Kaspar Tom im Konzert: von Aarhus nach Münster

Der dänische Schlagzeuger und Komponist Kasper Tom hat eine Gruppe von sehr versierten Musikern aus der europäischen Jazzszene versammelt. Die Band ist ein Versuch, einen neuen Sound durch Eigenkompositionen zu finden, die die Individualität und künstlerische Identität jedes Musikers erfordern und herausfordern. So sind Kasper Toms Kompositionen stets auch auf die einzelnen Bandmitglieder ausgerichtet. Bereits beim Komponieren, so Kasper Tom, bedenke er, wer welche besonders komplizierten Parts am besten umsetzen könne. Komplexe Strukturen und expressive Konstruktion und Dekonstruktion des Materials sind Bestandteil jeder Komposition, die weniger das Narrative, das Lyrische und die Melodie suchen. Geschichten werden durch die Musik von Kasper Tom nicht lebendig, auch wenn Kasper Tom bei Liveauftritten mit Geschichtchen nicht geizt, auch und gerade um den Zugang zum Publikum zu finden.

Die Band um den Schlagzeuger Kaspar Tom besteht aus dem aus Nürnberg stammenden Rudi Mahall (Bassklarinette), dem aus der Nähe Warschaus stammenden und nun in Kopenhagen lebenden Tomasz Dabrowski (Trompete), dem in Malmö geborenen Petter Hängsel (Posaune) und dem aus Aarhus kommenden, aber nun in Berlin lebenden Jens Mikkel Madsen (Bass).

Das Konzert in der Black Box war ein CD-Release-Konzert. Vorgestellt wurde das jüngste, bei Barefoot Records veröffentlichte Album mit dem ein wenig hölzern wie aber auch hintergründig geratenen Titel „I Admire Things That Are Only What They Are“. Kurios ist es schon, dass der Titelsong nicht auf der Veröffentlichung zu finden ist, aber, so Kasper Tom im Konzert, zum Zeitpunkt der Aufnahmen sei das Stück noch nicht vollendet gewesen und vielleicht sei es das auch immer noch nicht, auch wenn man es denn live immer wieder spiele, immer besser spiele.

Wie bei einem Release-Konzert nicht anders zu erwarten, wurden alle ansonsten erschienenen Kompositionen aus der Feder von Kasper Tom vorgestellt, angefangen mit „Hvid“ (dt. „Weiß“) – die Farbe, die keine ist, wie Kasper Tom bei der Zwischenansage bemerkte – über „Ny Spor“ („Neuer Weg“ oder auch „Neue Bahn“) bis hin zu „Life“, den schönen Töchtern von Kasper Tom gewidmet – so Kasper Toms Originalton im Konzert.

Bereits zu Beginn des Konzerts wurde klar, dass angesichts der komplexen musikalischen Strukturen aufmerksames Zuhören erforderlich war. Das Stück „HVID“, eigentlich für ein Duo geschrieben, erhielt beim Auftritt eine ganz neue Farbstruktur. Dezent war das Schlagzeugspiel von Kasper Tom, der sich in diesem wie auch bei anderen Kompositionen nie in den Vordergrund drängte, sondern hintergründig agierte, aber dabei nie den Blick fürs Ganze verlor. Den Hornisten und dem Holzbläser gehörte weitgehend die Bühne. Sie agierten musikalisch so, als ginge es um ein Hin und Her, aber auch so als würden ein stetes Gewusel, ein Auflauf von Menschen, eine Brandung oder ein Lüftlein in Tonschemen umgesetzt. Als das Duett von Trompete und Bassklarinette begann, hatte man das Bild eines Herbstspaziergangs durch raschelndes Laub vor Augen. Doch irgendwie stellte sich die Nicht-Farbe Weiß nicht wirklich bildlich ein. Im Fortgang des Stücks überkam den Zuhörer die Vorstellung von Rede und Gegenrede, von These und Gegenthese, von Vortrag und Kommentar, als die tieftönige Posaune auf Trompete und Bassklarinette traf. Warnrufe gab die Trompete ab. Stoisch blieb die Posaune. So wurde vor unseren Augen eine bunte musikalische Palette ausgebreitet, auf der auch, aber nicht ausschließlich Weiß zu finden war, irgendwo in einer winzigen Ecke. Doch: Ist nicht Weiß die Summe aller miteinander vermischter Farben?

