Dino Wurtinger - Gentle Time

Dino Wurtinger - Gentle Time

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Eigenverlag

Eine Besprechung der anderen Art ist nachstehend zu lesen, zunächst eine Übersicht und dann einige Höreindrucke, ehe zum Schluss ein „Interview“ mit dem Musikpädagogen, Gitarristen und Hochschullehrer an der Uni Eichstätt Dino Wurtinger folgt, der in Zeiten der Pandemie ein Soloalbum eingespielt hat. Doch rein solistisch ist das Album nicht in Gänze und auch rein instrumental ist es nicht. Das wird auch im nachstehenden Interview deutlich. Übrigens, das Album ist eine rein digitale Produktion. Hinweise zum Hören und Downloads finden sich unten stehend.

Was das Album besonders hörenswert macht, ist der Umstand, dass die Arrangements „entkernt“ sind, keine Bläsersätze, kein dominantes Alt- oder Tenorsaxofon, keine ausschweifenden Pianosoli, sondern allein ein Saiteninstrument, mit dem Wurtinger sich auf die jeweiligen musikalischen Themen der Stücke und die Paraphrasierungen konzentriert. Die Songs auf dem Album sind verdichtet, scheinen gleichsam als Popsongs vergangener Zeiten.

Aufgemacht wird das vorliegende digitale Album mit „Dinah“, gefolgt von „On The Sunny Side of the Street“. „Dinah“ wurde 1924 (sic!) für eine Show im New Yorker  Plantation Club geschrieben. Dieser Song ist in einer relativ einfachen Form, nämlich AABA gehalten und wurde im Laufe der Zeit zu einem sehr beliebten Jazzstandard. Fletcher Henderson hatte ihn ebenso im Repertoire wie Louis Armstrong, Bing Crosby, Django Reinhardt, Benny Goodman, Pee Wee Russell und Thelonious Monk. Und nun also Dino Wurtinger. Er verwandelt das Stück beinahe in ein Singer/Songwriter-Stück, das mit Swing vermischt wurde. Es tanzen und flirren die Saiten, wenn Wurtinger in sie greift und paraphrasiert. Doch auf das Thema des Anfangs führt uns der Gitarrist stets wieder zurück. Viel bekannter als die erste Einspielung auf dem Album „Gentle Time“ ist allerdings „On The Sunny Side of the Street“: Dieser Popsong der 1930er Jahre wurde als Teil einer Broadway-Show im Februar 1930 uraufgeführt. Und was macht Wurtinger aus dem Song? Lauschen wir einer Ballade? Einem Liebeslied? Man könnte den Eindruck gewinnen. Hier und da vermeint man gar, in einen Kanon einzutauchen, aus dem das Thema herausgeschält wird.

Beinahe einem sogenannten Ohrwurm gleicht „Tea for Two“. Glaubt man einem entsprechenden Wikipedia-Eintrag, so zählte die ASCAP den Song 1963 zu den sechzehn erfolgreichsten Musikwerken aller Zeiten! Und was ist das Erfolgsrezept? 32 Takte und eine einfache Melodie, oder?  Gewiss denkt man bei diesem Song auch an die Interpretationen von Ella Fitzgerald und Anita O’Day. Diese schufen zwei der mehrere Dutzend umfassenden Konversionen des Stücks. Bei diesem Song scheint Wurtinger durchaus in die Fußstapfen von Django Reinhardt zu wandeln, insbesondere auch was die technische Umsetzung des Standards anbelangt. Ein wenig schwingt bei diesem Stück außerdem Tap-Dancing mit, folgt man den diversen prägnanten Akzentuierungen durch den Gitarristen.

Im weiteren nimmt uns Dino Wurtinger mit zu „My Romance“ und „Out of Nowhere“, stimmt „Roseroom“ an und zudem „If I Had You“. Schließlich hören wir „There Will Never Be Another You“ (1942). In späteren Jahren nahmen sich des letzt genannten Songs so bekannte Musiker  wie u. a.  Michel Petrucciani (1985), Riccardo Del Fra sowie Alexander von Schlippenbach an. Wie Dino Wurtinger verzichteten die Genannten auch auf einen orchestralen Rausch und reduzierten den Klangkörper, mit dem sie das Stück zur Aufführung brachten. Wurtinger wandelt bei diesem Stück nicht allein auf den Spuren des Swings, sondern begreift sich durchaus in der Tradition von Jazzgitarristen wie Barney Kessel, Joe Pass und Jim Hall. Flott sind die Läufe gesetzt. Umspielung wird an Umspielung gereiht. Das Spiel gleicht dabei dem Hin- und Hergleiten eines Webstuhlschiffchens. Cole Porter hat „Love for Sale“ bekannt gemacht und nun präsentiert Dino Wurtinger eine rein instrumentale Version. Dabei knüpft der Gitarrist melodische Kettenglieder aneinander, die nichts mehr mit klassischem Gitarren-Swing gemein haben. Aus der Reihe tanzt Wurtinger mit seiner Interpretation von „The Song Is You“. Neben einer im Stil von Reinhardt gespielten rhythmischen Gitarre hört man Wurtinger als Vokalisten. Mit „Bye Bye Blackbird“ (1926) schließt das Album: Judy Garland, Nina Simone und Sarah Vaughn schufen Vokalversionen, die zur Popularisierung des Songs beitrugen. Und John Coltrane ist eine fast freie Improvisationen zu verdanken, die auf den Song aufbaut. Dies sei nur am Rande erwähnt. Auch Wurtinger reiht sich in die Reihe der Vokalisten ein, denn bei diesem Stück ist er erneut als Sänger und Instrumentalist präsent.





