Chad McCullough – Forward

Chad McCullough – Forward

C

Outside in Music

Das Album, das während der Zeit der Pandemie und des Lockdown erschienen ist, erhielt allenthalben überwältigende Kritiken. So schrieb die Chicago Tribune „Best Jazz Recordings of 2020". "With a deep, warm sound that recalls the late, great Kenny Wheeler, McCullough has an understated approach that belies a strong tug in every line he plays." - das war im BBC Music Magazine zu lesen. Und schließlich bewertete Dan McClenaghan in  Allaboutjazz.com  das Album wie folgt: "Best Releases of 2020".

„Forward“ ist das achte Album unter eigenem Namen, das der Trompeter und Komponist Chad McCullough veröffentlicht hat. Für die Aufnahmen des Albums wird McCullough vom Pianisten Rob Clearfield, vom Bassisten Matt Ulery und vom Drummer Jon Deitemyer begleitet. Was zu hören ist, das sind McCulloughs eigene Kompositionen und Arrangements in Begleitung von Chicagos zurzeit besten Musikern. Nicht vergessen werden darf dabei Ryan Cohan, der mittels Rhodes und Programmierungen für atmosphärische Klangumgebungen sorgt.  

Nachstehend ein O-Ton des Trompeters zu seinem Album: “I’ve been doing so much collaborative work, and wanted to make a different kind of statement with this release. Not that this isn’t collaborative - in many ways it’s more so, but I wanted to write music about places or experiences with meaning to me. I wanted to showcase the ensemble and give the trumpet a space to breathe in the middle of it all.” Zugleich saugt der ursprünglich aus Seattle stammende McCullough in seiner Musik die Atmosphäre der sogenannten Windy City auf: “The music coming out of Chicago really resonated with me. When I moved here, I immediately felt like I was where I was supposed to be.” Das hängt gewiss auch mit Matt Ulery zusammen, auf dessen beiden Alben McCullough zu hören ist und mit dem er unzählige Konzerte gespielt hat.

Aufmacher der Albums ist „November Lake”, gefolgt von  „Oak Park”. Zu letzterem Stück führt McCullough aus: “I composed this while sitting in Antwerp, Belgium during a tour with my great friend Bram Weijters (who helped me write this tune). Frank Lloyd Wright's studio was in Oak Park, and there are a ton of houses he designed there. I am a huge fan of architecture and wanted to write coming from that place of inspiration. Musically, the precision of the odd-meter sections alternates with the folk-like melody, and the entire piece is through-composed to give it a sort of structural logic.” Zu hören sind außerdem „Gentle“, „Grace at the Gavel or Grace at the Gallows“ sowie „Focal Point” und „Water Tower Sunset”.

Bevor wir uns in die Musik vertiefen noch eine ergänzende Bemerkung: Das, was die E-Gitarre für die Rockmusik ist, ist das Saxofon für den Jazz. Wer allerdings andere Klangfärbungen bevorzugt, der weiß einen Musiker wie den Chicagoer Trompeter McCullough besonders zu schätzen. Gewiss es gab und gibt Trompeter im Jazz, man denke an Louis Armstrong, Lee Morgan, Clifford Brown, Miles Davis, Chet Baker, Wynton Marsalis, Erik Truffaz, Paolo Fresu oder Enrico Rava und Mathias Eick, aber sie scheinen in der von Saxofonisten dominierten Jazzszene eher Exoten zu sein.  Nur gut also, dass es das aktuelle Album von McCullough gibt, der in seinem Ensemble als Primus inter pares in Erscheinung tritt.

