Caspar van Meel Quintet - On the Edge

Caspar van Meel Quintet - On the Edge

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Float Music

„Der Titel „On the Edge“ vom neuen Album des Caspar van Meel Quintets ist kein Zufall - hier ist eine Gruppe die sich traut Risiken einzugehen und sich gegenseitig inspiriert, neue musikalische Räumen zu erforschen. Swingen in bester Hardbop-Tradition, afrikanische Beats, krumme Taktarten und dabei grooven wie eine Funkband – das Caspar van Meel Quintet spielt modernen Jazz mit jeder Menge Energie. „Ich möchte Stücke schreiben, die beides sind: intellektuell anregend und emotional bewegend“, sagt van Meel, Bandleader, Komponist und Bassist der Gruppe, über seine Musik. Das sind einige Zeilen aus dem Begleittext zur neusten CD des Quintetts, wesentlich finanziert durch Crowdfunding!

Erwähnenswert ist auch der Text auf der Innenklappe der CD. Dieser kreist um die Frage, die sich der Kontrabassist Caspar van Meel in den letzten Jahren immer wieder gestellt hat: „Soll Musik politisch sein?“ Dabei ist er schonungslos in seinen Worten, auch bezüglich des eigenen sozialen Backgrounds in einem durchaus gutbürgerlichen Umfeld und des Aufwachsens in einer neoliberalen Welt. Doch nun diktieren Klimawandel und Umweltzerstörung den Alltag. Und was macht das mit Musikern, Jazzmusikern? Van Meels Statement ist klar und deutlich: „Jazz has always been a music of resistance and freedom. First, in it's role in the emancipation of the African-American people, but also in the act of making music itself.“ Schlussendlich folgert van Meel, dass wir nunmehr am Abgrund stehen, um einen etwas theatralischen Begriff zu wählen. So gilt es, Orientierungen zu gewinnen. Und warum sollten dabei Musiker nicht durchaus eine entscheidende Rolle spielen.

Doch nun zur Musik, die gemeinsam mit dem Saxofonisten Denis Gäbel, dem Posaunisten Tobias Wember, dem Pianisten Roman Babik und dem Schlagzeuger Niklas Walter eingespielt wurde. Alle sind in der Kölner und der Ruhrgebiets-Jazzszene bestens bekannt, spielen in Großformationen wie dem EJO oder aber in eigenen Bands. Alle Kompositionen, ob „On The Edge“, „For Erik“, „Creole“, „Cataclysm“ oder „Caterpillar“ stammen aus der Feder des aus den Niederlanden stammenden, aber schon lange in Essen lebenden Kontrabassisten Caspar van Meel.

Dramatisch beginnt „On The Edge“. Das ist dem aufgeladenen Klavierspiel von Roman Babik zu verdanken, gefolgt von nervösen Schlagzeug- und Basssequenzen. Sobald die Bläser Teil der musikalischen Arrangements sind, nimmt die Dynamik des Stücks zu. Hört man aufmerksam zu, dann meint man, man verfolge musikalisch einen Wettlauf gegen die Zeit. Dabei sind die Anlehnungen an Hardbop nicht zu überhören. Nach all dem folgt dann ein Solo von Roman Babik, der den Fokus eher auf sich kaskadierend entwickelnde Klanglinien legt. Das Aufbrechen des Quintetts ist von Anbeginn wesentliches Prinzip, sodass es nicht wundert, nach Roman Babik dann Denis Gäbel mit seinem solistischen Auftritt zu hören, dabei die Höhen und Tiefen des Tenorsaxofons auslotend. Und anschließend finden alle wieder zusammen, leicht funky und groovy. Hier und da scheinen auch die Gebrüder Nat und Cannonball Adderley mit ihren distinkten Klangsetzungen nicht fern, oder?

„For Erik“ wird von Tobias Wember eröffnet, der auf den sonoren Posaunenklang fokussiert ist. Man fragt sich als Unbeteiligter, ob dieses Stück als Ode an Eric Dolphy zu begreifen ist? Nein, wohl kaum, denn Dolphys Vorname schreibt sich ja Eric mit c! Dann wäre da ja noch Erik Truffaz, oder? Nun gut, im Gegensatz zum ersten Stück ist der Duktus viel getragener. In diesen Duktus fällt auch Caspar van Meel mit seinem solistischen Auftritt ein. Dabei erweist sich der tieftönig gefärbte Bass durchaus auch in den hohen Tönen zu Hause. Das Stück scheint im Fortgang zwischen Ballade und Lamento zu changieren, auch bei den solistischen Einlagen des Posaunisten und des Saxofonisten.

