Berlin 21 – Badenscher Hof, Berlin, 22. April 2017

„Der Badensche Hof favorisiert original Black Music. Hier trifft sich die Berliner Black Community, hier tobt der schwarze Groove in heißer Jazzclub-Atmosphäre!“ das ist das Motto des Clubs. Doch Berlin 21 besteht nicht aus afro-amerikanischen Musikern, sondern aus Torsten Zwingenberger (drums), Martin Lillich (Basscello), Lionel Haas (piano) und Tim Seiter (guitar). Letzterer ist das jüngste Mitglied der Band, 26 Jahre alt und aus Winnipeg (Manitoba, Canada) stammend. Seit beinahe zwei Jahren lebt Tim Seiter jedoch unweit vom Badenschen Hof. Doch Jazz ist eben heute nicht mehr nur afro-amerikanische Musik. Gewiss, Jazz als Verbindung von Blues und Swing, so Wynton Marsalis, wurde in den Staaten geboren, aber nicht ausschließlich von Afroamerikanern gespielt. Ganz abgesehen davon, dass es in Europa längst eine eigene Kultur des Jazz gibt und Black Music kein Qualitätsmerkmal per se ist. Das unterstrich Berlin 21 mit ihrer Musik ganz nachhaltig. Sie swingte, gab sich dem Blues sowie den kubanischen und orientalischen Rhythmen hin und verpflanzte obendrein bei „Sitaki Shari“ musikalisch Ostafrika nach Berlin!

Bis auf den letzten Platz war der Badensche Hof an diesem Konzertabend belegt. Wenige Stehplätze gab es. Wer saß, der saß sehr kuschelig. Auch die Bühne schien viel zu klein für das Quartett, dessen Name sich von der einstigen „Postleitzahl“ für Berlin-Moabit herleitet. In diesem Stadtteil von Berlin liegt der Probenraum von Berlin 21, den Torsten Zwingenberger vor Jahren eingerichtet hatte.

„Swindle“ und ...

Von „Swindle“ über „Windy City“ – eine Anspielung sowohl auf Chicago als auch auf Winnipeg – und Express Braun sowie „10 to the Bar“ bis zum „Schwarzmeer-Blues“ reichte das Programm. Gespielt wurden ausschließlich eigene Kompositionen, die der Feder von Lionel Haas und Martin Lillich entstammen. Stets war Torsten Zwingenberger bereit, ein paar Worte zu den Stücken zu verlieren, hier und da auch mit einem deutlichen Augenzwinkern. Das war auch bei dem Eröffnungsstück „Swindle“ der Fall. Es stammt von der letzten CD „Odds On“ und ist Lionel Haas zu verdanken, der es, so Torsten Zwingenberger, bereits mit fünfeinhalb Jahren komponiert habe. Das war natürlich großer Schwindel und eine nette Anspielung auf den Titel.

Die melodische Linie gehörte beim „Schwindel“ dem Pianisten und dem Gitarristen der Band. Wenn an dieser Stelle von Melodielinie die Rede ist, dann macht das deutlich, dass nicht verkopfte Improvisationen zu Berlin 21 gehören, sondern durchaus schöne „Klangarabesken“, denen mühelos gefolgt werden kann, auch ohne ein musikwissenschaftliches Studium absolviert zu haben. Sehr gelungen war das Basssolo von Martin Lillich, das am Ende zum Thema zurückführte. Unaufdringlich war Torsten Zwingenbergers Rhythmusspiel mit den Besen.

An einen Verbund von Kaskaden musste man denken, folgte man Lionel Haas' Spiel in „Windy City“. Mit bluesigen Anmutungen mischte sich Tim Seier ein. Im weiteren Verlauf drängte sich der Eindruck von sommerlicher Frische viel mehr auf als von einem böigen Wind, der um die Häuser fegt. Wenn überhaupt vermeinte man, einen leichten Fahrtwind oder eine sachte Meeresbrise zu verspüren, trotz der recht warmen Temperaturen im Badenschen Hof. Gab es da nicht auch Momente von Surf Sound jenseits der Beach Boys?

Orient trifft New Orleans

Klänge des Orients vermischten sich bei „Third Line“mit New Orleans Jazz und auch ein wenig Funk. Bisweilen hörte man eine Marching Band während des Mardi Gras vorbeiziehen. Überlagert wurde dies von fetzigen Grooves, die Tim Seiter zu verdanken waren. Als Lionel Haas die Klaviatur seiner Tasten bediente, schien man als Zuhörer in den Serail entführt zu werden. Gab es da nicht auch Zitate aus „Caravan“ und „Isfahan“ zu hören? Doch das waren Bruchteile von Sekunde, ehe dann nur noch funky, funky, funky angesagt war. Schließlich: Wollte Torsten Zwingenberger mit seinem Schlagwerksolo tanzende Derwische herbeizaubern, um die orientalische Ausrichtung des Stücks abzurunden?

