Marilyn Mazur x2

Marilyn Mazur x2

M

Clap Your Hands / Stunt Records/Sundance Music

Foto © Nicola Fasano

"Rerooting" + "Live Reflections"

 



Marilyn Mazur’s Shamania
Rerooting

Clap Your Hands


Im Pressetext lesen wir: „Die zehn Frauen von Shamania gehören zu den unabhängigsten Musikerinnen der skandinavischen Szene und leben in Dänemark, Norwegen und Schweden. Wenn sie aufeinandertreffen, bringen sie durch ihre ungeheure Energie eine ursprüngliche Kraft und faszinierende Rhythmen auf die Bühne und verzaubern den Zuhörer mit atmosphärischen Stimmungen und Momenten des puren Staunens. Eben diese Qualitäten haben sie nun auf ihrem zweiten Album eingefangen: „REROOTING“ vereint 16 Songs, eine Kombination aus Marilyns brandneuen und älteren Kompositionen, die bis auf eine Ausnahme alle bisher unveröffentlicht waren.“

Angesichts der Zusammensetzung der Band mit zwei Vokalistinnen, davon eine die auch am Altsaxofon zu hören ist, stellt sich die Frage danach, wie zentral die Stimme in den Kompositionen ist. Das meint die Frage danach, wie zentral das Textliche gegenüber dem Instrumentalen ausgeprägt ist. Übrigens, die Hälfte der aufgenommenen Tracks enthalten Vocals in welcher Art auch immer! Mit einem „Sonnenuntergangskanon“ eröffnet das Album. Dabei ist für die Färbung des Kanons nicht nur die Stimme von Josefine Cronholm entscheidend, sondern auch der Klang des Ziegenhorns und der Udu: Ein „Gong“ wird angeschlagen, und dann hört man den „klagenden Ruf“ eines geblasenen Ziegenhorns. Dabei muss man eher an folkloristische Ausformungen von Musik denken, ob aus dem Vorderen Orient oder aus dem ländlichen Italien. Dumpf klingt der Udu, ein tönerner Schlagtopf, der vor allem in der Musik Nigerias eine Rolle spielt. Das stimmliche Element des Stücks ist keine Lautmalerei, sondern Textliches in Norwegisch (?). Dadurch gewinnt der des Norwegischen nicht mächtige Hörer dann auch eher den Eindruck, er höre eine lautmalerische Klangmelange, oder? Das zu einem Kanon mehrstimmiger Gesang gehört, steht wie im vorliegenden Fall außer Frage.

Mit nervösem Trommelwirbeln und „Vogelschreien“ sowie Sphärischem macht „The birds are early out“ auf. Quii, Quii dringt ebenso ans Ohr des Zuhörers wie „tears of many years“ … Flötenklang mischt sich mit Tiririri und Huapp-huapp sowie Ontaontaquiqui – Letzteres ist den beiden Sängerinnen Josefine Cronholm und Sissel Vera Pettersen geschuldet. Der glockenspielähnliche und vibrafongleiche Klang einer Kalimba ist im nachfolgenden Stück zu hören. Oder hören wir da ein präpariertes Klavier? Außerdem muss man beim Hören des Stücks ein wenig an den Klang von Gamelanmusik denken. Sissel Vera Pettersen setzt ihre Stimme in „Coloured Minds“ im Sinne von Scat Vocals lautmalerisch ein. Es ergeben sich so fließende, wellige Linien, teilweise mit Hall erweitert. Oder sind da nicht auch Loops mit im Spiel? Wer sich mit westafrikanischer Musik auskennt, dem drängt sich der Eindruck auf, dass die Melodien und die Harmonien aus dieser Gegend Afrikas stammen oder inspiriert wurden. Vereintes Gebläse, aufgemischt, einem Klangmalstrom streckenweise gleich, vernimmt man bei „Virtual Towers“. Außerdem präsentiert uns Lotte Anker ein Tenorsaxofonsolo mit „klanglichen Serpentinen“. Für eine dunkle Klangfärbung sorgt streckenweise die Pianistin  Makiko Hirabayashi.

Marilyn Mazur lässt in „Gongs for Peace“ die Gongs hallen, teilweise weichgezeichnet. Von den Färbungen her könnte man meinen, man lausche einer Mischung auf Marimba- und Vibrafon. Aber nein, es sind Gongs, die Mazur als Solistin zum Schwingen bringt. Dabei überlagern sich Schwingungen, vergehen und flammen erneut auf. Das hat teilweise eine durchaus „hypnotische Anmutung“. Sirengesang oder Walkommunikation, Elefantentrompeten oder archaisches Kriegsgeheul, Jodeladaptationen oder … - das fragt man sich zu Beginn von „Rerooting“. Dieses Stück ändert sich jedoch alsbald in seinem Charakter und wird songhaft, lebt auch durch das Perkussive und den Gesang mit Textstruktur. Aber immer wieder sind auch freie Klangstrukturen in das Stück eingebunden. Nur der Klang der Congas bleibt als konstante Größe, oder? Joik oder nicht – das stellt sich beim „Circular Chant“ als Frage. Zugleich ist der Höreindruck der, als würde man südafrikanischem Gruppengesang lauschen und „African Market Place“ sei sehr nahe. Oder sind im Geiste nicht auch Fela Kuti und Youssou N'Dour zugegen?

