Armaroli / Piccolo / Sharp - Imaginary Songbook

A
Dodicilune
Das vorliegende Album präsentiert 64 Jazz-Standards, denen eine Frischzellenkur verpasst wurde. Dafür stehen der Vibrafonist Sergio Armaroli, der Gitarrist und Sopransaxofonist Elliott Sharp und der E-Bassist Steve Piccolo, der auch fürs Elektronische und den Gesang zuständig ist. Die Doppel-CD (!!) des italienisch-us-amerikanischen Trios umfasst im Übrigen zwei Stunden Musik. Einfach mal reinhören! Dabei geht es auch um eine avantgardistische, freie Interpretation der Standards, sodass der Hörer meint, er lauschegänzlich freier Impro-Musik.
Mit „Serenade in Blue“ von Harry Warren eröffnet die erste CD: Die Idee vom freien Geist des Jazz atmet bereits dieses Stück. Da hören wir zwar die melodiösen Linien des Vibrafons, aber außerdem vibrierenden Saitenklang und ein aus dem Nichts entstandenes Pfeifen sowie zum Melodiösen einen konträren Bassschlag, derweil die Vibrafon-Klänge dahin rinnen. Schwirrendes Metall hört man, beinahe an eine „Singende Säge“ erinnernd. Ist da nicht auch der Klang einer Hawaii-Gitarre Teil des Arrangements? Unbeeindruckt von „äußerlichen Störungen“ durch beigesteuerte Klangfragmente seiner Mitmusiker, folgt der Vibrafonist den melodiösen Vorgaben des Standards, so ist zu vermuten. Ähnliches gilt für „There’s No You“, einem Stück, das gelegentlich auch Elemente von Noise Music aufweist, während das Vibrafon seinen metallenen Tropfen-Klang hören lässt. Da vernimmt man einen „schräg gebürsteten“ Holzbläser, der das kurze Stück beschließt. Flirrender, kehliger Saxofonklang dringt bei „Autumn in Milano“ an unsere Ohren. Weich gezeichnet ist dagegen das, was der Vibrafonist als „Grundlinie“ beisteuert. Pling-Pling und Huwahhuwah, Tzwäng oder Ähnliches macht „Silent Reflections“ aus. Man hat den Eindruck einer Melange aus Analogem und Digitalem. Gegen den Klang des Vibrafons gesetzt sind ein Wow-wow, Elektronisches und ein schräges Frequenzgemisch aus einstiger Kurzwelle sowie ein nervöses „Saitengetrappel“. Verfremdet wurde durch das Trio „A Girl From Ipanema“, wenn auch die eingängige Melodielinie dank des Vibrafonisten deutlich auszumachen ist. Rhythmische Beigaben sind Bleche, die aneinander geschlagen werden. Im Verlauf werden dann die klassischen Melodielinien restlos aufgelöst. Nahtlos geht es wie zuvor weiter: „Eternal Groove“ heißt es. Sirenenlaute treffen auf schwingende Klangstäbe. Geräusche einer Kreissäge vernimmt man. Ist es der elektrische Bass, der oszilliert?
Bei „Morning Mist“ vermischen sich Klangäußerungen des Saxofonisten mit elektronischen Effekten, die den Frequenzverschiebungen von Lang- und Kurzwelle gleichen, als es noch Weltempfänger gab. Damit sind wir erst bei dem siebten Stück der ersten CD angekommen. 29 „Hörspiele“ erwarten den Hörer noch, abgesehen von der 2. CD!
„Just One Of Those Things“, ein Stück von Cole Porter und im Repertoire von u.a. Frank Sinatra, finden wir auch auf der aktuellen Veröffentlichung. Ein kurzer heller Saitenschlag gemischt mit dem metallenen Klang des Vibrafons dringt ans Ohr des Hörers. Und dazu wurde ein Klangteppich gesetzt. Der eingesprochene Text ist nicht etwa die von Porter geschriebene Lyrik, sondern eine Abwandlung und Fragmentierung des Textes. „Begin the Beguine“, geschrieben an Bord des Kreuzfahrtschiffs Franconia im Jahr 1935, ist ein weiterer Cole Porter-Titel, den das Trio avantgardistisch bearbeitet hat. Auch hier überwiegt in der Bearbeitung das Dekonstruktivistische. Freie Kommentierungen des Klangs sind dem „aufgeregt und aufgekratzten“ Saxofonisten zu verdanken. Zu den konstant wahrzunehmenden Linien des Vibrafons wurden hier und da sanfte Basslinien eingeflochten. Ungebrochen durch eine Pause setzt der Saxofonist sein Spiel danach in „Velvet Vision“ fort. Aufgeraut ist das Spiel. Zudem vernehmen wir Perkussives und Pfeiftöne.