Nachfolgend bestiegen wir gemeinsam mit dem solistisch agierenden Torsten Zwingenberger den Interzonenzug von Bahnhof Friedrichstraße zum Bahnhof Zoo und weiter die Wannseebahn bis zum Berliner Stadtrand. Zurückgeht das Stück auf das Erlebnis bei einem Stadtbesuch 1969, als der kleine Torsten, damals ein Hamburger Schietbüdel, erstmals einen Dampfzug durch Berlin rattern sah. Fürwahr das Rattern und Schnaufen über die Schwellen, das Fahrtaufnehmen, das Ablassen des Dampfes, die Abfertigung des Zuges – all das fing Torsten Zwingenberger mit seinen Toms, seiner Snare, seinen diversen Becken, seinem Cajón, seiner Bass Drum und Trillerpfeife sehr wirklichkeitsnah ein. Ein Hörspiel wurde vor den Augen des Publikums zum Besten gegeben, wobei schon der Eindruck entstand, hier fahre wirklich ein Zug mit Dampflok vorweg vorbei. Dieses Hörspiel ging nahtlos in Martin Lillinchs „Express Brain“ über, kein Stück über eine Eisenbahnfahrt, sondern die schnelle musikalische Datenübermittlung mittels trainierter Synapsen!

Sowohl das flotte Fingerspiel des Bassisten Martin Lillich als Intro für „Insight“ als auch das „Duett“ zwischen Gitarristen und Bassisten waren ein besonderer Ohrenschmaus. Zum Abschluss des ersten Sets gab es noch ein wenig kubanische Rhythmen, sprich Salsa und mehr, als die Band „Clues“ vortrug.

Stressfreie Zone mit Berlin 21

Getanzt werden konnte aufgrund der Raumenge ja leider nicht, obgleich die eine oder andere Nummer in die Beine ging und schwäbische Zurückhaltung mit Wippen der Fußspitze völlig unangemessen war. Doch zu Beginn von „Sitaki Shari“ durfte wenigstens gemeinsam rhythmisch geklatscht werden. So begann „Ich möchte keinen Stress“ - die Übersetzung des aus dem Suaheli stammenden Titels, einer Komposition von Martin Lillich. Ja, African Beats und Grooves waren ganz nahe, auch ein bisschen die Reminiszenz an „Pata Pata“.

Eigentlich war auch „Take Back The Scene“ angetan, um nicht nur eng zu tanzen, doch … Ein bisschen James Brown und ein bisschen Ray Charles schien in der musikalischen Gewürzmischung vorhanden gewesen zu sein. Dabei jaulte, wimmerte und heulte nicht die Gitarre, sondern der von Martin Lillich gestrichene Bass. Ein wenig Boogie Woogie der 1930er und 1940er Jahre, eine Prise Swing und Blues – schon hieß es nicht „eight to the bar“, sondern „Ten To The Bar“ mit rollender Basshand und Kaskaden im Diskant dank Lionel Haas.  Mit „Park Atmo“ – hier fing Lionel Haas das Jammen mit afrikanischen Musikern in einem Berliner Park ein – endete das Konzert. Den Schlussakkord bildete dabei ein Solo von Torsten Zwingenberger, bei dem Waschbrett, Rasseln wie Caxixi und Rumbarasseln, Reibetrommel, Cajón und afrikanische Trommel zum Einsatz kamen. Es war ein furioses Spiel, das Torsten Zwingenberger in gleichsam zirzensischer Manier präsentierte. Der lang anhaltende Schlussbeifall der Anwesenden war Berlin 21 gewiss, und ein Abend mit einem musikalischen Kaleidoskop war zu Ende.

Die nächste Chance Berlin 21 zu erleben: 11. Mai 2017 im Zig Zag Club Berlin!

Text und photos © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Badenscher Hof
http://www.badenscher-hof.de/

Berlin 21/Torsten Zwingenberger
http://www.jazzhalo.be/interviews/torsten-zwingenberger-ein-gespraech-mit-dem-in-berlin-lebenden-schlagzeuger-und-bandleader-von-berlin-21/

CD Reviews
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/b/berlin-21-odds-on/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/b/berlin-21-capital-letters/




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