„Bali Bali“ sieht Soli der Sängerin Josefine Cronholm, der Balafon-Spielerin Marilyn Mazur, der Posaunistin Lis Wessber und der Bongo-Spielerin Lisbeth Diers.  Das kurzweilige Spiel auf dem Balafon, ein wenig nach Marimbafon klingend, wird zu einer Melange mit dem Gesang und dem Bongospiel verwoben. Nachhaltig bleibt aber das Balafon mit seinen verquirlten hohen Tonsilben im Gedächtnis. Gewiss, der Bass schwingt dunkel im Hintergrund mit starker rhythmischer Dynamik und auch die Bläser sind auszumachen, ehe ein Posaunensolo eingestreut wird. Dieses hat zwar nicht so dunkle Nuancen wie der Bassstrang, aber auch hier sind dunkle Sandfärbungen auszumachen. Der eine oder andere mag sich beim Hören des Stücks an die Musik von Osibisa und anderen Gruppen aus dem Westen Afrikas erinnern. „Largo of Voices“ besticht durch ein feines Trompetensolo über sphärischem Klangteppich, dank an Hildegunn Øiseth. Erstmals hört man bei diesem Track auch den Einsatz eines Waterfons. Das ist eine Kombination einer tibetischen Wassertrommel, eines afrikanischen Lamellofons und einer Nagelgeige des 18. Jahrhunderts. Mit einem Gong-Solo wird das vorliegende Album abgerundet.

© ferdinand dupuis-panther


Infos

LINE-UP

JOSEFINE CRONHOL voice
HILDEGUNN ØISETH trumpet and goat horn
LOTTE ANKER tenor and soprano saxophone
SISSEL VERA PETTERSEN voice and alto saxophone
LIS WESSBERG trombone
MAKIKO HIRABAYASHI piano and keyboard
IDA GORMSEN electric bass
LISBETH DIERS congas and percussion
ANNA LUND drums
MARILYN MAZUR composer/leader, percussion, balaphone and kalimbain

VIDEOS

TRACKS

1. SOLNEDGANGSKANON 4:57
soli: Hildegunn Øiseth, goat horn; Josefine Cronholm, voice; Marilyn Mazur, udu
2. THE BIRDS ARE EARLY OUT 4:07
voices: Josefine Cronholm and Sissel Vera Pettersen
3. COLORED MINDS 5:24
soli: Sissel Vera Pettersen, voice; Marilyn Mazur, kalimba; Makiko Hirabayashi, prepared piano
4. VIRTUAL TOWERS 3:38
soli: Lotte Anker, tenor sax; Makiko Hirabayashi, piano
5. SPRING PRINCESS 5:08
soli: Josefine Cronholm, voice; Lis Wessberg, tb; Marilyn Mazur, percussion
6. GONGS FOR PEACE 1 2:13
Marilyn Mazur, gong solo
7. REROOTING 3:58
8. SHADOW TUNE 3:56
solo: Makiko Hirabayashi, piano
9. CIRCULAR CHANT 4:12
soli: Josefine Cronholm, voice; Ida Gormsen, bass; Lotte Anker, tenor sax
10. SHAMAMALIBAS 2:57
soli: Hildegunn Øiseth, goathorn; Marilyn Mazur, percussion; Lotte Anker, soprano sax; Lisbeth Diers, congas
11. VINDBAS 2:57
solo: Makiko Hirabayashi, piano
12. BALI BALA 3:58
soli: Josefine Cronholm, voice; Marilyn Mazur, balaphone; Lis Wessberg, tb; Lisbeth Diers bongo
13. UNISON TOWER 1:51
drum solo: Anna Lund
14. DRUNGUDANS 2:23
Solo: Sissel Vera Pettersen, voice; Lisbeth Diers conga
15. LARGO OF VOICES 4:05
Solo intro: Hildegunn Øiseth tp; Marilyn Mazur, waterphone; Josefine Cronholm, recital
16. GONGS FOR PEACE 2 2:09
Marylin Mazur, gong solo

All compositions and lyrics by Marilyn Mazur,
except the lyrics of Largo of Voices by Josefine Cronholm




Marilyn Mazur’s Future Song
Live Reflections

Stunt Records/Sundance Music


Im Vorfeld zum Album war Nachstehendes zu lesen: "A plan came together in the mind of Marilyn Mazur. It was a plan nurtured by experiences while touring the world, playing in the bands of some of Jazz Music’s great masters, including Gil Evans, Wayne Shorter, and Miles Davis. She wouldend up leaving Davis’ project to realize her own. She returned from the USA to her home country of Denmark to create her ‘dream band.’ … “I had toured with some big names for three or four years, and it was both fantastic and very educational,” says the now 65-year-old drummer, percussionist, composer, bandleader, and world musician. “But I also had a bit of a hard time with the chemistry in those bands. That music, for me, did not go up to a higher plane, and I wanted to gather a group where the members communicated on a more intimate level, in a more telepathic way. …”

