Nathalie Loriers – Le Temps Retrouvé

Nathalie Loriers – Le Temps Retrouvé

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Igloo records

Was nunmehr vorliegt, ist das dritte Album des Trios von Nathalie Loriers, die ohne Frage zu den belgischen Musiker von Weltformat gehört und 1999 mit dem prestigeträchtigen Django d’Or bedacht wurde. Zu ihrem Trio gehören die niederländische Saxofonistin Tineke Postma und der belgische Kontrabassist Nic Thys. Neben ihrem Trio ist Loriers aber auch in einem Sextett mit Frank Vaganée, Kurt Van Heck und Laurent Blondiau zu hören. Zudem formt sie mit dem tunesischen Oud-Spieler Yade Elyes ein Duo. Ist die in Namur geborene Pianistin nicht auch Teil des über die Grenzen Belgiens hinaus sehr bekannten Belgian Jazz Orchestra? Ja, gewiss! Zudem arbeitete sie in der Vergangenheit mit Jazzmusikern wie Sadi, Jacques Pelzer, Steve Houben, Toots Thielemans, Philip Catherine, Aldo Romano und außerdem auch Lee Konitz zusammen.

Nun also legt sie ihr jüngstes Album vor. Darin enthalten sind bis auf „Round Midnight“ (Th. Monk) nur eigene Kompositionen, als da unter anderem wären: „Le temps retrouvé (dedicated to Marc Maréchal)“, „Zephirs“,  „Rebirth“, „After“, „Shanti“ (in memory of Rik Bevernage), „Rafaels“ und zum Schluss nochmals „Shanti“.

Mit einem Stück über die zurückgewonnene Zeit wird das Album aufgemacht. Lauscht man den melodischen Linien, vor allem die der Saxofonistin Tineke Postma, dann hat man das Bild von dahinrinnender Zeit vor Augen, muss unter Umständen an die zerfließenden Uhren in einem der surrealistischen Arbeiten Dalís denken. Nic Thys nimmt uns mit seinen tiefen tonalen Setzungen ein. Dicken Regentropfen, die einzeln niedergehen, gleicht das, was Thys seinem dickbäuchigen Saiteninstrument entlockt. Derweil lässt Loriers perlenden Klangregen auf den Zuhörer niedergehen, vornehmlich dabei im Diskant unterwegs. Man denkt nicht nur an wiedergewonnene Zeit, sondern auch an verlorene Zeit, vergangene Zeit, an Zeit der Sehnsucht, an Gezeiten, an Wandel der Zeit, wenn man dem Fortgang des Stücks folgt, oder? Angenehm ist die weiche Stimme von Tineke Postma. Dabei ist man hier und da geneigt davon auszugehen, dass das Altsaxofon durchaus in Sopranhöhen abdriftet. Mit einem bewegten Bass-Solo macht „Zephirs“ auf. Tänzerische Schritte meint man wahrzunehmen. Lässt da Tineke Postma im Nachgang nicht ein Sopransaxofon erklingen? Die genaue Instrumentierung fehlt leider auf der Plattenhülle des Albums. Sonores Feingebläse ist jedenfalls auszumachen. Das Saxofon scheint hier nicht exaltiert und im selbstverliebten Klangrausch, sondern fügt sich harmonisch in den Trio-Kontext ein. Hier und da gibt es Anmutungen von Klarinettenklang, oder? Auf- und absteigend ist das Linienspiel, dem sich die niederländische Saxofonistin widmet. Dabei gleicht das Spiel einem warmen Föhnwind, der über die wellige Landschaft streift. Dahinrinnend ist das Spiel auf den schwarzen und weißen Tasten, das Nathalie Loriers zu verdanken ist. Ab und an scheinen Klangstrudel und Stromschnellen im Spiel vorhanden zu sein. So scheint es eine Entsprechung zwischen dem Höreindruck und naturalistischen Landschaften zu geben, die wir unter anderem Johann Christian Dahl verdanken, der Kaskaden und Wasserfälle seiner norwegischen Heimat brillant auf die Leinwand gebannt hat.

In ihren eigenen Duktus hat Loriers „Round Midnight“ transponiert. Jedenfalls ist der „Monkismus“ nur noch sehr verwischt auszumachen. Eher überkommt den Zuhörer der Eindruck, er würde einer Komposition von Brahms lauschen. Leicht melodramatisch gesetzt ist das Arrangement des Monk- Stücks. Es ist eher schon Nic Thys, der Monks Spielweise des Plink-Plonks in seinem Saitenspiel aufgreift. Derweil ergeht sich die Pianistin im Elegischen. Auch Tineke Postma bricht nicht aus, sondern bleibt in ihrer Sprache dem Wehmütigen verpflichtet, aber nicht nur. Ihrem Spiel kann man auch frühlingshafte Farbnuancierung zuschreiben. Dabei gleicht das, was an unser Ohr dringt, dem Flug eines Zitronenfalters, der von Blüte zu Blüte schwirrt. Dem „Danach“ ist das Stück „After“ gewidmet. Dabei trifft Tieftöniges auf kaskadierenden Tastenklang, hat man den Eindruck eines gewittrigen Grollens in der Ferne. Doch sobald Tineke Postma ihren Holzbläser zum Klingen bringt, ändert sich der Charakter des Stücks. Es ist, als ob die Saxofonistin ein aufgerissenes Wolkenbild malen würde, in dem die Sonne sich ihren Weg bahnt. Sehr lyrisch angelegt ist im Weiteren das Tastenspiel der Pianistin Nathalie Loriers. In einigen Abschnitten des Stücks meint man gar, Bezüge zu klassischer Musik der Neoromantik zu erkennen.

„Shanti“ (in memory of Rik Bevernage) ist ein Stück das dem im März 2018 verstorbenen Rik Bevernage gewidmet ist. Ohne ihn hätte es niemals „Jazz!Brugge“ gegeben. Auch das unabhängige Plattenlabel „W.E.R.F.“ ist ein Kind von Rik Bevernage, der jahrzehntelang die Geschicke des Brügger Kulturzentrums gleichen namens mitgelenkt hat. Dass es dort die Musik des 20. Jahrhunderts genannt Jazz zu hören gab, ist gewiss auch ein Verdienst von Rik Bevernage. Nicht nur Loriers widmete ihm aus Anlass seines wiederkehrenden Todestages eine eigens für diesen Anlass entstandene Komposition, sondern auch andere Musiker – siehe Contraire 2021. Das Stück gleicht einem Lamento, dem Ereignis also angemessen.

Wellige Linien, verwischte Schlieren, lange Schleifenformen, verwegenes Schlingenspiel – das findet sich in „Rafaels“ zumal dann, wenn Tineke Postma das Stück solistisch eröffnet. Im Weiteren setzt die Pianistin nachhaltige Tastenakzente als Gegenstück zu den weichen Schwüngen, die die Holzbläserin schraffiert. Bilder von tanzenden Papierdrachen am Himmel drängen sich beim Zuhören auf, aber auch an mutige Wellenreiter, die mit den Wellenkämmen spielen, muss man beim Zuhören denken. Dabei überzeugt Tineke Postma mit ihrem Spiel, das der Sopranstimme gewidmet scheint. Abgeschlossen wird mit „Shanti“, einem getragenen Stück voller Melodramatik und zugleich eine Variation des Stücks, das Rik Bevernage gewidmet ist, so der Höreindruck.

© Ferdinand Dupuis-Panther


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