Hans Lüdemann: Das reale Klavier. Ein Kölner Konzert

Hans Lüdemann: Das reale Klavier. Ein Kölner Konzert

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BMC CD 219

Ist ein Klavier nicht immer real, also existent, auch in stofflicher Hinsicht? Nicht unbedingt, denn es gibt ja auch die Möglichkeiten des Virtuellen durch Samplings. Doch betrachtet man die Abbildung des Musikers im Booklet der CD, so sitzt er gar an zwei Klavieren. Eines davon scheint ein E-Piano. Der aufgeklappte Laptop im Hintergrund deutet unter Umständen auf das Sampling hin. Zudem entdecken wir ein weiteres Manual auf dem Flügel, den Hans Lüdemann bespielt.

Lüdemann scheint ähnlich wie Rubinstein, so jedenfalls sein Statement im Booklet, davon auszugehen, dass ein Klavier „ein Orchester aus 100 Instrumenten“  ist. „Seine Möglichkeiten erscheinen fast unbegrenzt. Sitzt man selbst am Klavier, so spürt man, wie seine Vibrationen, der Körperschwall, sich auf den eigenen Körper übertragen ...“.

Bezüglich seiner Kompositionen führt der Pianist Hans Lüdemann aus, dass er in seinen Solokonzerten nunmehr eine Verbindung von improvisatorischer Freiheit und strukturierten kompositorischen Formen gefunden habe. Insgesamt neun Kompositionen finden sich auf dem vorliegenden Album, in dem ein Piano und ein virtuelles Piano eine Symbiose eingehen. Alle Kompositionen stammen von dem Pianisten, wobei „Arabesque“ eine Auftragsarbeit für Steinway & Sons ist.

Das Album wird von einem Vorspiel eröffnet und endet mit einem Musikstück in freier Form mit reichen Verzierungen, so die Definition von „Arabesque“. Übrigens, was wir hören, ist ein Mitschnitt eines Konzerts im Kölner LOFT!

Ist das Klavier verstimmt? Es scheint fast, wenn die ersten Takte des Stücks „Blaue Kreise“ erklingen. Oder wurde das Klavier mechanisch durch Verstellen der Saiten oder durch das Einbringen von Fremdkörpern zwischen die Saiten manipuliert? Im weiteren Verlauf vergeht die Verstimmung und man hat bisweilen den Eindruck, Ragtime feiere streckenweise ein Revival. Doch das sind nur kurze Zwischenschritte, ehe es dann wieder schrill und verstimmt klingt. Ein wenig muss es sich so wohl anhören, wenn ein Klavierstimmer am Werk ist, um das gute Stück wieder in Balance zu bringen. Ob diese Passagen nun per Computerprogramm bearbeitet wurden oder gar, wie oben angedeutet, doch „analog“ zustande kamen, erfahren wir auch aus dem erwähnten Booklet nicht. Was wir jedoch hören, ist ein überaus „rollendes Spiel“ abseits eines Walking Bass, den wir aus dem Boogie kennen. Dieses wird stets infrage gestellt und aufgelöst. Paraphrasierungen wechseln sich mit gänzlich strukturierten Sequenzen ab, die durchaus auch sehr überschäumend wirken.

Was kann man erwarten, wenn eine Komposition den Titel „Heartbeats“, also Herzschlag trägt? Doch wohl ein auf stete Intervalle abgestimmtes Spiel. Diese liegt auch für die Linke, also die Basshand deutlich wahrnehmbar vor. Darüber „gleiten“ die Klangwolken, die der Rechten von Hans Lüdemann zu verdanken sind. Irgendwie scheint zwar der stete Herzschlag maßgeblich, aber auch ein Frohlocken, eine Leichtigkeit, eine Schwärmerei. Irgendwie muss man beim Zuhören an einen herrlichen Sonnentag denken, den man am Meer verbringt. Strandspaziergang, ein Eis, barfuß in den Dünen, eine Brandung, die am Strand ausläuft – das sind durchaus Assoziationen, die mit dieser Komposition einhergehen. Nach einem zweiten Vorspiel hören wir dann „Spring Rites“. Sollen wir dabei an die Saufgelage von Studenten amerikanischer Colleges denken, die am Ende des Semesters die Sau rauslassen? Orgiastisch klingt es nicht, was uns Hans Lüdemann zu Gehör bringt. Lyrisches wechselt sich mit energetisch-akzentuiertem Spiel ab. Dabei scheint der Duktus eine gewisse Nähe zu Dollar Brand aka Abdullah Ibrahim aufzuweisen. Sehr gelungen ist das Wechselspiel zwischen dem Lyrischen und dem Dramatischen. Nur die Frage bleibt: „Was erzählt uns Hans Lüdemann eigentlich?“ Bewegt ist das Stück auf alle Fälle. Auch eine gewisse Unruhe und Zerrissenheit scheint es ausdrücken zu wollen. Auffällig ist m. E. der Gegensatz zwischen dem scheinbar Statischen – der Basshand – und dem Variablen – der rechten Hand.

Lauschen wir dem Konzert, dann sind wir im Weiteren Ohrenzeuge eines „Liebesgeständnisses“, das ein wenig nach einem verhinderten Dialog klingt. Es scheint eher ein Monolog, bei dem der eine Partner nur mit einem Hmhm oder Ja zu Worte kommt – so wäre aus meiner Sicht der Basslauf zu interpretieren. So bleiben Liebesschwüre und Liebesgesäusel nicht ohne ein Aber. Doch davon lässt sich der Verliebte nicht abbringen und insistiert, dass es nur eine große Liebe gibt. Immer wieder erfolgt die Liebeserklärung mit sich nahezu wiederholenden Passagen. Im Verlauf nimmt dabei hörbar die Dramatik zu. Irgendwie klingt es dann auch ein wenig genervt, denn alles scheint doch so einfach: ein Wort – die Liebe, aber … .

Ist das Stück „Rollende Steine“ eine Verneigung vor den Rolling Stones oder war das Stück doch eher inspiriert von „Papa Was A Rolling Stone“? Die Antwort bleibt im Dunkel. Nicht nur die Basshand sorgt bei diesem Stück für den rollenden Melodiefluss, sondern auch die Rechte. Mal scheinen die rollenden Steine klein, mal riesige Felsstücke, mal rollen sie langsam, mal kaskadierend. Mal türmen sich die Steine übereinander, und mal scheinen sie übereinander zu purzeln. Sind wir Ohrenzeuge eines Steinschlags, der ja ähnlich wie eine Lawine ins Rollen kommt und dann nicht mehr aufzuhalten ist? Man muss es vermuten.

Das vorliegende Album ist gewiss auch für Liebhaber klassischer Musik ein Hörgenuss, da die Improvisationen nie ins Unendliche entgleiten und die Themen stets erkennbar bleiben.

Text: © ferdinand dupuis-panther


Informationen

Label

BMC
http://www.bmcrecords.hu

Musiker

Hans Lüdemann
http://www.hansluedemann.de/


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