Als Bewohner von Aarhus, der zeitweilig auch in Berlin gewohnt hat, bedauerte Kasper Tom das jüngste Verschwinden einer direkten Bahnverbindung zwischen den beiden Städten, ein „Verdienst“ der neuen Regierung. Umso mehr seien denn auch „neue Wege“ von Nöten, so Kasper Tom. Gesagt, getan: „Ny Spor“ stand auf dem musikalischen Menü des Abends. Als die Bläser begannen, klang es so wie „Vorhang auf“, so als würde gerade eine Jungfernfahrt gefeiert werden. Hört man da nicht eine alte Lok Züge ziehen? Die Gleisanlagen schienen auch nicht mehr auf dem neusten Stand, so signalisierte es das Klongklonkklong, das Kasper Tom seinem Schlagwerk entlockte. Irgendwann schien sich die Fahrt zu verlangsamen. Ja, man konnte das Quietschen der Bremsen vernehmen, eher sich vorstellen, als Tomasz Dabrowski seine gedämpfte Trompete an die Lippen gesetzt hatte. Sehr nachhaltig im Gedächtnis blieb das Solo von Rudi Mahall, bei der sich das Bild einer durch Wald und Heide zuckelnden Bimmelbahn im Kopf des einen oder anderen Zuhörers einstellte.

Schon einmal etwas von Bigos gehört? Wer sich mit polnischer Küche nicht auskennt, gewiss nicht. Doch Kasper Tom und seine Mitstreiter sind dort des öfteren. So kennen sie das aus Fleisch und Kohl bestehende Gericht. Das schmecke erst richtig, wenn es zehn Jahre alt sei, so Kasper Tom mit einem gewissen Augenzwinkern, als er „Bigos in Bydgoszcz“ ankündigte. Jens Mikkel Madsen eröffnete das Stück am Bass, ehe dann Tomasz Dabrowski seine Trompete in eine Atem- und Windmaschine verwandelte. Finger schlugen auf den Bass, trommelten die Saiten, so als wäre Rockabilly angesagt. Doch uns wurde ja ein Kohlgericht serviert. Zirpen, Heulen, Jaulen, Quietschen – das waren die Geräusche, die der Trompete nachfolgend entlockt wurden. Irgendwie hatte man den Eindruck, dass das gereichte Kohlgericht nicht unbedingt mundete.

Der männlichen Eitelkeit, insbesondere von Männern jenseits der 30, so Kaspar Tom, widmete sich das Quintett bei dem Stück „Vanity“. Zwischen exaltiertem Entzücken und dem „verlorenen Ich“ changierten die Harmonien und die angespielten Themen. Nicht „Stand and deliver“ hieß es nachfolgend, sondern „Play or die“. Auffallend war das zu Beginn gesetzte Duett von Posaune und Trompete. Teilweise gedämpft gingen die Hornisten ins Spiel. Quirlig zeigte sich nachfolgend Rudi Mahall an seinem Tieftöner, derweil die Trompete schmutzig-spitz klang. Welche Laufvarianz einer Trompete zu entlocken ist, unterstrich Tomasz Dabrowski im weiteren Spielverlauf.

Beinahe orchestral mutete der eigentliche Titelsong der CD an, der allerdings bisher nicht auf einer Scheibe erschienen ist. Auch der Politik wandte sich Kasper Tom 5 an diesem Abend zu. In „Vranjo“ ging es um Lügen in der Politik. Putin sei da ein sehr gutes Beispiel, so Kasper Tom, über ihn werden wahre Legenden verbreitet. Man berichtete, er könne ohne Luft zu holen tauchen und habe einen Eisbären erlegt. Doch alles ist nur eine erfundene Geschichte, ein Lügenmärchen. So spitzten alle im Saal die Ohren, als „Vranjo“ angestimmt wurde. Trompete und Posaune ließen sich dabei auf einen Wechselgesang ein, der nach Meldung und Dementi, Rede und Gegenrede, Darstellung und Gegendarstellung klang. Mit der Präsentation von „Life“ war eigentlich Schluss, doch der lange und wirklich ehrlich gemeinte Beifall bewegte die Musiker dazu, auf die Bühne zurückzukehren und sich mit „Butt Crack Blues“ vom Münsteraner Jazzpublikum zu verabschieden.

text und fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Musiker
http://kaspertom.com/

Audio
https://soundcloud.com/kasper-tom/kasper-tom-5-life

Video
https://www.youtube.com/watch?v=kc2gHYTUbso
https://www.youtube.com/watch?v=dim2nebd06o

Venue
Cuba Black Box
http://www.blackbox-muenster.de/index.php?id=271

 


In case you LIKE us, please click here:




Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet


our partners:

Clemens Communications


 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst