Michael Jäger Kerouac: Dance Around in Your Bones

Michael Jäger Kerouac: Dance Around in Your Bones

M

Intakt Records CD 219

Um sich hat der Tenorsaxofonist und Klarinettist Michael Jaeger weitere Musiker aus der Schweiz geschart: Vincent Membrez am Piano, Luca Sisera am Bass und Norbert Pfammatter an Drums. Bis auf „Manitoba“ stammen alle Kompositionen auf dem Album von Michael Jaeger.

Aufgemacht wird mit „Dance Around in Your Bones“ - dabei sollte man aber nicht an Funk und Fusion denken. Wir stehen vor einem akustischen „Gate“ und vor „Door in the Door“, ehe eine tonale „Mondsichel“ am Musikhimmel aufgeht. Mit „Apfelklappe“ schließt das Album.

Titel zu Kompositionen setzen Assoziationen frei und sind auch überaus wichtig für die Beziehung zwischen Band und Publikum. In einigen Fällen bedarf es aber der weiteren verbalen Erläuterungen wie bei „Apfelklappe“. In einem Interview mit Michael Jaeger, das ich anlässlich eines Konzerts in Münster führen konnte, sprach ich einige Titel des Albums auch an: „ „Mondsichel“ ist eine romantische Ballade. „Manitoba“ ist die kanadische Provinz, wo Vincent Membrez den Song geschrieben hat. Beim Stück „Apfelklappe“ habe ich einige schweizerdeutsche Sätze direkt in Musik umgeschrieben. Die Melodie und Rhythmik meiner Muttersprache wurde hier Musik, am Ende sogar ein Song.“

Werfen wir einen kurzen Blick ins Booklet, so lesen wir über Kerouac als „eine Working Band, die durch Lern- und Erklärungsprozesse gegangen ist“. Ist das nicht bei jeder Jazzcombo so, die im Austausch, im Annehmen und Verwerfen, im Improvisieren, in den Changes und Bridges sich selber sucht und dann auch findet? Der Name Kerouac bezieht sich auf eine Komposition von Dizzy Gillespie. Dass aber manch Literaturbewanderter auch an den Autor der Beatniks-Generation Jack Kerouac denken muss, ist nicht abwegig. Michael Jaeger im Interview dazu: „Gute Frage. Man weiß, dass die Familie des amerikanischen Schriftstellers Jack Kerouac ursprünglich aus Frankreich kommt, von wo sie dann in die USA ausgewandert ist. Kerouac hatte Dizzy Gillespie und Charlie Parker live gehört und sicher auch persönlich getroffen. In seinem spannenden Roman „On the road“, da liest man von Konzerten, bei denen die Beatniks Bebop hörten. Dizzy Gillespie hat später als Hommage an den Schriftsteller ein Stück geschrieben, das „Kerouac“ heißt. Dieses Stück lag in einem Notenheft zufälligerweise offen vor mir, als jemand anrief und fragte: 'Wie heißt Ihr denn?' Das war erstmals alles ziemlich zufällig.“

Na dann schütteln wir erst einmal unsere müden Knochen aus, wenn wir von Kerouac dazu aufgefordert werden: Klar und samtig erhebt die Klarinette in den Händen von Michael Jaeger ihre Stimme. Sie klingt frühlingsbeschwingt. Zu ihr gesellt sich dann der gezupfte Bass von Luca Sisera und das Tickticktick des Schlagwerks in der Verantwortung von Norbert Pfammatter. Die Klarinette breitet vor uns einen fliegenden Tonteppich aus, auf dem wir uns niederlassen können. Insbesondere die Rhythmusgruppe scheint uns jedoch aufzufordern, mal den müden Körper in Schwung zu bringen. Ausgelassenheit nehmen wir wahr. Michael Jaeger scheint ein moderner Rattenfänger im positiven Sinne, denn er vertreibt winterliche Lethargie und umgarnt uns melodiös, sodass wir uns schließlich aufraffen. Let's dance ist nicht die offensichtliche Botschaft, aber auch nicht 5-Uhr-Tanztee. Irgendwie ist das musikalische Programm anderswo angesiedelt, beim Open-Air-Livekonzert vielleicht. In der Ungezwungenheit einer solchen Umgebung kann man dann schon mal loslassen und sich rhythmisch drehen, vor allem zum Schlagwerk, das am Ende allein auf weiter Flur zu hören ist: „Dance Around In Your Bones“.