Liest man den Titel „Creole“, so weckt das Assoziationen an Latin Flair und Calypso, an Werbung für Bacardi Rum und Steel Drums. Doch davon ist eher nichts zu hören. Sehr hörenswert ist das Duett zwischen Schlagzeuger und Bassist, der zartes Meeresrauschen einzufangen scheint, derweil Roman Babik kurze Akzente auf dem Fender Rhodes beisteuert. Versteigt man sich in Bilder, dann kann man sich gut Wellenreiter und auch Kite-Surfer unter tiefblauem Himmel vorstellen. Die Musik vermittelt klangliche Funkenflüge. Flatternde Segel im Wind eines Großseglers sieht man vor dem geistigen Auge, wenn Tobias Wember seine Posaune zum Klingen bringt und anschließend Denis Gäbel mit Phrasierungen auf das eingeht, was Wember ausgeführt hat. Als Nächstes steht dann „Cataclysm“ auf dem Programm. Satt sind die gesetzten Bläserparts. Und beim Hören dieser Bläserpassagen macht der Hörer gedanklich einen Sprung in die 1950er und 1960er Jahre. Nein, das ist kein altbackener Jazz, den das Quintett präsentiert. Die Beteiligten zeigen Spielfreude und Leichtigkeit. Und Tobias Wember macht uns gelegentlich glauben, er spiele nicht Posaune, sondern Trompete. Was wir hören, ist ein organisches Ineinandergreifen, etwas Symbiotisches. Von Aufruhr, Überschwemmung, Katastrophe – all das beinhaltet der Begriff „cataclysm“ – ist nichts zu spüren. Selbst das ausgefuchste Schlagzeugsolo am Ende des Stücks vermittelt keine nahende Katastrophe.

Kommen wir zur „Boca Abajo“, zu „Kopfüber“: Muss man da nicht an Umkehrungen, an Kopfsprünge und Kopfgeburten denken? Wahrscheinlich? Doch zunächst einmal nimmt uns Tobias Wember mit langen Posaunenpassagen mit, ohne Klippensprünge. Und auch die vereinte Bläsermacht ist nicht sturzanfällig und schon gar nicht kopfüber unterwegs. Hier und da scheint eher die Musik von Fela Kuti bzw. Pharoah Sanders und Abdullah Ibrahim aufzublitzen, auch dann, wenn Denis Gäbel sein Tenorsaxofon herrlich schnurren und vorlaut aufbrausen lässt.

Nach einem Ausflug in ein wenig Latin Jazz, man höre aufmerksam „Caterpillar“, folgt der Schlusspunkt des Albums: „Bokonon's Dance“. Bezieht sich Caspar van Meel dabei auf Kurt Vonneguts satirische, postmoderne Geschichte „Cat's Cradle“? Man müsste ihn fragen. So aber lassen wir mal dahin gestellt, ob Bokonon der in dem genannten literarischen Werk vorkommende Charakter und religiöse Führer ist. Bestechend ist das Wechselspiel von Tobias Wember und Denis Gäbel zu Beginn. Das ist nicht stets übereinstimmender Dialog, sondern durchaus kontrastreiche Gegenrede, ehe sich beide ins Ensemble einfügen, das zum Tanz bereit ist. Ja, hier und da hat man schon den Eindruck einer Tanzkapelle im klassischen Sinne, wären da nicht die Ausbrüche und Aufbrüche, so durch das eingestreute Basssolo, das durchaus mehr als nur Fußspitzenwippen hervorruft. Wunderbar ist das nachfolgende Saxofonsolo, mit dem man in Gedanken in einen verrauchten Jazzklub jenseits von Mitternacht abtauchen kann. Und auch die Rhythmusgruppe hat ihre „Blaue Stunde“. Es ist gut, dass van Meel sein Quintett in verschiedene Untergruppen aufspaltet. Abwechslung ist angesagt und nicht ein monolithisches Spiel! Mehr davon, bitte.

© ferdinand dupuis-panther


Informationen

www.floatmusic.de

Caspar van Meel
www.casparvanmeel.com

Tobias Wember
http://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/t/tobias-wember-subway-jazz-orchestra-state-of-mind/
http://www.jazzhalo.be/interviews/tobias-wember-interview-mit-dem-wdr-jazzpreistraeger-und-koelner-posaunisten/

Denis Gäbel
http://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/denis-gaebel-the-good-spirits/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/dirk-schaadt-organ-trio-time-to-change/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/a/axel-fischbacher-quintet-plays-charlie-parker-five-birds/

Roman Babik
http://www.romanbabik.de/

Niklas Walter
http://inventrio-music.de/?page_id=55
https://www.facebook.com/niklas.walter.7

https://www.jazzhalo.be/reviews/concert-reviews/jaggat-über-alle-grenzen-hinweg/

https://www.jazzhalo.be/reviews/concert-reviews/treffpunkt-altstadtschmiede-das-caspar-van-meel-quintett/


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