Loxodon_prism, Tonhalle Hannover, 27.3.2022







An diesem Abend gehörte die Tonhalle dem Duo Tal Arditi/Nathan Ott. Dabei traf ein Gitarrist auf einen Drummer, durchaus keine gewöhnliche Duoformation. Im Vorwege des Konzerts konnte man nachstehende Zeilen lesen: „Die Musik von Loxodon_prism stellt die Kraft des Moments in den Vordergrund, ohne stilistisch kategorisierbar zu sein. Dabei liegt der Fokus darauf, improvisatorisch eine Durchdringung von Genregrenzen zu erreichen und die Rollenverteilung von Schlagzeug und Gitarre neu zu denken. An der Schnittstelle von Komposition und Improvisation, zwischen pulsierender Polymetrik und kosmischen Klang-Plateaus, erschließt das Duo ein weit gefächertes musikalisches Spektrum. Elastisch und flexibel navigiert es durch unkonventionell strukturierte Landschaften, ohne an Bodenhaftung zu verlieren.“



Kommunikationsflüsse, Zwiegespräche, wiederholte Phrasen mit und ohne Varianzen, Klangfelder wie Geröllwiesen, Murenabgänge, Schlagfertigkeit und Tropfenklang, Pochen, Hämmern, Köcheln, Klangrauch und auch Klangrausch, Zugespitztes und Basslastiges, wandernde Finger und angerissene Saiten – das gab es an diesem sehr beeindruckenden Spätnachmittag zu erleben. Besengewische auf der Snare traf auf Saiten-Kolorierungen, die nicht aus dem Off entwickelt wurden. Kling-Kling und Klong-Klong nahmen die anwesenden Zuhörer auf. Dezentes Geschiebe auf den Trommelfellen erschien wie ein sonores Rauschen. Wandlungen von Tonfolgen nahmen wir auf. Es schien, als würden diese nie enden wollen. Immer wieder setzte der Gitarrist Tal Arditi an, um erneut das Gestische klanglich präsent werden zu lassen. Bisweilen hatte man den Eindruck, die erzeugten Klänge würden den Gemälden von K.O. Götz ähneln. Die Klangfolgen verteilten sich so wie die von einem breiten Quast linienhaft verteilte Farbe in den Arbeiten des erwähnten Vertreters des Informel. Wellenschläge vermischten sich mit feinen Rinnsalen. Geschlagene Wechsel trafen Snare, Tom und großes Becken. Ein Tickticktick und Toktoktok entlockte Nathan Ott der Hi-Hat. Hart gespannte Trommelfelle vibrierten und verloren ihren Klang. Kordel-Vorhänge des Klangs wurden von Tal Arditi aufgezogen und öffneten so den Blick auf das Kommende. Gespreizte Sequenzen und gelegentliches Flageolett waren außerdem auszumachen.

Begegneten sich da nicht auch Peter Green und The Ventures? Vordergründige Monotonie war nicht zu überhören. Doch bei genauem Eindringen in die Klangschwaden ließen sich Nuancen erfassen, waren farbige Facetten als Destillat zu gewinnen. Pedantisch erschien ab und an der Drummer in seinem Spiel. Man meinte, er würde die Pflöcke für die Klangbespannungen einziehen, die dann Tal Arditi schuf. Oberflächlich Verspieltes vereinte sich mit Ansätzen von Loops im analogen Modus. Die Gitarre klang stets wie eine Gitarre. Distortions und Delays waren Teil des Vortrags. Nie jedoch modulierte der Gitarrist sein Instrument zu einem Synth oder verflüchtigte sich in Sphären-Träumereien. Schon eher meinte man, Arditi würde das Publikum nach und nach in Trance versetzen.


Momente des beinahe Hypnotischen erlebten die Zuhörer zudem. Dabei wurden sie nicht etwa Zeuge von New Age reloaded, im Gegenteil. Arditi schien eher aus dem Vollen der Geschichte der E-Gitarre zu schöpfen. Auf die Granden der Jazzgitarre wie Wes Montgomery oder Jim Hall verwies der aus Israel stammende und in Berlin lebende Gitarrist nicht. Eher musste man wohl Referenzen auch bei John McLaughlin suchen, oder? Nahm er nicht zusätzlich Anleihen an der Rockmusik der West Coast?