Viel weniger energetisch geht es bei „We Shouldn't Forget The Spell“ zu. Wiederkehrende Themenblöcke sind auszumachen. Ist da das Saxofon nicht Rufer in der Wüste? Nein eher tonaler Hexenmeister, der uns in seinen Bann zieht und bezirzt, derweil sich das Klavier sehr tiefstimmig gibt. Das Tastenmöbel klingt, als wolle es fortwährend warnen und auf Obacht drängen. Unaufhörlich müssen wir beim Hören daran denken, dass uns noch der Bannstrahl treffen wird. Angekündigt wird er ständig. Abwegige Bilder?

Neblige Sopransaxofonschleier sind des Nachts aufgekommen. So jedenfalls ist der anfängliche Höreindruck bei der Komposition „Mondsichel“. Sehr verhalten lassen sich das Tastenmöbel und der Tieftöner auf die nächtliche Szenerie ein. Vor unseren Augen traben einzelne Nachtschwärmer durch fahl beleuchtete Straßen. Der Mond wirft sein weniges Licht auf die Stadtsilhouette, so wie die Maler der Romantik dies auch vielfach in ihren Ölgemälden festgehalten haben. Es herrscht allgemeine Nachtruhe. Die letzte Tram fährt ratternd und holprig dahin – man lausche mal dabei auf Vincent Membrez an den schwarzen und weißen Tasten. Irgendwo scheint aber noch eine private Feier stattzufinden, denn das Spiel von Kerouac nimmt Fahrt auf und animiert zu zaghaften Tanzschritten. So sehen wir mit viel Fantasie in einem noch gut besuchten Club unermüdliche Paare auf der Tanzfläche. Mondsüchtige sind sie, auch wenn nicht Vollmond ist.

Auf geht es nach „Manitoba“, in die kanadische Wildnis, in die Prärie, die nordamerikanische Steppenlandschaft, die sich bis zum Horizont ausdehnt. Das suggeriert jedenfalls Vincent Membrez mit seinem elegischen Klavierspiel. Es drängt sich der Eindruck auf, als beschreibe Membrez musikalisch die schwer auf dem weiten Land lastenden grauen Wolken, so wie einst Jacques Brel das für Flandern getan hat. Weite, nichts als Weite, dünn besiedeltes Land, nur alle paar Stunden mal ein einsames Auto, kein urbaner Dschungel, sondern flaches Land – das verbindet sich mit den dahingleitenden Klangpassagen. Erst spät im Verlauf des Stücks ist dann auch der „Klagegesang der Klarinette“ zu vernehmen. Sie scheint traurig, allein und verloren, auch wenn Bass, Klavier und Drums in ihrer Begleitung sind.

Oh, das klingt ja fast nach Volkslied, wenn die ersten Takte von „Apfelklappe“ zu hören sind. Im Verlauf schwächt sich dieser Eindruck nur gering ab. Nun muss man ja bei Volkslied nicht immer gleich an Humpdahumpda denken. Im Verlauf löst sich dann auch der Eindruck von Volksliedhaftigkeit. Beschwingt ist die Grundstimmung, die die Band mit ihrer Musik transportiert. Einig darin sind sich der Pianist, der Schlagzeuger und der Bassist, der überaus rhythmisch mit seinem Tieftöner umgeht. Immer verspielter zeigt sich nachfolgend Vincent Membrez. Michael Jaeger kommt dabei für Momente gar nicht zu Wort. Doch schließlich lehrt er uns die Klarinettentöne, mit Klezmerhauch, oder? Unbedingt reinhören und etwaige schlechte Laune abschütteln, so lautet die Botschaft des Albums. Jedenfalls sehe ich das so!

© ferdinand dupuis-panther

Informationen

Label
http://www.intaktrec.ch/

Musiker
http://www.michaeljaeger.ch/de/michael-jaeger-kerouac/about
http://lucasisera.com/
http://www.norbertpfammatter.com/de/biography/
http://www.vincentmembrez.ch/index.php?page=news


Audio
http://www.michaeljaeger.ch/de/michael-jaeger-kerouac/musik-hoeren/

Interview
http://www.jazzhalo.be/interviews/michael-jaeger-von-wurzeln-und-grenzen-interview-mit-dem-tenorsaxofonisten-und-klarinettisten/


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