Rolf Kühn – Fearless

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Das letzte Studioalbum von Jazzlegende Rolf Kühn liegt nun vor. Es ist eine Veröffentlichung posthum, denn der Klarinettist verstarb am 18. August 2022, wenige Wochen nachdem er sein letztes Werk in den legendären Hansa-Studios aufgenommen hatte. „Fearless“ erscheint vor diesem Hintergrund als letztes musikalisches Testament des „Gentleman of Jazz“. Im Pressetext zur Veröffentlichung lesen wir: „Kühns Kompositionen, ob balladesk oder temporeich und treibend, ließen immer Raum für das, was Jazz für ihn bedeutete: gemeinsam Musik zu machen, durch Improvisationen, die sich aus dem Hören und Fühlen entwickeln.“
Die Kompositionen wurden, so ist zu erfahren, nicht am Klavier konzipiert, sondern direkt notiert. Die Hauptthemen seiner Kompositionen waren vollständig ausgeschrieben, aber alles dazwischen war offen und ergab sich aus dem Moment heraus. Selbst wer das erste Solo spielte, war nicht vorbestimmt. Diese Spontaneität war für ihn schon immer wichtig gewesen. „Fearless“ enthält sieben Eigenkompositionen von Kühn sowie drei Coverversionen wie „Tears in Heaven“ (Eric Clapton).
Nicht nur das aktuelle Album wurde posthum veröffentlicht, sondern auch die Verleihung des Deutschen Jazzpreises 2023 geschah posthum. Ausgezeichnet wurde Rolf Kühn für sein Lebenswerk (gemeinsam mit seinem Bruder Joachim). Der Pianist Joachim Kühn in einem O-Ton: „Mein Bruder Rolf ist für mich der beste Jazz-Klarinettist der Welt seit den frühen 1960er Jahren. Das ist er bis heute geblieben. Sein Ton ist unvergleichlich und sofort wiedererkennbar. Jetzt, im Alter von 92 Jahren, ist sein letztes Album in Arbeit. Völlig neue, eigenständige Kompositionen. Man hört so viel Leidenschaft und Gefühl wie nie zuvor in seinen neuen Soli. Ein wahres, unglaubliches Vermächtnis."- so liest man es auf dem Albumcover. Übrigens, auf dem Album hört man Streicher-Arrangements, die in einer Art Collage den Studioaufnahmen des Quartetts beigegeben wurden.
Mit „Alpha 47“ macht das Album auf. Beim Hören könnte man den Eindruck haben, Rolf Kühn habe eine Filmmusik zu einem Krimi geschrieben. Dabei entstand dann auch die Szene, die wir akustisch erleben: Der Mörder verlässt den Tatort, sich umblickend, verharrend, sich an eine Hausfassade drängend und in einem Hauseingang bzw. Toreinfahrt sich verbergend. Nicht weniger dramatisch gestaltet wurde „Fun for Kids“. Angesichts eines Rhythmus, der an den eines fahrenden D-Zugs über ausgeschlagene Schweller erinnert, ist man schon mittendrin in der nächsten Erzählung, die nicht allein Kühn mit seiner Klarinette prägt, sondern auch Lisa Wulff mit ihren Bassinterventionen. Im Fortgang des Stücks hat man bisweilen die Vorstellung, Rolf Kühn und seine Mitmusiker führen uns in einen verwunschenen Wald, in dem sich Nebelschwaden erheben, oder? Insbesondere dank der Streicher und der lyrischen Klänge, die der Pianist zum Stück beiträgt, vermittelt „Somewhere“ eine sehr emotionale Stimmung, vielleicht eine Abendstimmung, derweil die ersten Leuchtreklamen und Schaufensterbeleuchtungen eingeschaltet werden. Bereits oben wurde auf „Tears in Heaven“ hingewiesen, geschrieben von Eric Clapton nach dem tragischen Tod seines Sohnes. Dabei übernimmt Rolf Kühn die Melodielinien, die Clapton gesanglich und auf seiner E-Gitarre realisiert hat. Beim Hören hat man hier und da den Eindruck, man lausche der Musik eines Leichenzugs, als ginge es um eine Variante des Totentanzes mit aller Schwere.
„Fearless“ – Titel gebend für das Album – ist Teil des weiteren Repertoirs. Bass und Piano sind für die Färbungen verantwortlich, für die Leichtigkeit der Musik, die an Aufbruch und Neuanfang denken lässt. Glockenhell sind die Klarinettenklänge, die wie perlende Wassertropfen auf uns niedergehen. Und auch in diesem Stück versteht es Kühn meisterlich Spannungsbögen aufzubauen, Strukturen zu fragmentieren und sie dann wieder zusammenzufügen, auch im Tutti seines Ensembles. Konzertant zeigen sich Kühn und seine Mitmusiker in „The Summer Knows“. Zu Beginn liegt das in der Hand von Frank Chastenier, ehe Kühn seinen Weichklang der Klarinette zu kristallinen Pianoklängen einbringt. Bei seinem Aufspiel meint man, man lausche einem französischen Chanson à la Barbara, Juliette Greco oder anderer Sangeskünstler Frankreichs. Schließlich sei auf das Stück „A Love Story“ hingewiesen. Beim Hören werden Erinnerung an den einen oder anderen Jazzstandard wach, oder? Man muss an die Zeiten denken, als Jazz Popmusik war und sich in den Klubs alle Jazzaffinen auch zum Tanz trafen. Seinen Abschluss findet das Album mit „Free Exit“. Fingerzeig für das, was Rolf Kühn unter Jazz verstand?
© ferdinand dupuis-panther, 2025
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Musicians:
Rolf Kühn – clarinet
Frank Chastenier – piano
Lisa Wulff – double bass
Túpac Mantilla – drums, percussion
Cuareim Quartet
Tracklisting (LP/CD):
Side A:
1. Alpha 47
2. Fun for Kids
3. Somewhere
4. As Cape
5. Tears in Heaven
Side B:
6. Fearless
7. The Summer Knows
8. Simply Red Plus
9. A Lost Story
10. Free Exit