Jan Klare 3000, Pumpenhaus Münster, 31. August 2022






Im Vorfeld des Konzerts war Folgendes zu lesen: „Vor einigen Jahren hat Jan Klare die Band 1000 gegründet. Ein Quartett mit eigenem Klassik-Verständnis, das sich Wagner, Monteverdi oder Bach ganz neu erspielt hat. Zum Entzücken nicht nur der Kritiker. Jetzt wird das nächste musikalische Level erklommen – als Formation 3000. Die erkundet, vertieft und vitalisiert die Beziehung zwischen amerikanischem und europäischem Jazz. Mit absoluten Größen der Szene! Posaunist Steve Swell darunter, Improvisationsgenie und Protagonist der Avantgarde, der schon von Stars wie Peter Brötzmann oder William Parker für ihre Bands gewählt wurde. Oder Michael Vatcher an den Drums – ein musikalischer Weggefährte unter anderem des legendären Komponisten John Zorn. Bassist Wilbert de Joode wiederum bringt den besten holländischen Swing mit. 3000 lässt all diese Skills zusammenfließen, geht zurück zu den ersten notierten Melodien überhaupt, verwandelt Kompositionen in flüssiges Spiel. Und schafft einmal mehr Neues in jedem Moment.“

 


Vorhang auf für den Saxofonisten Jan Klare, für den Trompeter Bart Maris, für den Posaunisten Steve Swell, den Bassisten Wilbert de Joode und den Drummer Michael Vatcher. Diese Musiker haben eine eigene „Zeitrechnung“: 1000, 2000 und nun 3000, oder? So jedenfalls heißen die Formationen um den in Münster beheimateten Saxofonisten Jan Klare. 2004 wurde die erste Formation unter Jan Klare 1000 ins Leben gerufen. Nun also standen Jan Klare und 3000 auf der Bühne. Nein, so mächtig ist das Ensemble mit einem veritablen „Brass-Satz“ dann doch nicht. Ein Quintett war es, das an einem sommerlichen Mittwochabend die Zuhörer ins Pumpenhaus lockte. Gespielt wurde vor einem fast ausverkauften Haus! Und das ist für ein Jazzkonzert dann doch eher selten und muss an dieser Stelle hervorgehoben werden.


Ohne lange Vorrede und nur wenigen Zwischenansagen zu den Titeln einzelner Stücke ging es gleich in medias res. Doch waren die Titel aus Sicht des Berichterstatters nicht unbedingt relevant, kam es doch auf die Inszenierungen und vor allem auf die klanglichen Feuerwerke an, die das Quintett zündete. Der gewichtige Bass eröffnete das erste Stück. Dabei ließ de Joode seine Finger schlagend auf die Saiten niedergehen. Kurzlaute und Stenographisches erlebte man durch das Gebläse-Dreigestirn. Dabei wechselten sich Maris, Klare und Swell in ihren Klangbeiträgen ab, vereinten sich und trennten sich. Kurze Schläge auf das Drumset waren Vatcher geschuldet. So vernahm man ein trockenes Toktoktok und ein nervös anmutendes Taktaktaktak. Gedämpfter Trompetenklang füllte den Raum. Sonor und distinkt war der Klang des Altsaxofons in den Händen von Jan Klare. Marschierte da nicht im nächsten Moment eine Brass Band auf die Bühne? Hörte man nicht Anmutungen an eine Marching Band, die einen Trauerzug begleitet? Man konnte diesen Eindruck für einige Momente gewinnen. Derweil erging sich der Bassist im Fingerspiel. Hin und wieder traktierte er die Saiten, statt sie zu zupfen oder mit dem Bogen zu streichen. Die Bläser schienen nachfolgend in eine hitzige Debatte verstrickt. Da vernahm man Kommentierungen, Rede und Gegenrede. Und dann, ja dann, meinte man, man höre einen Fanfarenzug bzw. einen Spielmannszug, der zu einem Volksfest aufspielt, oder? Hart sausten die Sticks dazu auf Felle und Bleche. Es schien, als wolle Vatcher für die notwendigen Fundamente sorgen, auf die die übrigen Klangbilder fußten.


Im nachfolgenden Stück war Bart Maris am Flügelhorn zu erleben. Doch einen samtenen Klang hörten wir nicht. Die Posaune, die Steve Swell an diesem Abend gelegentlich auch „demontierte“ und zudem auch als Perkussionsinstrument nutzte sowie zu Klangvibrationen führte, nahm hörbar Atemluft auf, jenseits von Tonsilben. Kurz gestrichen wurde dazu der Bass. Dunkle Klangfärbungen nahmen ihren Raum. Auch Swell reizte aus seinem Blechbläser dessen klangliche Erdigkeit aus. Im „Zweigesang“ zwischen Posaune und Bass nahm das Stück seinen Lauf. Kurz gebundenes Trommeln drang aus dem Hintergrund an den „Bühnenrand“. Doch das eher Düstere-Symbolistische bestimmte dank de Joode und Swell den Klang bis zum Schluss.