Bilder, die dem Zuhörer bei den ersten Takten von „November Lake“ in den Sinn kommen, sind ein ruhig daliegender See, über der Wasserlinie Nebelschwaden, die dahin schweben, ein weiter unverstellter Blick, alles, was man wohl in einem urbanen Dschungel selten oder gar nicht findet. Sehr lyrisch ist das Narrativ, dank an McCullough, der von behutsamem Schlagwerkspiel begleitet wird. Der Pianist setzt hier und da Klangakzente, aber sehr zurückhaltend. Der Klangraum wird im Kern von den melodischen Linien des Hornisten definiert, auch wenn im Nachgang „rollendes“ Klavierspiel zu erleben ist, das in das Rinnen eines „Perlenflusses“ übergeht. Kristalline Klangbilder werden auch zum besten gegeben. Dabei hat das Spiel des Pianisten nichts von aquarellierten Verwässerungen. Noch ein Bild, das als Assoziation möglich ist: Ein Ruderer gleitet  über den See und durchdringt die sich nach und nach hebenden Nebelschwaden, bevor er am Seeufer anlandet.  Getragen dringt „Oak Park“ans Ohr des Zuhörers. Sanfte gesetzte Sequenzen vernimmt man, wenn McCullough sein Horn zum Klingen bringt. Im Hintergrund hört man samtene Klangschwaden, die an versammelte Streicher denken lassen. Sekundenschläge werde evoziert. Zu diesen lässt der Pianist seine Finger über die schwarzen und weißen Tasten huschen. Sein Spiel hat teilweise durchaus etwas von Chopin, oder? Beim Zuhören meint man außerdem, man könne das sachte Rauschen von Quellen wahrnehmen bzw. höre das „samtene Sprudeln von terrassierten Wasserspielen“. Kristallklar ist der Klang der Trompete, deren Melodielinie sich in Auf- und Abschwüngen verliert. Zugleich hat man den Eindruck, man weite seinen Blick gen Horizont, ohne den oftmals zitierten Fjord-Sound zu erleben. Das Arrangement von „Gentle“ ist entsprechend dem Titel ausgelegt und lebt wie auch andere Stück des Albums „Forward“ von den fein gewebten Sequenzen, die McCullough uns zu Gehör bringt. Man kann die Vorstellung haben, man sei einem warmen Wind, der von der Sahara gen Europa weht, ausgesetzt, zugleich könne man den Sommer riechen und atmen. Die Musik scheint in sich zu ruhen, scheint Kontemplation im wahrsten Sinne.

In den Melodielinien und Harmonien erscheint „Grace at the Gavel or Grace at the Gallows“ beinahe wie ein sakraler Gesang. Man wartet bei dem Spiel von McCullough darauf, dass im nächsten Moment der versammelte Posaunenchor mit einstimmt. Doch stattdessen vernehmen wir neben dem Trompetengesang sonore Streicher im Hintergrund. Zugleich aber ist sphärisches Klanggewebe auszumachen. Und dann ist auch der Bassist mal im Fokus stehend zu erleben. Seine gespielten Linien sind geradlinig und erdverbunden. Getragen geht es danach weiter, ohne dass McCullough einen Psalm anstimmt. Wie gesagt, ein im Kern sakraler Charakter ist dem Stück wohl eigen, ohne ins Halleluja zu verfallen. Statt dessen erlebt der Hörer klangreine, in Höhen sich aufschwingende Sequenzen bis zum letzten Takt.

Zum Schluss noch einige Worte zu „Fokal Point“: Perlendes, mäandrierendes Klavierspiel ist nicht zu überhören. Dazu gibt es zurückgenommenes Schlagwerkspiel zu konstatieren. Der Bassist setzt wenige Klangakzente im Hintergrund. Der Klangraum gehört dem Pianisten in Gänze. Und dann erhebt der Trompeter seine Stimme, dabei das „Perlenspiel“ auf seine eigene Weise aufnehmend. Umspielungen umgarnen den Hörer, der meint er sehe vor seinem geistigen Auge Wasserringe, die sich auf der Wasseroberfläche konzentrisch ausbreiten. Dramatisches Schlagwerk mischt sich nachfolgend mit redundanten Klangschleifen, die dem Pianisten zu verdanken sind. Das bleibt ein Intermezzo, denn danach steht McCullough erneut im Fokus. So erleben wir ein bedacht gesetztes Wechselspiel zwischen den Ensemblemitgliedern. Wie gesagt, McCullough erscheint auf dem gesamten Album stets als Primus inter pares und nicht als bunter Paradiesvogel, um den sich als dreht!

© ferdinand dupuis-panther




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https://chadmccullough.bandcamp.com/album/forward


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