Harry Mitchell Quintett – Archetypes

Harry Mitchell Quintett – Archetypes

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self production

Dass der in Westaustralien beheimatete Pianist Harry Mitchell für sein jüngstes Album die Inspirationen aus dem Werk des Schweizers Psychiaters Carl G. Jung bezog, erstaunt. Ausgeführt wurde dies anlässlich der Veröffentlichung nicht. So bleibt der unmittelbare Bezug zwischen Musik und Jung doch eher nebulös. Bei dem sechsten Album unter eigenem Namen wollte Mitchell ein einziges Thema umsetzen, vor allem bezüglich des Zusammenhangs von Alltag und Musik. Jungs theoretische Arbeiten zum Konzept von Archetypen schienen eine geeignete Brücke zu dem, was Mitchell musikalisch im Sinn hatte. Dabei entdeckte Mitchell Bezüge zwischen den Symbolen und Ideen, die das universelle menschliche Bewusstsein ausmachen, und der Form von Kommunikation zwischen Musikern. Im Falle von Jazz ist das die Improvisation.

Dazu ein O-Ton von Mitchell: „They are all consciously and unconsciously deciding on the shape of a composition through their improvisation. In a way, musicians use musical archetypes to communicate ideas with each other and the audience.“ Auffallend ist bei dem Album, so liest man es in der Pressemitteilung, der musikalische Einfluss von Cecil Taylor und Steve Coleman auf die musikalischen Ausformungen, die Mitchell wählte. Und noch ein O-Ton beleuchtet den Charakter der Musik Mitchells: Komponist und Hochschullehrer an der Monash University Melbourne Johannes Luebbers fasst seinen Eindruck vom Abum so zusammen: „Mitchell moves with ease from up-tempo, post-bop jazz language, through odd time grooves,fleeting moments of free improvisation and sensitive ballad playing – retaining a sense of joyful exploration throughout.’’

Um das selbstverlegte Album Archetypes zu realisieren, tat sich Mitchell mit dem Saxofonisten Jamie Oehlers, dem Bassisten Karl Florisson, dem Trompeter Ricki Malet und Drummer Ben Vanderwal zusammen. Sie spielten „Shaman“ und „Creator“ ebenso ein wie „Anima“, „Jester“, „Ruler“ sowie „Hero“ und zum Ende „Fleadom“.

Gewiss kann man nun vor dem Hören des Albums ein „Kurzstudium“ der Jung’schen Schriften anfangen, aber die Frage ist doch, ob das zur Dechiffrierung der Musik beiträgt. Geht es in der Musik nicht um Töne, um Tonfolgen, um Tonsilben, wenn man so will auch um Morpheme, um Fragmente, Mosaiksteinchen, ein Puzzle und zu aller erst um den spontanen Höreindruck? All das scheint mir mit Ja zu beantworten zu sein, sodass ein Einlassen auf Mitchells musikalisches Werk jenseits von Carl Jungs Schriften angezeigt erscheint.

Gleich beim ersten Stück unternimmt man eine Zeitreise zurück in die Blütezeit von Bebop. Pointierte Klaviersetzungen verschmelzen mit dem Gebläse von Saxofon und Trompete. Nachfolgend gibt sich Harry Mitchell ganz gelöst und swinging. Da vernimmt man tropfende, perlende und rinnende Tonsilben, durchaus mit Up-tempo. Man könnte meinen, Mitchell hätte eine rasante Schlauchbootfahrt über Wildwasser vertont, als er „Shaman“ im Sinn hatte. Ebenso dynamisch wie der Pianist agiert im Weiteren auch der Saxofonist, der Ton an Ton zu einem Schleifengebilde bindet. Unablässig am Werk ist hintergründig die Rhythmusgruppe, die für das Tempo sorgt. Beim Zuhören fragt man sich gelegentlich, ob da Jamie Oehlers am Alt- oder am Tenorsaxofon agiert. Mit feinster Würze übernimmt dann der Trompeter das musikalische Zepter, ehe es an Jamie Oehlers und Rick Malet ist, das Thema vor dem Schlussakkord anzustimmen.

Mit starker Basshand eröffnet Mitchell sein Stück „Creator“. Stufige Schraffuren der Bläser schließen sich an, derweil die Basshand beinahe ostinat eine feste Größe bleibt und gleichsam als ein Grundmuster angesehen werden kann. Ans Ohr des Hörers dringt dann ein Wechselspiel von Trompeter und Saxofonist. Nachfolgend gehört der Hörraum dem Pianisten. Bildlich gesprochen setzt Mitchell eine Wasserwalze an einem Wehr in Klangfolgen um. Mal bedrohlicher im Bass klingend, mal weniger im Bass, sondern im Diskant agierend. Dabei meint man, Glas würde zerspringen bzw. Wassertropfen aus großer Höhe einzeln auf ein Blech niedergehen.

In ruhiges Fahrwasser geleitet uns der Pianist bei dem Stück „Anima“, für Seele stehend und eine zentrale Kategorie in der Jung’schen Lehre. Jenseits dessen meint man, die Musik zeichne das Klanggemälde einer abendlichen Stimmung. Die Sonne versinkt dabei langsam am Horizont. Der Alltag entschleunigt sich. Einige Flaneure sind noch unterwegs. Die Lichter der angesagten Cafés und Restaurants erfüllen die Straßen ebenso mit Licht wie die Neonreklame. Zur Stimmung von Gelassenheit und Ruhe trägt in diesem Stück auch das Solo des Bassisten  Karl Florisson bei. Die Minuten rinnen dahin, die Stunden – das unterstreicht unter anderem der Pianist mit seinem sensiblen Tastenspiel.

Selten genug darf ein Drummer mal die Einleitung eines Stücks übernehmen. Das ist jedoch bei „Jester“ der Fall. Doch lange ist Ben Vanderwal nicht allein auf weiter Flur. Dann bestimmen die beiden Bläser die Klangfärbungen, entführen uns in die Zeiten von Bebop und hier und da meint man, Nat and Cannonball Adderley oder auch „Bird“ seien zu hören. Übrigens hier und da verfällt Mitchell bei seinem Vortrag in einen Monk’chen Duktus, oder? Abschließend noch ein Wort zur Komposition „Hero“: Auch bei diesem Stück zeigt sich für kurze Momente der Drummer, ehe dann die dunklen Piano-Färbungen über das Klick-Klick der Sticks gelegt werden und schließlich vollmundig Saxofonist und Trompeter das Wort führen. Teilweise klingen die beiden Bläser so, als würden sie ein Hohelied auf einen Helden anstimmen. Doch der Eindruck scheint zu täuschen. In freien Passagen, in denen wir die beiden Bläser außerdem erleben, lassen sich eher wohl Versagen und Scheitern heraushören. Zumindest aber lassen uns die melodischen Linien folgern, dass der Held ein Getriebener ist, ein Getriebener mit Zweifeln. Oder doch nicht?

© ferdinand dupuis-panther




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