Archer - Sudden Dusk

A
Aerophonic
Was vorliegt ist das Debütalbum der Band Archer, aus vier herausragenden Vertretern der internationalen Improszene bestehend. Bei den Musikern handelt es sich um den Saxofonisten Dave Rempis, zugleich Gründer des Labels Aerophonic, die niederländische Punklegende Terrie Ex an der Gitarre sowie der „norwegischen Rhythmusgruppe“, Jon Rune Strøm (Bass) und Tollef Østvang (Drums).
Einige Anmerkungen zu den Bandmitgliedern (zit. aus dem Pressetext zum Album): „Guitarist Terrie Ex may be best known for his decades of work in the Dutch punk band The Ex, but his abilities as an improviser are prodigious. The urgency of his playing and a complete irreverence to form or narrative, coupled with a wild imagination and a Dadaist sense of humor, turn him into a rare bird in the field of improvised music – an actual improviser. … – Dave Rempis is a saxophonist who’s developed a wide-ranging palette across his decades as an anchor of the Chicago scene. From Brötzmann-like blasts of sound that he can sustain over the long-term like few living saxophonists, to pointillistic explorations of texture and timbre, his broad arsenal is the perfect foil to match that of Ex. … – From the back line, a powerhouse Norwegian rhythm section drives the momentum forward. Jon Rune Strøm and Tollef Østvang are known for their work together in bands like Universal Indians (with Joe McPhee), and All Included (w/Martin Küchen), as well as in the renowned Norwegian quintet Friends & Neighbors.“
Entstanden sind die Aufnahmen als Livemitschnitte in Chicago und Milwaukee zu Beginn einer USA-Tour im Frühjahr 2024. Mit „Omen“ (dt. Vorzeichen) beginnen die Musiker ihre teilweise langatmigen Improvisationen. Allein das erste Stück hat eine Länge von fast einer halben Stunde. Da benötigen auch die Zuhörer ein gehöriges Maß an Ausdauer und Konzentration und die Musiker Spielideen bis hin zu Kumulationen des Klangbildes.
Beim Zuhören muss man stets im Kopf haben, dass Momentaufnahmen zu hören sind. So sind dann auch Entladungen oder das klangliche Abebben genau aus dem Moment entstanden, als die Aufnahmen aufgezeichnet wurden. Stürmisch und ungestüm ist das, was wir hören. Da hat man den Eindruck, man stehe an einer Felsküste und beobachte, wie die Gezeiten an die Klippen schlagen und durch poröses Gestein Fontänen emporschießen. Zugleich kann man Schlammblasen vor Augen haben, die durch Geothermie in Bewegung gehalten werden. Perkussives Geraschel paart sich mit einem Saiten-Plong und Cirrus-Linien des Saxofons. Dabei werden Klangvolumina entfaltet, die dann in sich zurückgenommen werden. Bisweilen meint man, der Saxofonist fungiert wie ein mittelalterlicher Stadt-Türmer und sendet Botschaften aus. Und all das geschieht unter der Überschrift „Omen“.
Spiralformen des Klangs erleben wir, dank an Dave Rempis. Hier und da vernimmt man ein Röhren zu einem treibenden Schlagwerk, das sich in Wirbeln und Strudeln ergeht. Aufgeregt und erregt klingt der Saxofonist, der ab und an von einem Schiffshorn, so der Höreindruck, begleitet wird. Weitgehend bestimmt das Sopransaxofon, das Rempis spielt die Klangfarben. Kurz angerissene Saiten und „Metallwerk“ treten in Erscheinung. Rhythmisches Zwischenspiel ist angesagt, dabei die Bleche des Schlagzeugs ins Schwirren bringend. Kurz angerissene Gitarrensaiten klingen wie gedämpfte Klangstäbe unterschiedlicher Länge. Und dann, ja dann, ist erneut der Saxofonist präsent, der für Aufruhr und Inferno sorgt. Irgendwie hat man den Eindruck, man stehe am Fuß eines Vulkans, der nach und nach seine Feuermacht entfaltet und Lava spuckt. Ohne Frage gibt es auch ruhigere Phasen, begleitet vom Gitarristen, der ein „Tropfenbild des Klangs“ schafft. Doch immer wieder sind es die „aufmüpfigen“ und „aufgebürsteten“ Sequenzen des Saxofonisten, die uns einfangen und unsere Aufmerksamkeit erfordern.
Das nachfolgende „Half Stack“ ist ein im Vergleich zu „Omen“ kurzes Improzwischenspiel, wenn man so will. Zu Beginn meint man, man höre das langwellige Schwingen von Saiten bzw. die weich eingestellten Trommelfelle, die angeschlagen werden. Das hat zeitweilig den Anschein von Trance, lässt man die wiederkehrenden Klangmotive wirken. Doch dann erhebt sich die Stimme des Saxofonisten mit anhaltenden Klangmotiven. Die rituellen Rhythmusformen werden dazu beibehalten. So entsteht ein „perkussives Omm“ zu den eher zerbrechlichen Saxofonlinien. Klappern ist als Klangbeigabe auszumachen, derweil scheint es so, als folge der Saxofonist einer melodischen Linie, die durchaus auch etwas von Lyrischem hat. Zum Schluss heißt es dann „Bright Side“ mit und ohne gereiztem und nervösem Schlagwerk und einem „aufgeweckten“ Saxofon, das so klingt, als gelte es, Schlangen zu beschwören. Schabende Bleche treffen obendrein auf ein röhrendes Saxofon. Zeitweilig ist wohl ein Baritonsaxofon zu hören. Nachfolgend scheinen Bleche durch den Raum zu rollen und umzufallen, übereinander zu fallen. Ein Knarzen und Knarren breitet sich außerdem aus. Zudem umfängt uns die Tieftönigkeit des Baritonsaxofons. Teilweise mutet es so an, als würde ein aggressiver Elefantenbulle wütende Schreie ausstoßen. Myriaden von Triangeln, einen Flut von Heuschrecken gleichend, scheinen vorhanden zu sein. Der Gitarrist lässt dazu ein kaskadierendes Plong hören. Höhepunkte werden angezielt und fallen gelassen. Zerbrechliches wird zelebriert, ebenso das tiefe Timbre des Baritonsaxofons. Malstrom oder Monsterwelle fragt man sich beim Hören. Und das endet erst mit dem letzten Takt.
© ferdinand dupuis-panther 2025
Musicians
Dave Rempis – soprano/tenor/baritone saxophone
Terrie Ex - guitar
Jon Rune Strøm – bass
Tollef Østvang - drums
Tracklisting
1. Omen - 26:54
2. Half Stack - 07:36
3. Bright Side - 18:04