Filippa Gojo & Sven Decker: daheim

Filippa Gojo & Sven Decker: daheim

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Green Deer Music GDM 09

Ein Duo ist eine sehr intime Form. Das gilt auch für das Duo Filippa Gojo & Sven Decker.

Bei einem Duo gibt es keine Momente der Entspannung. Permanent müssen beide Beteiligten bis in die Haarspitzen angespannt sein, stets auf den anderen reagieren und zugleich auch selbst agieren. Das Instrumentarium, auf das die Musiker aktuell zurückgreifen, ist überschaubar. Bei Filippa Gojo ist es vor allem ihre Stimme, die fernab von Lyrik als Klangkörper eingesetzt wird, gleichsam ein Sopransaxofon ohne Atemrohr. Zudem spielt die aus Vorarlberg gebürtige Wahlkölnerin noch Shrutibox, Kalimba und Sansula. Der in Essen ausgebildete und nun in Köln beheimatete Sven Decker ist an der Klarinette, Bassklarinette, Melodica und am Glockenspiel zu erleben. Man fragt sich angesichts dieses Minimalismus der Instrumentierung, was eigentlich diese einzelnen Komponenten gemeinsam haben und wie und vor allem ob sie miteinander auch harmonieren.

Gewiss die Komposition „daheim“ findet sich unter den diversen Einspielungen. Doch zunächst lädt uns das Duo auf eine „Train Journey“ ein, ehe wir den „Summer Song“ vorgetragen bekommen. Im „Zirbelwald“ sind wir mit Gojo & Decker ebenso unterwegs wie auf dem „Elephants Walk“. Einem Wortspiel gleicht der Titel „Laber Rhabarber“, ehe dann mit „gruen“ – man achte auch die besondere Schreibweise – das aktuelle Album schließt.

Kalimba oder Sansula das ist bei den ersten Klängen von „Train Journey“ schon die Frage. „Daumenharfen“ sind beide, die Sansula hat allerdings einen Resonanzkörper unter dem „Lamellenbrett“. Der Klang erinnert an eine ratternde Lok, die über lose Schwellen rumpelt. Überlagert wird dieser Eindruck von dem Duett aus Stimme und Klarinette, die sich in einem „Dadadada“ vereinen und die Fahrt gemeinsam fortsetzen. Dudadadaduda – so vernimmt man Filippa Gojo im Weiteren, ehe dann Sven Decker seine Bassklarinette zum Klingen bringt. Dabei ist kurzzeitig ein gewisser „Latin Groove“ nicht zu überhören. Immer noch sind wir mit der Bahn unterwegs, nehmen manche Weiche und Kurve, auch Steigungen sind zu meistern. Zum Ende hin steigert sich das Tempo der Reise und Filippa Gojo schwingt sich in die Höhen des Soprans auf, derweil Sven Decker seine Tieftönigkeit ausspielt. Ja der „Blues for Bud“ ist ein Blues, wenn auch ein sehr beschwingter und wenig tiefsinnig-melancholischer. Das ist natürlich auch der Stimmgewalt von Filippa Gojo zu verdanken, die dabei beweist, dass nicht nur Sopran ihre Stärke ist. Ihrem Stimmfluss folgt Sven Decker mit seiner Bassklarinette, bis beide ganz und gar mit dem Blues verwoben sind. Bei „Elephants Walk“ kommt auch ein Megafon zum Einsatz, mit dem Filippa Gojo ihre Stimme verfremdet. Bisweilen hat man den Eindruck, das Tröten eines Elefanten zu vernehmen. Allerdings ist das eingeschlagene Tempo überaus schnell und scheint nicht auf die eigentliche Behäbigkeit eines Dickhäuters zu passen. Wimmern, Vibrieren, Zischen, aufgeregtes Kreischen und Schnalzen sind im weiteren Verlauf zu vernehmen. Ein vielfältiges Geräuschinferno macht sich Luft, ohne dass wir von den Lauten der Savanne sprechen können.

Der Shrutibox – man denke an ein Miniharmonium – gehören die ersten Takte von „daheim“. In der Begleitung hört man eine schwermütig und klagend sich gebende Klarinette wie man sie aus der Klezmer-Musik kennt. Seufzer folgt auf Seufzer, derweil die Shrutibox in einer sonoren Grundtonfolge verharrt. Von „endlos lang“ und „endlos lange net“ hören wir, wenn Filippa Gojo mit Vorarlberger Zungenschlag singt. Sie singt von Huckel nix und Buckel nix …, wenn der Rezensent sich nicht geirrt hat. Bei Filippa Gojo rucklet sich nix und hucklet nix. Also führt uns „daheim“ in Gojos Heimat, oder? Leider fehlt der Abdruck der Lyrik im Booklet, um dem Text wirklich folgen zu können.

In einen neckischen Dialog begeben sich die beiden Musiker für „Laber Rhabarber“. Es scheint so, als äffe der eine den anderen konsequent nach. Dabei findet sich auch stimmlich Gegenläufiges. Dann überrascht ein plötzliches Geschrei, in das auch die Klarinette aufgeregt einstimmt. Ein Gurgeln und ein Gurren sind neben einem Schnalzen anschließend vorherrschend, ehe beinahe „Chorales“ zu vernehmen ist. Danach swingt Filippa Gojo ein bisschen. Geflüsterte mundartliche Satzfetzen folgen im Weiteren.

Noch ein abschließendes Wort zu „gruen“. Dabei spielt als Klangkörper auch ein Glockenspiel eine nicht unwesentliche Rolle. Vom Charakter der Komposition denkt man beim Zuhören spontan an ein Abendlied, vielleicht sogar an Matthias Claudius, so wie der Rezensent.

Der Minimalismus, auf den sich Filippa Gojo und Sven Decker eingelassen haben, scheint mir Segen und Fluch zugleich, ist das Klangspektrum des Duos doch begrenzt. Vielleicht ist aber dies gerade eine Chance, sich Gehör zu verschaffen, fernab von dramatischen Bläsersätzen, von verwegenen Improvisationen und all dem, was sonst im aktuellen Jazz noch zu hören ist.

Text: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Label
Green Deer Music
http://www.greendeermusic.de

Musiker
Filippa Gojo
http://www.filippagojo.de

Sven Decker
http://www.sven-decker.de


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