David Helbock - The New Cool

David Helbock - The New Cool

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ACT

Über das neue Trio sagt der aus Vorarlberg stammende Pianist Folgendes: „Ich habe mich nach musikalischer Entschleunigung gesehnt.“ Und weiter im Hinblick auf sein vorheriges Projekt Random Control: „Mit unzähligen Instrumenten haben wir hier hantiert, sie während der Stücke mehrfach gewechselt und viele Noten gespielt. Das war oft ziemlich wild.“ Und das neue Trio? „Da geht es darum, Stimmungen zu kreieren und um Emotionen. Emotionen sind das Wichtigste in der Musik.“ Statt mit österreichischen Musikern hat sich Helbock mit Musikern aus Berlin umgeben, wo der Pianist nunmehr einen neuen Heimathafen gefunden hat.

Der Gitarrist Arne Jansen, aus Kiel gebürtig, und der aus dem Schwarzwald nach Berlin gekommene Trompeter Sebastian Studnitzky sind die Mitspieler Helbocks, der auch die meisten Kompositionen des Albums geschrieben hat. Dennoch eröffnet der Pianist das Album mit einem Werk von Benny Golson namens „I Remember Clifford“, ehe sein „Pandemic of Ignorance“ erklingt. Fingerzeig auf die Irrungen und Wirrungen im Kontext der aktuellen Pandemie? Auch einen Ausflug in die Klassik unternimmt das Trio. Doch nicht Bach, Schubert oder Brahms stehen auf dem Programm, sondern das „Prelude in E-Minor, Op. 28“ von Fredéric Chopin. Mit „Hymn for Sophie Scholl“ streift Helbock musikalisch die jüngere Geschichte. Dass Pop und Rock für den Pianisten aus Österreich kein No-Go sind, unterstreicht er mit dem Arrangement von „Time After Time“ (Cyndi Lauper & Rock Hyman) und dem Cream-Song „I Feel Free“ aus der Feder des Bassisten Jack Bruce. Arne Jansen steuerte „On the Shore“ zum Album bei, Sebastian Studnitzky „Korona Solitude“.

Kristallklar sind die Tonfolgen, die David Helbock zu Gehör bringt, und lyrisch ist der Duktus. Sehr weich gezeichnet ist die Stimme des Trompeters Sebastian Studnitzky, der den Klang seines Horns weit tragen lässt. Dabei meint man, dass das, was er spielt, einem sich auflösenden Nebel gleicht, schwebend, nach und nach durchscheinend. Ähnlich gelagert wie bei Helbock und Studnitzky ist auch das Saitenspiel von Arne Jansen. Doch weitgehend definieren der Pianist und der Trompeter die Farbschattierungen des Stücks. Ist es Fünf vor Zwölf, hat das letzte Stündlein geschlagen, ist es Zeit für Nachdenklichkeit oder für naives Weitermachen? Diese Fragen stellen sich aus Sicht des Rezensenten, wenn die ersten Takte von „Pandemic of Ignorance“ zu hören sind. David Helbock scheint einen gewissen Zeittakt in seinem Spiel zum Ausdruck zu bringen. Man meint, die Minuten dahinrinnen zu hören, derweil Sebastian Studnitzky im Hintergrund seine Stimme sacht erhebt. Große Melodiebögen spannt der Gitarrist, der dabei beim Bau vom Trompeter unterstützt wird. Beide scheinen sich im Raum zu verlieren, sich ins Off zu begeben. Wispernd erleben wir den Trompeter, der zugleich aber auch musikalisch eine Mahnung äußert. Perlend ist das Tastenspiel des Pianisten derweil. Insgesamt ist auch der Eindruck des Sphärischen im weiteren Verlauf des Arrangements nicht von der Hand zu weisen, ehe dann Kristallines ans Ohr des Zuhörers dringt.

Präpariert scheint das Piano, wenn die ersten Takte des Stücks von Chopin erklingen. Dabei erscheint der Klang des Pianos an Klanghölzer zu erinnern. Als Schwebeteilchen, die leicht durch den Raum fliegen, sind die Klangbilder des Trompeters anzusehen. Eine Melodramatik ist dem Vortrag beigemischt, aber nicht wenn der Gitarrist seine feinen Saitenlinien präsentiert, sondern wenn sich der Pianist und der Trompeter in ihren Melodielinien annähern. Der fein ausdifferenzierten Melodie ist „Truth“ verpflichtet. Dabei ist es der Gitarrist, der aufhorchen lässt, auch wenn er nicht das Samtene zum Ausdruck bringt, sondern eher im Rock gegründet ist. Und das meint, dass er Alvin Lee, Eric Clapton und Jeff Beck nähersteht als den klassischen Jazzgitarristen wie Jim Hall oder Joe Pass. So erhält dieses Stück namens „Wahrheit“ im zweiten Teil auch eine Wendung vom Elegischen hin zum Rockigen.