Im Gespräch über „Gentle Time“

1. Wie kam die Auswahl für das Album zustande?

Ziel des Albums war es, eine alte Gitarrentradition wieder in die heutige Zeit zu holen. Vielen ist die akustisch gespielte Archtop-Gitarre zwar ein Begriff in der Big-Band-Begleitung - es gab aber auch eine große Tradition im Bereich der Solo- oder Duett-Musik. Ich hörte viele alte Aufnahmen von Gitarristen wie Carl Kress, Dick McDonough und Eddie Lang. Weiterhin fand ich sogar klassische Literatur, welche speziell für die akustische Archtop (auch Plectrum-Guitar genannt) geschrieben wurde. Es ist heutzutage üblich Archtop-Gitarren mit den Fingern (Fingerstyle) zu spielen und elektrisch zu verstärken. Mich reizte aber besonders der Aspekt, dieses Instrument traditionell akustisch und mit dem Plektrum zu spielen.

2. Spielte bei der Auswahl der Stücke eine Rolle, wer sich in der Vergangenheit der unterschiedlichen Titel interpretierend angenommen hat z.B. Nina Simone, Frank Sinatra, Tommy Dorsey, Art Tatum, Louis Armstrong?

Ich hörte mir alle Stücke von verschiedenen Interpreten an und ggf. aus verschiedenen Jahrzehnten. Viele der Stücke wurden meistens für große Big-Band-Formationen geschrieben - oft dann auch von Django Reinhardt für die kleinere Besetzung adaptiert. Hier war dann die Herausforderung, die Stücke für die Gitarre als Soloinstrument zu arrangieren.

3. Hat der Albumtitel einen Bezug zu den sogenannten Goldenen 20er, die ja gar nicht so golden waren? Wenn nein, welche Bedeutung hat der Albumtitel für Sie?

Die meisten der Stücke stammen aus den 20er und 30er Jahren und werden auch in diesem Stil interpretiert, wobei ich mir die Freiheit nicht nehmen lassen wollte, meine eigene Handschrift und auch mein zum Teil moderneres Vokabular einzuarbeiten. Das Album wurde während der Pandemie aufgenommen, zum größten Teil alleine auf meinem Balkon. Die Vögel hört man im Hintergrund zwitschern und die Sonne schien - es war ein schöner Tag. Der Titel spielt darauf an, sich in eine angenehmere Zeit zurück zu träumen - auch wenn diese in Wirklichkeit evtl. gar nicht so angenehm war.

4. Haben Sie die Reihenfolge der Tracks bewusst gewählt und nach welchem Prinzip haben sie diese gereiht, sprich folgt das einer gewissen dramaturgisch-musikalischen Inszenierung? Und wenn ja, nach welchen Kriterien?

Ich habe mich versucht, chronologisch zu orientieren. Von der frühen, rein akustisch gespielten Jazzgitarre, hin zu der elektrischen Gitarre. "The Song is you" verstößt zwar gegen das Konzept des Album, da ich ursprünglich nur mich alleine mit der Gitarre aufnehmen wollte. Mir gefiel aber die Aufnahme, welche ich vor einiger Zeit produziert hatte sehr gut, so entschied ich, sie als Bonus Track dem Album hinzuzufügen.

5. Welchen Stellenwert haben Standards wie „Dinah“, „Love for Sale“, „Bye Bye Blackbird“ etc. für Sie? Sind sie das Rüstzeug für jeden Jazzmusiker, sprich ohne American Songbook keine Jazzausbildung?

Aus meiner Erfahrung heraus, werden die alten Swing-Standards eher selten auf heutigen Jazz-Sessions gespielt. Die jüngeren Jazzmusiker und Studenten orientieren sich da meist aus Stücken des 5th or 6th Edition Realbook. Hier findet man „Dinah“, „Bye Bye Blackbird“, „If I had you“ und „Sunny Side of the Street“ z.B. gar nicht. Ich empfehle aber meinen Jazz-Schülern immer, sich evtl. chronologisch an die Jazzgitarre anzutasten. Auch wenn man auf Musiker wie John Scofield, Pat Metheny, Jonathan Kreisberg oder Michael Brecker steht, so ist es eine gute Idee z.B. bei Charlie Christian und Freddie Green zu starten. So kann man wirklich die Entwicklung nachvollziehen.

6. Nur an einem Beispiel die Frage nach der Auswahl: Warum haben Sie sich gegen „Sing, Sing, Sing“ entschieden, warum gegen „Stompin in the Savoy“ etc.?

Eine große Big Band Nummer wie „Sing, Sing, Sing“ hätte ich mir evtl. gar nicht so gut vorstellen können in einer Ein-Mann Besetzung - aber wer weiß. Ich bin da aber recht unbefangen herangegangen. Wenn mir ein Stück gefallen hat, fragte ich mich, ob es vielleicht gut auf der akustischen Archtop klingen würde und dann probierte ich es aus.

7. Gab es schon Arrangements für Gitarre, als Sie das Projekt begannen?

Die Idee und die Arrangements entwickelten sich schon seit über 1,5 Jahren. Durch die Pandemie kam es mir wie eine gute Gelegenheit vor diese Solo-Album Idee anzugehen. Allein die Beschaffung, Reparatur und Restauration meiner sehr alten Gibson L7 dauerte viele Monate - ohne das geeignete Instrument hätte ich aber die Aufnahmen nicht beginnen können

© fdp / Interview D. Wurtinger


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