Diego Piñera - Odd Wisdom

Diego Piñera - Odd Wisdom

D

ACT

Der aus Montevideo stammende Diego Piñera ist ein Meister der Rhythmik und hat seit Kindesbeinen an lateinamerikanische Musik verinnerlicht, auch wenn das aktuelle Album weit entfernt von Samba, Rumba oder Bossa ist.

Zugleich machte er sich aber auch auf herauszufinden, in welcher Art und Weise diese Musik den europäischen und us-amerikanischen Jazz beeinflusst hat. Dazu diente auch sein Studium am Berklee College of Music in Boston sowie an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Dort traf er unter anderem Danilo Pérez, Changuito und Bob Moses. Die Band, mit der das aktuelle Album eingespielt  wurde, ist neben Diego Piñera exquisit besetzt: Da ist am Saxofon Donny McCaslin zu hören, der sich schon in den Achtzigerjahren bei Gary Burton einen Namen machte und sich in den Orchestern von Gil Evans, Maria Schneider oder George Gruntz bewährte. Herauszuheben ist, dass er Begleiter von David Bowie auf dessen  letztem Album „Blackstar“ war. Am Kontrabass wirbelt Scott Colley, ein sehr gefragter Begleiter, der in den Rhythmusgruppen von Stars wie Roy Hargrove, John Scofield, Mike Stern, Chris Potter oder Herbie Hancock arbeitete und arbeitet. Schließlich hören wir den Gitarristen Ben Monder, mit über 70 Einspielungen als Sideman wie als Leader so präsent wie kaum ein anderer Jazzgitarrist der Gegenwart. Um es gleich vorwegzunehmen, Monder steht dabei musikalisch nicht im Schatten des Saxofonisten, obgleich Jazz ja weitgehend von Saxofonisten dominiert wird. Umso erstaunlicher ist es dann auch, dass nicht ein Saxofonist, sondern ein Schlagzeuger Kopf des Ensembles ist, das die musikalischen Strukturen gemeinsam schultert, ohne dass das eine oder andere Instrument dominant herausfällt.

Mit dem Track „Clave Tune“, sprich „Schüsselmelodie“ macht das aktuelle Album auf. Ist da nicht der Saxofonist mit seiner sonoren Stimme, die auch mal Oktavsprünge macht, die „Leitfigur“, an dem sich das Ensemble orientiert? Ohne Frage scheint das so zu sein, zumal es Donny McCaslin obliegt, melodische Bündel zu schnüren, die markant sind. An bewegte Ähren auf goldgelben Felder und an Wolkenfluss, der ab und an einschläft, muss man beim Zuhören des Stücks denken. Ab und an taucht auch die Stimme des Gitarristen auf, doch der Saxofonist deckt diese mit breiten Klangfächern zu. Erst auf der Hälfte des Stücks emanzipiert sich der Gitarrist und knüpft sein eigenes Netz von Akkorden und Läufen. Derweil sorgt der Drummer für rhythmische Unterfütterungen, durchaus auch fordernd. Auch der Bassist trägt im weiteren Verlauf seine getragenen Saitenäußerungen vor. Kurze Trommelwirbel begleiten ihn. Bleche schwirren trocken-metallen. Was der Drummer im Weiteren vorträgt, erinnert bisweilen an das Geräusch einer schnaufenden Dampflok, oder?

Beinahe nahtlos geht das Eröffnungsstück in „Domingo“ über. Der Duktus und die Harmonien dieses Stücks sind durchaus mit der „Schlüsselmelodie“ zu vergleichen, sieht man von einem Pling-Pling des Gitarristen und einem Plong-Plong des Bassisten ab. Auch der „Sonntag“ wird musikalisch von den Schraffuren bestimmt, die der Saxofonist malt. Dabei erscheinen diese wie feine Ätzungen. Was wir hören, ist repetitiv, ergeht sich in Wiederholungen, nimmt wieder und wieder Anläufe und Ansätze und entwickelt diese, bricht im Fluss ab und setzt erneut an. Melodische Mäander nimmt man wahr. An diesen sind alle Ensemblemitglieder beteiligt. Temporeich entwickelt sich das Stück, vor allem sobald der Gitarrist im Solo zu hören ist.