Munchs symbolistische Gemälde, mit und ohne „Schrei“, tauchten unter Umständen vor dem geistigen Auge einiger Anwesenden auf, als das nächste Stück angestimmt wurde. Schwang da nicht auch Neoromantisches mit? War da nicht auch die Form eines Liedes Teil der Komposition und Improvisation? Der Berichterstatter hatte jedenfalls diesen Eindruck. Im weiteren Verlauf tauchten noch andere Bild auf, folgte man der musikalischen Inszenierung mit den sorgsam gegossenen Klangformen. Brügge im Nebel, Grau in Grau, einst von Fernand Khnopff gemalt, schien dabei ein Bezug von der Musik zur bildenden Kunst, oder? „Leere“ im übertragenen Sinn und trotz eines Klanginfernos „füllte“ das Pumpenhaus. Und waren da nicht auch tippelnde Schritte im Nebel auszumachen, dank an den Drummer?

  


Im Nachgang wurde dann „OCJ“ gespielt – so lautet auch die jüngste Veröffentlichung des Quintetts 3000. Eigentlich, so Jan Klare müsste es eigentlich „JCO“ (kurz für Jazz Composers Orchestra (?)) heißen, aber das habe man so oft gespielt, dass man es nun mal mit einer Rückwärtsversion versuche. Flüchtig skizziert schien das, was wir hörten. Fließende Schraffuren des Klangs nahmen wir wahr. Hatte hier nicht auch Hanns Eisler für einige Passagen Pate gestanden? Urban und nach der Umtriebigkeit von Metropolis klangen die Sequenzen, die die Bläser verantworteten. Bildlich sah man dabei Trams und Busse umherfahren; Massen von Fußgängern bewegten sich im Eiltempo und verschwanden im Schlund der U-Bahn. Maris ließ dazu seine Trompete schmettern und de Joode die Finger auf die Saiten seines Tieftöners hämmern. Man musste als Zuhörer im weiteren verlauf des Stücks auch an Windgesäusel und an Malstrom denken, oder? Und schließlich schien auch ein wenig Theaterdonner aufzuflammen.

 


Beatbox auf der Trompete und eine entsprechende Bassantwort schienen dann einem Zwischenspiel zu gleichen. Oder war das nur die gekonnte Eröffnung des nächsten Stücks "musikalischen Weltentheaters"? Für die Momente des Theatralischen wechselte Maris das Instrument und griff zur Piccolotrompete, derweil de Joode auch den Notenständer als Klangvarianz einbrachte, mit dem Bogen gestrichen. Dazu passend saß Vatcher an der singenden Säge, die allerdings eher jaulte und wimmerte. Mit der flachen Hand schlug dazu Swell auf die mundstücklose Posaune. Ein explosives Plop lag in der Luft und traf auf Atemströme aus dem Altsaxofon von Jan Klare. Dass man die Posaune auch mit einem ausgeklinkten Zugrohr spielen kann, unterstrich Swell im Weiteren. Irgendwie schien auch das Gezwitscher einer Vogelschar hörbar, sobald das Stück seine Fortsetzung fand. Ein Schelm, wer da an Olivier Messiaens „Oiseaux exotiques“ dachte . Doch Exotisch war es schon, was das Quintett da an Klangverschiebungen und -färbungen zum Besten gab.

 


Im Verlauf des Abends waren wir auch zugegen, als das Quintett sich wohl der orchestralen Musik der 40er und 50er Jahre annahm. Waren dabei nicht auch Bop-Diktionen mit im Spiel? Auch ein Parforceritt in jazzigem Gewand wurde zum Schluss vorgetragen. Der Schlussbeifall beflügelte das Quintett dann noch zu einer Zugabe. Und Jan Klare ließ dafür feinmaschige Flötentöne hören.  Ein fulminanter Abend fand sein Ende, und eigentlich wollte keiner der Anwesenden nach Hause gehen, aber ...

© Fotos und Text ferdinand dupuis-panther




Info

https://janklare.bandcamp.com/album/plant

https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/r/rket-rekort/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/b/bambostic-dj-s-nightmare/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/b/bart-maris-voorkamer-achterkamer/
https://www.jazzhalo.be/reviews/concert-reviews/750-bart-maris-jan-klare-wilbert-de-joode-plus-dominik-mahnig-in-de-lokerse-jazzklub/
https://www.jazzhalo.be/reviews/concert-reviews/1000-anthems-to-work-on-the-good-end-bunker-ulmenwall-bielefeld-13-juni-2017/
https://www.jazzhalo.be/interviews/jan-klare-im-gespraech-mit-dem-saxofonisten-und-bandleader/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/j/jan-klare-solo/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/j/jan-klare-alex-schwers-frustice/




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