Christian Marien Quartett – Beyond the Fingertips

Christian Marien Quartett – Beyond the Fingertips

C

MarMade Records

Aufgenommen als LP mit zwei Seiten, ist auch die CD entsprechend gegliedert. Bei den Aufnahmen, die wir hören, handelt es sich um solche im Direct-to-Disc-Verfahren mit begrenzter Aufnahmezeit von 18 Minuten, um die Musik direkt in den Lack zu ritzen. Daher ist die Spieldauer auf der LP/CD auch begrenzt. Auf der CD ergibt sich aufgrund der Aufnahmeform eine Art klangliches Kontinuum, ohne Pausen zwischen den Tracks.

Der Beginn der Aufnahmen erinnert ein wenig an eine Straßenjazzband, die für einen Umzug aufspielt. Versteckte lateinamerikanische Rhythmik ist wohl Teil des Arrangements, bei dem dem Tenorsaxofonisten in Sachen Klangfarben eine besondere Rolle zuteil wird. Im Gefolge des Saxofonisten agiert dann der Gitarrist, ohne so überbordend wie der Saxofonist daherzukommen. Sonores und Röhrendes ist zu vernehmen, ausserdem feine Saitenklänge und „Schlagwerknebel“. Zudem gibt es auch „rhythmisches perkussives Gepolter“ zu vernehmen. Dazu hören wir den weichen Klang der Klarinette, die ebenso wie das Saxofon von Tobias Delius gespielt wird. Die Melodie, die wir vernehmen, klingt nach einem „Abendlied“, so könnte man meinen.

An unser Ohr dringt auch fragmentarisch erscheinendes Saitenspiel, dank an Jasper Stadhouders. Zugleich präsentiert er uns „rasende Saitenläufe“, derweil Christian Marien die Becken zum Flirren bringt. In Zwiesprache erleben wir den Saxofonisten mit dem Gitarristen im Weiteren. Was wir hören hat auch eine gewisse Funk- und Rock-Note, oder? Jubilierend und mit leicht zitternder Stimme ist der Saxofonist in einem nachfolgenden Solo zu erleben. Dabei fügt er „Klangflecken an Klangflecken“, hier und dann mit „Klangfäden“ verbunden. Der Gitarrist paraphrasiert diese Saxofon-Passagen. Rhythmische Turbulenzen werden aufgebaut, in die der Schlagzeuger, der Saxofonist und der Gitarrist maßgeblich eingebunden sind. Wo ist eigentlich der Bassist, fragt man sich vielleicht beim Hören. Offensichtlich ist dessen Anwesenheit nicht. Aus den wahrzunehmenden Turbulenzen ergeben sich anschließend verflüssigte Passagen, die an einen eingängigen Rocksong denken lassen. Noise Music ist obendrein zu hören, wenn die Musik ihren Lauf nimmt.

Die zweite Seite der LP macht mit einem getragenen Track auf. Dabei spielt Tobias Delius seine sonor klingende Klarinette und spielt uns Jasper Stadhouders eingängige „Tonleitern“. Intensive „Besenschläge“ vernimmt man ohne Frage, dank Christian Marien. Man muss beim Hören an das Gewisper, Getuschel und Gerede denken, wenn viele Menschen zusammenkommen, wenn Kirmeszeit angesagt ist, wenn die Budenbesitzer das Publikum anlocken, auf dem Münsteraner Send oder beim Dom auf dem Hamburger Heiliggeistfeld. Und ja, da ist dann auch mal der Bass zu erleben, der sich dank Bogenstrich ins musikalische Geschehen einmischt. Und dann, ja dann hat man kurz mal auch die Vorstellung, dass Hanns Eisler irgendwie auch eine Art Revival feiert.

Im weiteren Verlauf unternehmen wir wahrhaftig eine musikalische Reise und sitzen dabei auf einem ratternden D-Zug, dank an den Gitarristen. Doch abrupt endet dies, weil dann eher lyrischer Jazz vorgetragen wird, den man zur nächtlichen Stunde in einer einschlägigen Bar erwartet. Zugleich hat das, was wir hören auch etwas von Chanson, von Couplet einer Lotte Lenya, oder? Atemluft wird verströmt und der Gitarrist „strickt“ an einer Klangleiter, zu der Christian Marien viel „Schlagwerkstaub“ beifügt. Und dann erhebt sich  „auftrumpfend“ das Saxofon. Ohrenbetäubend ist das Spiel des Saxofonisten auf dem Mundstück. Da gibt es dann Pfeifen und Quieken zu erleben. Rhythmuswellen bauen sich auf, überschlagen sich und laufen aus, dank auch an den Schlagzeuger wie auch an dessen Mitmusiker. Gebimmel dringt ans Ohr des Zuhörers. Die Saxofon-Passagen werden zerlegt. Zischen und ein Klong-Klong stehen als nächstes auf dem Programm. Irgendwie hat man die Vorstellung, man sei Ohrenzeuge der Geräusche, die beim Walzen bzw. beim Hämmern von großen Stahlelementen zu hören sind. Hammerwerke und Walzstraßen lassen also grüßen, oder? Wie gesagt, Klangendlosschleifen sind auf den Aufnahmen zu erleben, ohne in eintöniges Einerlei abzugleiten. Spannungen werden aufgebaut, entladen sich, Chaos ist Teil der spannenden Inszenierung auf Zeit.

© fdp 2025


Musicians
Tobias Delius – Tenorsaxophon, Klarinette
Jasper Stadhouders – Gitarre
Antonio Borghini – Kontrabass
Christian Marien – Schlagzeug

Tracks
1.
Love All Play!
Martha
Blues in Aspik
Cordinale
2.
Nantucket Nostalgia
For Toby
Look Left, Look Right
No Place for Illiusions


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