Winther / Andersson / Watts - Steep Steps

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Hobby Horse Records
Zu Beginn ein längeres Zitat aus dem Bandcamp-Text zum Album: „The story of Winther / Andersson / Watts began in 2008 when bassist Richard Andersson met world-renowned drummer Jeff ‘Tain’ Watts at a jazz workshop in Denmark. That meeting sparked a musical connection, leading to multiple collaborations. Years later, Andersson and pianist Carl Winther began working together, and soon, they realized their combined energy would form the perfect trio with ‘Tain’.
Recorded in the same session as their first album, “Steep Steps” showcases compositions by Carl Winther, alongside a piece by the legendary McCoy Tyner and a ballad by Tadd Dameron. Jeff ‘Tain’Watts, who recorded with Tyner on “Quartet” (2006), brings his deep connection to the jazz tradition while driving the trio’s sound with his signature intensity.“
Schon von der ersten Note an hat der Zuhörer den Eindruck, die Klangwelt von „So What“ und ähnlicher Klassiker des Jazz seien ganz gegenwärtig. Und ja, spätestens bei dem McCoy Tyner-Titel „Inner Glimpse“ taucht man in Jazzklänge vergangener Jahrzehnte ein. Über McCoy Tyner liest man unter anderem: „Er spielte Klavier ‚wie ein brüllender Löwe‘ und er hat das moderne Jazzpianospiel in seinen Grundfesten verändert“, urteilte Ulrich Habersetzer im Bayerischen Rundfunk anlässlich Tyners Todes. Nun nicht wie ein „brüllender Löwe“ aber äußert energetisch-aufgeladen ist das Pianospiel von Carl Winther. Da ergießen sich Kaskaden des Klangs auf den Zuhörer, da steigt man in einen Perlenfluss des Klangs, so auch in dem Stück „Steep Steps“. Zugleich hat man bei dieser Komposition von Winthers das Bild vor Augen, das dem Film „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergei Eisenstein entspringt und einen Kinderwagen zeigt, der über die unzähligen Stufen der sogenannten Potemkischen Treppe in der Hafenstadt Odessa rollt.
Herausragend und auf den Punkt präzise gesetzt ist das Schlagwerkspiel von Jeff “Tain” Watts, der sich teilweise in einen Beckenrausch vertieft, so auch in „Turning Chapter“, dem Schlusstitel des vorliegenden hörenswerten Albums.
Doch nun zum Anfang des Albums: „You Know“ erinnert in seiner Setzung und seiner Stimmung an so manchen Klassiker des Jazz, nicht nur an den oben genannten Titel „So What“, sondern auch an „Merci, Merci“ oder „Sugar“, oder? Doch man sollte sich von solchen Verweisen nicht ablenken lassen, sondern sehr aufmerksam das Album und dessen Titel anhören und auch auf die verhaltenen Basslinien achten, die Richard Anderson geschuldet sind. Er lässt den Bass gleichsam schnurren, in weichen Linien schnurren. Klangstrudel setzt der Pianist wohl dosiert. Und auch Klangkaskaden lässt er uns hören. Dabei verwässert er die Melodielinien nicht. Das Spiel von Winther gleicht hier und da dem rinnenden Wasser barocker Wasserspiele: Alles ist im Fluss. Überströmungen gibt es nicht, sondern nur „gebundene Linien“, wenn man so will. Wer die Aufnahme ( Jazz Ost West, 1986) von Tyner mit Joe Henderson und Freddie Hubbard hört, der wird „lineare Beziehungen“ zur vorliegenden Trio-Version erkennen. Winther hat einen unüberhörbar ähnlichen Duktus wie Tyner. Man könnte von einem kraftstrotzenden Spiel auf den Tasten sprechen. Als Hörer werden wir von einem Klangstrom mitgerissen, im wahrsten Sinne des Wortes. Explosives Schlagwerkspiel kommt als Ergänzung dazu. Der Bassist ist nur schwerlich zu dechiffrieren, zu sehr wird die Aufmerksamkeit auf das Tastenspiel gelenkt. Doch in einem eingestreuten Solo kann der Bassist dann zeigen, in welcher Art sein Saiteninstrument Klangfärbungen bestimmt. Unablässig ist auch beim Bass-Solo der Schlagzeuger aktiv. Er scheint wie ein Berserker die Felle und Bleche zu traktieren. So erleben wir gleichsam einen feurigen Lavastrom des Schlagwerkspiels!
Weniger temporeich und explosiv kommt „Soultrane“ daher, eine Ballade, die man sich auch in einer Broadway-Show der späten 1940er Jahre und der 1950er Jahre vorstellen kann. Wieder sind es im Kern der Pianist und der Schlagzeuger, die im Fokus stehen. Hm, beim Hören mag der eine oder andere aufgrund der Harmonien an „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ (Friedrich Hollaender) denken. Wunderbar gelungen ist das eingebettete, mit Bedacht gesetzte und die Melodielinien des Pianisten aufgreifende Bass-Solo in diesem Stück des Albums. Fazit: Das Album ist ein Hörgenuss, insbesondere für diejenigen, die Straight-ahead Jazz mögen!
© ferdinand dupuis-panther 2025
Info
BANDCAMP Richard Andersson
BANDCAMP Hobby Horse Records
Musicians
Carl Winther – piano
Richard Andersson – double bass
Jeff “Tain” Watts – drums
Tracks
1. You Know 06:10
2. Inner Glimpse 09:06 (comp McCoy Tyner)
3. Soultrane 07:34 (comp Tadd Dameron)
4. Steep Steps 09:30
5. Turning Chapter 10:01
Tracks other than 2 and 3 are composed by Carl Winther