Mit einem melodischen Wellengang des Saxofonisten eröffnet „Mi Cosmos“. Dabei hat man den Eindruck, dass ein gesponnener Faden reißt, wieder verknotet und dann weitergesponnen wird. Kehlig-sonor ist der Saxofonist unterwegs, wenn das Stück fortgesetzt wird. Bass und Drums sind dabei notwendiges Aperçu, oder? Tonale Flic-Flacs sind dem Saxofonisten ebenso zu verdanken wie eine melodische Moebius-Schleife. Zum Ende zu vereinen sich Fellgewische und Stakkatobeats mit dem Umbra des Basses, der bodenständig erscheint. Und dann ja dann hat das Saxofon das letzte Wort.

Getragen kommt „Space“ daher. Man könnte für das Gehörte auch das Adjektiv liturgisch zitieren, oder? Gedanken an ein Lamento drängen sich zudem auf. Man kann sich angesichts des Höreindrucks auch einen Leichenzug vorstellen, der nichts von der Ausgelassenheit eines solchen Zugs in New Orleans hat. Und dann hören wir noch den Gesang in der Tradition des südlichen Liedgutes mit Ausschweifungen in die Gregorianik, oder? Zu vernehmen ist eine Männerstimme zwischen Bariton und Bass, die spanische Lyrik vorträgt. Nachfolgend ist es dann der Saxofonist, der uns mit seinem gewaltigen Stimmumfang in der Aufmerksamkeit gefangen nimmt.  Und wie kling der „Tagesanbruch“, sprich „De Madrugada“? Die Nacht vergeht Schritt für Schritt. Emsigkeit signalisiert der Schlagwerker mit seinem Spiel. Noch ist die urbane Hektik nicht vorhanden. Das suggerieren Saxofonist und Bassist mit ihrem sachten Spiel. Der Tag nimmt langsam seinen Anfang, so könnte man beim Zuhören meinen. Schlaftrunkenheit scheint musikalisch umgesetzt zu werden, oder? Nach und nach erhebt sich die Sonne, beginnt der urbane Fluss. Das spiegelt sich auch in dem nervösen Saxofonspiel mit Aufs und Abs wider.

Mit schnellen, rhythmisch verwebten Saiten-Läufen weckt „Easter in Puglia“ die Aufmerksamkeit des Zuhörers. In diese Saitenläufe mischt sich auch der Bassist des Ensembles ein und steuert dunkel gefärbte melodische Linien bei, die als Spiegelung dessen anzusehen sind, und zwar für das, was der Gitarrist linear und kaskadierend zuvor entwickelt hat. Man meint, mit Ben Monder auf schmalen Serpentinen und über Gassen  Apuliens Sehenswürdigkeiten wie die Trulli und Lecce, das Florenz Apuliens, zu erkunden. Und zum Schluss entführt uns das Ensemble in die Zeit des Bebop, und das mit einem Arrangement eines klassischen Monk-Stücks namens Blue-Monk.

© ferdinand dupuis-panther




Infos:

Tracks
01 Clave Tune 8:39
02 Domingo 6:14
03 Conversation With Myself 5:09
04 Robotic Night 4:12
05 Mi Cosmos 5:03
06 Space 7:18
07 Away 4:50
08 De Madrugada 5:04
09 Easter in Puglia 3:18
10 Blue Monk 7:16
 
Music composed by Diego Piñera, except Blue Monk composed by Thelonious Monk, arranged by Diego Piñera.

https://sites.google.com/view/diegopinera/welcome
http://www.benmonder.com
http://www.donnymccaslin.com
https://scottcolley.com


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