Es sei außerdem auf Burt Bacharachs „A House is Not A Home“ hingewiesen, ein Stück, das 1964 entstanden ist: Ein glockenhelles Klangbild des Vibrafonisten vereint sich mit einem verhalten gespielten Bass und einem Ratschen. Kurz ist auch dieses Stück wie alle anderen. Es entfaltet sich nicht wirklich ein Spielfluss, es sei denn man sieht die Verkettung der Stücke als solchen an.
Auf der zweiten CD findet sich unter anderem „Love Me Or Leave Me“, auf das Jahr 1928 zu datieren. Ebenso Teil der zweiten CD ist “Blue Velvet“ und eine alternative Fassung von „The Girl From Ipanema“. Von der Idee mit Transformation und Dekonstruktion die Standards in neue offene Formen zu bringen, ist auch die zweite CD geprägt. Doch auffällig ist, dass die Fäden der Improvisationen oftmals beschnitten sind. Abrupte Enden und fließende Übergänge sind dann festzustellen. Man hat vielfach den Eindruck, man bekomme nur Schnipsel des Klangs zu hören, keine großen Aufbauten, Strukturen, Entwicklungen.
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Musicians
Sergio Armaroli, vibraphone
Elliott Sharp, guitars, soprano saxophone
Steve Piccolo, electric bass, voices, electronic devices
Tracks
DISC 1
1) Serenade in Blue
2) There’s No You
3) Autumn in Milano
4) Silent Reflections
5) The Girl from Ipanema
6) Eternal Groove
7) Morning Mist
8) What Am I Here For?
9) Gentle Rain
10) This is Always
11) Bag’s Groove
12) Serenade in Blue (alt. take)
13) Just One Of Those Things
14) Lazy Afternoon
15) Evening Stroll
16) Cool Breeze
17) Jazz in the Park
18) Velvet Night
19) I Wish I Were In Love Again
20) Harlem Nocturne
21) Love Walked In
22) Come Fly With Me
23) Begin the Beguine
24) Velvet Visions
25) Those Eyes
26) Then I’ll Be Tired Of You
27) They Can’t Take That Away From Me
28) City Lights
29) Neon Nights
30) The Best Is Yet To Come
31)Echoes of Eternity
32) Dusk Dreaming
33) A House is Not A Home
34) Love Is Here To Stay
35) Sultry Samba
36) Jumpin’ Jive
DISC 2
37) Some Other Time
38) Echoes of The Past
39) Love Me Or Leave Me
40) Good Bait
41) Lover’s Lament
42) Walkin’
43) Those Eyes (alt. take)
44) The Best Is Yet To Come (alt. take)
45) Blue Velvet
46) ‘Tis Autumn
47) You Do Something To Me
48) Don’t Be Blue
49) The Girl From Ipanema (alt. take)
50) City Dreams
51) Soft Evening
52) Lullaby for Lovers
53) Dream Dancing
54) Round Midnight
55) Evening Star
56) My Man’s Gone Now
57) City Shadow
58) How Long Has This Been Going On?
59) You Make Me Feel So Young
60) Crimson Glow
61) The Quiet Lull of the Evening Sea
62) Yeehaw and No
63) Soft Lullaby for the Evening Star
64) You Are There
COMPOSITIONS BY
All compositions by Sergio Armaroli, Elliott Sharp except 1, 10, 12 by Harry Warren, 2 by Tom
Adair; 5, 13/2 by Antonio Carlos Jobim, Vinicius De Moraes; 8 by Duke Ellington; 11 by Mil
Jackson; 13, 23, 11/2, 17/2 by Cole Porter; 19 by Richard Rodgers; 21, 27, 34, 20/2, 22/2 by
George Gershwin; 22 by Sammy Cahn; 25, 7/2 by Rosa Passos; 26 by E. Y. Harburg; 30, 8/2 by Cy
Coleman; 33 by Burt Bacharach; 36 by Cab Calloway; 1/2 by Leonard Bernstein; 3/2 by Gus Kahn
4/2 by Tadd Dameron; 6/2 by Miles Davis, 10/2 by Henry Nemo; 12/2 by Michael Frank; 18/2 by
Thelonious Monk; 23/2 by Mack Gordon; 28/2 by Johnny Mandel. All lyrics by Steve Piccolo excep 2 by Harold S. Hopper; 5, 13/2 by Norman Gimbel; 8 by Frankie Laine; 10, 12 by Mack Gordon; 19 by Lorenz Hart; 21, 27, 34, 20/2, 22/2 by Ira Gershwin; 22 by Jimmy Van Heusen; 26 by Arthur Schwartz; 30, 8/2 by Caroline Leigh; 33 by Hal David; 3/2 by Walter Donaldson; 12/2 by John Guerin; 23/2 by Joseph Myrow; 28/2 by Dave Frishberg.