In einigen Passagen hatte man auch den Eindruck, man bewege sich in den Gefilden von gut gemachten Popsongs, wie wir sie von den Beatles her kennen.  Der Berichterstatter musste während des Konzert hier und da auch an Country Blues und J. J. Cale denken. Wilde Gedanken, oder? Dramatisierungen waren eine bewusste Entscheidung des Duos, das eine Melange servierte, die durchaus mit dem Begriff Fusion zu belegen war. Oha, gab es da nicht auch Ska, der an unser Ohr drang? Tal Arditi schien jedenfalls nicht verlegen, „Zitate“ aus der Jazz- und Rockgeschichte zu verfremden, oder?


Bündelungen und Auflösungen von Klangsträngen gehörten zum Konzept des Duos. Keine Frage! Fragmentarisches wurde vorgebracht. Klangflüsse wurden gehemmt. Gerölllawinen der Klangs wurden inszeniert. Über eines der großen Becken wurde der Stick gezogen, sodass ein Tinitusklang aufhorchen ließ. Langwelle vermischte sich mit Kurzwelle. Frequenzen wurden verschoben und schuppig überlagert.

Klangglitzern und Transparenzen konnte man entdeckten. Hörte man nicht hier und da auch das Sausen eines Schussfadens auf einem mit Druckluft betätigten Webstuhl? Rhythmisierte Phrasierungen umhüllten die Zuhörer. Dichtigkeit erhielt eine Form.

Nur einmal an diesem Abend gaben die beiden Musiker Fingerzeige auf ein Stück, eine Verneigung vor Paul Motian vermischt mit einer Kompositionsidee von Tal Arditi. Ansonsten ergingen sich beide in non-verbaler Kommunikation, verteilten Klangsequenzen, die sie paraphrasierten. Bei Motians Komposition handelte es sich im Übrigen um „Mode VI“. Wenn der Berichterstatter es akustisch richig wahrgenommen hat, lautete der Titel von Arditis Beitrag „Reality in G“.


Die Eröffnung des Stücks gehörte dem Drummer, der dabei solistisch im Fokus stand. Dann jedoch war es an dem Gitarristen Sequenzierungen aufzuschlüsseln. Gab es dabei nicht auch Anlehnungen an klassische Etüden? Funkenflüge erlebten wir im Weiteren, Nachgang eines bunten Feuerwerks. „Saturday afternoon in Hanover“! Und das hatte dann gar nichts gemein mit „Lazin' on a sunny afternoon“ (The Kinks). Dazu war das, was an unser Ohr drang viel zu sturmbewegt, kam wie ein Klangorkan daher. Das stete Pulsieren war nachhaltig zu spüren. Zeit für einen faulen (späten) Nachmittag gab es in der Tonhalle Hannover nicht. Aufmerksames Zuhören war hingegen angesagt.

Die beiden Musiker überzeugten von A bis Z. Der Beifall war sehr herzlich und animierte, die beiden in Berlin lebenden Musiker noch zu einer Zugabe, mit der ein sehr gelungenes Konzert seinen Abschluss fand.


Nachsatz/Annex

Übrigens, wer das Konzert verpasst hat, der hat wirklich etwas verpasst. Nun gut, das Konzert wurde mitgeschnitten und wird auf YouTube abrufbar sein. Wann? Das verrät ein Blick auf die Homepage der Tonhalle. Übrigens, um die Videoproduktionen und die Konzerte mitzufinanzieren, sind Spenden gern gesehen.

© fotos und text ferdinand dupuis-panther




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Review
Jazz made in Israel 1





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Berlin, Kühlspot Social Club
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Dates for Prism-o-Scope
Arditi/Ott plus

13.5. Christopher Dell
10.6. Bernhard Meyer
15.7. Ganna Gryniva
7.8. Sebastian Gille
2.9. Kathrin Pechlof


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