Conference Call – Prism

Conference Call – Prism

C

Not Two Records

In unterschiedlicher Besetzung gibt es das Conference Call 4tet seit etwa zwei Jahrzehnten und besteht aktuell aus dem deutschen Saxofonisten Gebhard Ullmann, dem us-amerikanischen Bassisten Joe Fonda, dem us-amerikanischen Pianisten Michael Jefry Stevens und dem schweizer Drummer Dieter Ulrich. Gewechselt haben in der Band vor allem die Drummer. Han Bennink war ebenso am Schlagzeug zu hören wie George Schuller und Gerry Hemingway. Aktuell sitzt nun Dieter Ulrich an der „Schießbude“. Die aktuellen Bandmitglieder zeichnen federführend für die nachstehend genannten Kompositionen wie „F.J.D“, „Prism“, „Listen to Dr. Cornell West“ sowie „Variation of a Master Plan“. Zudem sind auf dem Album folgende Tracks zu hören: „Sal's Song“, „The Bee“ und „Zeit Lupe“.

Der Komponist und Pianist Michael Jefry Stevens, einer der wichtigen Vertreter des Gegenwartsjazz, der sich als international begreift, ist nicht allein mit Conference Call 4tet, sondern auch mit der Fonda/Stevens Group und mit dem Eastern Boundary Quartet auf den Jazzbühnen der Welt zu hören. Stevens hat in den letzten Jahrzehnten über 340 Kompositionen geschrieben, darunter auch solche, die auf dem achten Album des Conference Call Quartetts ihren Platz fanden.

Der Albumtitel bedeutet auf Deutsch „Prisma“. Bei „Prism“ handelt es sich aber auch um ein streng geheimes Überwachungsprogramm des us-amerikanischen Geheimdienstes NSA. Worauf bezieht sich also der Titel? Auf den genannten Geheimdienst wohl eher nicht, sondern wohl auf den geometrischen Körper, das Prisma. Das ist ein spezieller Polyeder. In der Optik dient das Prisma der Lichtbrechung. Dieser Aspekt scheint passend zum Albumtitel zu sein. Die Reflexion und die Umlenkung von Licht mittels Prisma ließen sich im übertragenen Sinne als die musikalische Brechung und Veränderung begreifen, die sich in der Musik des Quartetts bündelt. Oder?

Auftakt des Albums macht die Komposition „F.J.D“: Stimmen sich die Musiker des Quartetts noch ab, fragt man sich beim Hören der ersten Takte. Es klingt nach einem Klangtaumel, den wir erleben. Dieser wird in erster Linie von Gebhard Ullmann inszeniert. Es mag abwegig klingen, aber bei den Linien, die Ullmann vorträgt, stellt sich für den Rezensenten das Bild von Fliegen und anderen Insekten ein, die auf einer Leimrute die letzten Lebenssekunden schwirrend und surrend verbringen. Die eine oder andere entkommt wohl der tödlichen Falle und fliegt davon, so suggerieren es die Sequenzen, die nachfolgen. Daran könnte man auch angesichts der Kaskadierungen denken, die Michael Jefry Stevens verantwortet. Stevens Spiel ist im Übrigen von „Stürzen“ und „Brüchen“ geprägt. Ton für Ton, Tropfen gleich, beginnt „Prism“. Zerbrechlichkeit scheint dem Spiel von Stevens innezuwohnen, auch wenn hier und da die Basstasten zum Schwingen gebracht werden. Mit Gleichmut erhebt Gebhard Ullmann seine Stimme. Wie in Gerhard Richters Farbschlierengemälden erscheinen die Passagen, die wir hören: flächig-schlierig. Und dann tauchen auch wieder gläsern-zerbrechliche Klänge auf, dank an Stevens am Piano. Wie schwere Schritte, die durch tiefen Schnee stapfen, klingt das Bassspiel von Joe Fonda. Ein bisschen heiser-krächzend hört sich das Saxofon an, das nachfolgend zu vernehmen ist. Ein tiefkehliger Bläser vereint sich mit einem geerdeten Bassisten zu Beginn von „Variation of a Master Plan“. Glockenhell dagegen sind die wenigen Setzungen, die Stevens verantwortet, derweil sich Joe Fonda mit dunklem Plong-Plong Gehör verschafft. Stevens und Fonda bewegen sich dabei in den Klangfärbungen gegenläufig. Ab und an schnarrt das Saxofon im Bariton. Oder ist es nicht eine Bassklarinette, die wir hören? Es scheint im weiteren Fortgang so, als kommentiere Ullmann die im Diskant sich verlierenden Passagen von Stevens. Auch in diesem Stück drängt sich das Bild des Fragments auf, aber nicht im Sinne eines sich zusammenzufügenden Mosaiks.

Zwischen Blues und Work Song mag man „Sal's Song“ einordnen, zumindest in den Anfangspassagen. Mit seinem teilweise freien Spiel durchbricht Gebhard Ullmann im Weiteren den bluesigen Fluss, um dann in Folge wieder darauf zurückzukommen. Scheint da nicht auch Cool Jazz sehr nahe? Bei „The Bee“ denkt ein Schelm vielleicht an ein ähnliches musikalisches Muster wie beim „Hummelflug“ von Nikolai Rimski-Korsakow. Doch weit gefehlt. Die Biene schwirrt beim Conference Call 4tet ganz bedächtig dahin. Wenn man denn zur Musik eine Bildfolge entwickeln mag, dann die, dass die Biene sich anfänglich putzt und dann erst achtsam zum Sammeln von Nektar aufbricht. Ja, ein gewisses Summen ist dank Gebhard Ullmann schon zu hören. Beinahe erinnert die Stimmlage jedoch eher an eine Hornisse als eine Biene. Gibt es in den Melodielinien nicht ein Aufsteigen und ein Absteigen der Biene im Flug zu erleben? Kristalliner Klang vermischt sich mit tiefen Kehllauten und gelegentlichem, hochtönigem Sirren. Was mag das wohl bedeuten? Sind es Klangerlebnisse rund um einen Bienenkorb? Derartige Bilder drängen sich auf, oder? Ebenso scheint es schnell rinnendes Wasser zu geben, das in einer kristallinen Klangsequenz durch Stevens eingefangen wird. Letzter Track auf dem Album ist „Zeit Lupe“: Man beachte die Schreibweise, die suggeriert, man betrachte die Zeit unter dem Brennglas! Eigentlicher Begriffssinn ist jedoch sehr langsame Bewegung oder Bewegung im Schneckentempo. Und wie sieht das musikalisch aus? Ja, das Gebot der Langsamkeit haben alle vier Musiker umgesetzt. Der musikalische Fluss ergießt sich langsam, so auch im Tastenspiel von Stevens, einem gemächlich rinnenden Bach gleichend. Schritt für Schritt folgt Joe Fonda auf seinem Tieftöner. Und auch Gebhard Ullmann ist im Entschleunigungsmodus zu hören.

© fdp


Informationen

https://www.michaeljefrystevens.com
https://michaeljefrystevens.bandcamp.com
https://www.michaeljefrystevens.com/recordings.html

https://www.gebhard-ullmann.com

http://joefonda.com/

http://www.andersmusic.ch/01_musik/02_ah/dieter_ulrich.html

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