlich werden das nicht so jazzerfahrene Hörer entsprechend empfinden. Es mag auch sein, dass es Ansätze im Jazz gibt, die sehr konstruktivistisch sind. Ich glaube, dass die Hörer in Warendorf eine gewisse Jazzerfahrung und daher die Musik nicht als verkopft empfinden.

Sie haben ja beim Konzert bereits eine Grenzüberschreitung vom Jazz zum Pop und umgekehrt vollzogen. Ich nenne 'Fragile' von Sting und „Steely' in Referenz zu Steely Dan. Damit gehen Sie ja sehr auf den Hörer ein. Sie versteigen sich nicht in Free Jazz im Geiste von Brötzmann oder ganz freier Musik oder in Standards, die nur noch in Fragmenten für denjenigen kenntlich sind, der Standards sehr gut kennt. Gibt es einen Grund dafür?

Ja, ich habe durchaus eine Affinität zu Popmusik. Ich setze aber eine gewisse Qualität voraus. Ich habe immer gerne die Musik der Beatles gehört und finde das Meiste, was McCartney und Lennon komponiert haben, großartig. Genauso finde ich Vieles von Sting hervorragend. Er hat ja mit vielen Jazzmusikern zusammengearbeitet und ist insoweit ein Grenzgänger. Als Grenzgänger würde ich mich auch sehen, der zwischen den Genres pendelt. Steely Dan ist auch immer eine sehr jazzaffine Band gewesen. Donald Fagen hat viel mit Jazzmusikern gearbeitet, ob das Chris Potter oder Michael Brecker ist. Auf den jüngeren Alben von Steely Dan sind sehr jazzige Harmonien und stets Improvisationen zu hören.

In den späten 70er und in den 80er Jahren traten Bands als Rockbands auf, die eigentlich nicht mutig genug waren, sich zu Jazz zu bekennen. Ich nenne mal Brian Auger, Nice, Emerson, Lake and Palmer, Blood, Sweat and Tears oder Chicago. Das hätte man ja auch Fusion oder Rock Jazz nennen können, oder?

Genau, genau. Ja, Brian Auger habe ich als junger Musiker erlebt, und das Konzert hat mich umgehauen. Er hatte in seinem Programm auch Stücke von Herbie Hancock gespielt, den ich damals überhaupt nicht kannte.

Zu Ihrer Band: Sie haben sich ja entschieden, aus dem Quartett ein Quintett zu formen. Was war das Motiv und was war die Intention?

Ich habe das Gefühl, dass etliche Kompositionen noch gestärkt werden, da wir jetzt einen Pianisten, den Thomas Hufschmidt, in der Band haben. Einige Titel sind etwas orchestraler angelegt, und da fühle ich mich dann sehr wohl, wenn ich ein Klavier höre. Es ist sehr angenehm, wenn ich improvisiere, dass ich noch ein paar Akkorde habe. Das füllt mehr. Thomas Hufschmidt ist ein ehemaliger Kollege von mir, der Professor für Klavier an der Folkwang Hochschule in Essen ist. Ich habe neun Jahre lang an der Folkwang Hochschule das Hauptfach Jazzgitarre unterrichtet. Daher kennen wir uns, und wir haben auch schon locker in verschiedenen Formationen miteinander gespielt. Ich bin sehr froh, dass er jetzt in der Band ist.

Mindert die Erweiterung der Band nicht die Chance der breiten Improvisation? Je kleiner die Combo ist, desto mehr Zeit gibt es doch, oder?

Ich glaube, dass jeder im Quintett sich solistisch als auch im Zusammenspiel entfalten kann. Ich sehe da keine Beschränkungen, da wir zu fünft sind.

Sie haben in Warendorf zwei Sets gespielt und einen Instrumentenwechsel zur E-Gitarre vorgenommen. Können Sie erklären, was dahinter steht. Worin liegen die Stärken des einen und des anderen Instruments?

Ich habe den Wechsel vorgenommen, weil es klanglich eine Abwechslung ist. Die letzten Stücke im zweiten Set sind bluesig orientiert und da spricht viel dafür, eine Fender Stratocaster zu nehmen, um damit bluesiger zu phrasieren. Andere Stücke sind eher für die Nylonstring-Gitarre und Fingerstyle in der klassischen Art geeignet.

Ich hatte vom Konzert einen sehr brassigen Eindruck im Kopf und war von Volker Wincks Spiel sehr angetan. Ist diese brassige Beigabe gewünscht? Für mich klangen ein paar Stücke daher nach Bebop und Hard Bop reloaded.

Das kommt durch Volker Winck zustande, der in allen Stilen zu Hause ist und obendrein ein überragender Solist ist. Ich würde sagen, er gehört zu der Handvoll überragender Tenorsaxofonisten der jüngeren Generation in Deutschland. Es ist absolut virtuos und insofern hat er auch viel Raum für seine Soli. Den Raum nimmt er sich auch, weil er immer noch etwas zu erzählen hat und es immer noch eine Steigerung gibt. Da staune ich selbst immer wieder, was da noch kommt. Und er legt immer noch etwas auf, unheimliche Bandbreite und Dynamik. Daher kommt dieser Eindruck.

Mir ist das besonders bei „Seven Steps To Heaven“ aufgefallen.

Ja, da kam im Mittelteil dieses Duo mit Saxofon und Drums vor.

Ich hatte dabei den Eindruck, dass Jochen Welle lieber ein Schlagzeugsolo hingelegt hätte und durch die Beats das Saxofon vor sich hertrieb.

Das war ausdrücklicher Wunsch der beiden. Aber was da passiert, ist stets offen. Es ergibt sich immer anders. Jeder Dialog ist anders, auch mal ekstatischer. Das ist schon spannend.

Sie spielen noch mit Nicola Materne zusammen. Bei der Band fand ich stärkere Latin-Einflüsse als in Ihrem Quintett. Wie intensiv betreiben sie das? Sind sie eher Sideman?

Das ist ein Projekt, das es seit einigen Jahren gibt. Es ist das Projekt von Nicola Materne, die auch die Songtexte gemeinsam mit dem Pianisten ihrer Band schreibt. Ich wurde gefragt, weil ich gerne Bossanova spiele. Das ist ein festes Projekt. Ich bin in gewisser Weise Sideman, habe aber auch Spielraum für solistische Parts.

Gibt es noch andere Projekte?

Nein. Wir werden, allerdings fehlen noch einige Kompositionen, mit dem Quintett eine dritte CD herausbringen, wahrscheinlich 2015. Es wird zudem mit dem Bossanova-Ensemble eine weitere CD geben. Im Münsteraner Raum spiele ich in wechselnder Besetzung mit dem Schlagzeuger Ben Bönniger zusammen. Ben Bönninger ist jemand, der in Münster immer wieder interessante Jazzreihen aufzieht. Da bin ich Stammgast.

Ich danke für das Gespräch.

Interview und Fotos: ferdinand dupuis-panther


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