Nehmen wir die ersten Takte von „Hymn for Sophie Scholl“ wahr, so folgen wir einem Lament oder gar einem Requiem. Getragen sind die Sequenzen, die David Helbock uns darbringt. Und Sebastian Studnitzky gleicht in seinem Spiel, das stets den Atemhauch spüren lässt, einem Hornisten, der am offenen Grab eines Verstorbenen für das letzte Geleit sorgt. Anschließend folgt dann auf dem Album „Time After Time“, allerdings nicht den Fußstapfen des Originals sklavisch folgend, sondern in einer melodramatischen Inszenierung, in der Melancholie in allen Facetten zum Tragen kommt. An Wintertristesse muss man beim Hören denken, weniger an Zeitenwende und verblassende Erinnerungen, wie man das dem Text des Originals entnehmen kann. Eine der Hymnen der Rockgeschichte ist gewiss „I Feel Free“ (1967). In der Interpretation von David Helbock ist nichts vom Bomp-Bomp-Bomp und dem hektisch-nervösen Schlagzeugspiel eines Ginger Bakers zu spüren, ebensowenig von  Eric Clapton, der seine Gitarre wimmern und jaulen ließ. Feines Tastengerinne, kaskadierend und glockenhell trifft in der Version des Trios auf ein zartes Gebläse, das nach und nach vergeht. Im Hintergrund singt die Gitarre, ohne dass man von „while my guitar gently weeps“ reden könnte, oder? Eher konzertant gibt sich Arne Jansen in seinem Vortrag. Bei Studnitzkys Trompetenklang meint man, hier würden die schlierig-grünen Polarlichter des Nordens besungen und nicht die Freiheit, die Cream ganz entfesselt vorgetragen haben. Im Solo von Arne Jansens gibt es keinen Brückenschlag zu Eric Clapton. Jansen lässt die Saiten zart und fein flirren, gleichsam so, als würde er den schnellen Flügelschlag eines Kolibris in einen Klang gießen. Mit getragenen Passagen, die auch in den Diskant auslaufen, „antwortet“ der Pianist auf das Saitenschwirren. Die Eruption des Freiseins bei Cream findet sich bei David Helbock nicht. Warum auch; das Trio ist ja keine „Cream Tribute Band“.

Im Duktus ist „One the Shore“ nicht anderartig ausdifferenziert im Vergleich mit anderen Kompositionen, auch wenn der Gitarrist für dieses Stück verantwortlich ist. Sein melodiöses Saitenspiel ist ähnlich ausgeprägt wie in zuvor gehörten Stücken des Albums. Insgesamt hat man den Eindruck, dass das Trio hier wie auch in anderen Songs als abgestimmte Klangeinheit agiert, ohne dass einzelne Instrumente besonders hervortreten und für sich stehen. Noch ein Wort zu „Korona Solitude“: Gezeiten des Klangs erleben wir. Zugleich nehmen wir das sanfte Säuseln des Winds wahr – dank an den Trompeter. Man könnte, so ein möglicher anderer Höreindruck, an tiefe Seufzer denken, folgt man dem Trompetenklang. Schwere breitet das Trio aus. Bleiern scheint die Zeit, die „besungen“ wird. Dabei kommt Sebastian Studnitzky die zentrale Rolle zu. Wie weggeblasen erscheint das Bild der Vereinsamung, wenn „Angel Eyes“ zum Besten gegeben wird. Der Himmel scheint aufgerissen, Sonnenlicht flutet vom Himmel herab, schwermütige Momente scheinen wie vergessen. Das Leben hat seinen Alltagsrhythmus wieder. Und das ist gut so.

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Infos

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Reviews Alben von David Helbock

https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/david-helbocks-randomcontrol-think-of-two/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlp-reviews/d/david-helbock-purple/

Interview

https://www.jazzhalo.be/interviews/david-helbock-interview-mit-dem-aus-vorarlberg-stammenden-pianisten-anlaesslich-des-bei-act-erschienenen-albums-into-the-mystic/


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