So suchte sich Mazur ihre Mitmusiker und fand dabei eine feine Auswahl skandinavischer Musiker wie unter anderem Nils Petter Molvær (tp), Hans Ulrik (sax), Eivind Aarset (g, electronics), Klavs Hovman (b), Audun Kleive (d) und Tone Aase (voice, electronics), mit denen sie das aktuelle Projekt realisierte. Gedanken zum Leben lautet die Übersetzung des Albumtitels und das klingt nach philosophischem Diskurs. Ob der sich auch in der Musik wiederfinden lässt, ist die offene Frage. Der musikalische Bogen spannt sich auf dem Album von „Gong-Pri“ und „Subwaygroove“ über „The Dreamcatcher“ und „Reflections“ zu „Vinterstykke“. Dabei ist die unterschiedliche Länge der Kompositionen auffallend: „Love Eruption“ dauert nur wenig mehr als eine Minute, derweil „The Holey“ über zwölf Minuten lang ist.

Aus der Ferne dringt nachhaltiger Trompetenklang ans Ohr des Zuhörers, wenn „Gong-Pri“ erklingt. Wie Nebelschwaden erscheint das, was wir hören, dahin schwebend, sich hier und da auflösend, verklingend, anschwellend und sich in Nachklang beinahe verlierend, so der Höreindruck. Dazu macht sich ein Gong bemerkbar, bei dessen Klang man durchaus an das Glockenwerk einer Kirche denken muss. Ab und an muss man auch an ein Windspiel mit Klangrohren denken. Im Verlauf wird das Trompetenspiel wilder, gleicht gelegentlich einem Malstrom, ehe dann durch Nils Petter Molvær erneut sanfte Passagen angestimmt werden. Der volle Klang von Udus ist zudem Teil des Arrangements. Sonorer Gesang breitet sich aus. Das hat durchaus etwas Spirituelles und Meditatives, zumal sich dazu noch ein wenig „Saxofonrausch“ einstellt. Nach und nach verdichtet sich ein Klangteppich, über den sowohl  Hans Ulrik als auch Eivind Aarset ihre Klangschraffuren setzen. Nachfolgend steht „Subwaygroove“ auf dem Programm:  Voller Bläserklang vereint sich mit starken Rhythmusmotiven, insbesondere der Bassdrum. Elektronika werden beigemischt. In einer Art „ Post-Zawinul-Duktus“ wird das Stück im Weiteren ausgeformt.  Fusion oder Jazz Rock fragt sich dabei der gemeine Zuhörer? Synth-Verwischungen paaren sich mit dem jaulenden und verzerrten Klang einer E-Gitarre. Wie flackernde grünliche Polarlichter erscheint das, was an unser Ohr dringt, schlierig, verwischt, vorbeiziehend, temporär.

Aus dem Off erhebt sich eine zarte Stimme, mit Hall unterlegt, zu Beginn von „The Holey“. Textbotschaft oder Lautmalerei – das ist dabei die Frage. Stimmenvielfalt breitet sich ebenso wie elektronischer Klang aus. Dumpfe Klopflaute werden angefügt, ebenso Basssequenzen, die als dunkelbraune Farbklänge zu beschreiben sind. Furioses Drumming vereint sich mit spitzzüngigem Trompetenspiel und sich entwickelndem „Klangunwetter“. Fragmentarisches wird zu einer Collage zusammengefügt, so auch ein kurzes Blechflirren, ein Fingergetrommel und ein schrilles Synth-Spiel. Trommelwirbel sind als Zwischenspiel ebenso eingefügt worden wie ein kurzes „Geblechle“. In einen melodischen Fluss tauchen die Bläser des Ensembles um Marilyn Mazur ein. Daraus lösen sich Nils Petter Molvær und Hans Ulrik. Sie klingen dabei zeitweilig so, als würden sie Walgesänge verfremden und zum Besten geben. Und gegen Ende hat man den Eindruck, das Ensemble habe sich bei Pink Floyd, Jeff Beck und Alvin Lee sowie Gary Moore eine Anleihe genommen. Ein Tsunami rollt dann über uns dahin und endet mit „Glöckchenbimmeln“.

Perlendes und kaskadierendes Klavierspiel, das sich in Strudeln von Tonsilben verliert, trifft bei „Reflections“ auf Gesang, wie man ihn unter anderem von Marie Boine her kennt. Bildlich gesprochen gleicht der Gesang dahin ziehenden Federwölkchen. Nachhaltig und im Fokus steht neben dem Stimmvortrag das Klavierspiel, das sich in klanglichem Wildwasser ergießt. Ja und dann ist für das Stück auch der volle, wellenförmige Klang der Trompete kennzeichnend, die ihren Raum fordert. Schlagwerkrauschen und Blechgeschrei nebst Anmutungen des Sphärischen sind für „Love Eruption“ typisch. Mit  „Vinterstykke“ findet das Album einen krönenden Abschluss.

© ferdinand dupuis-panther


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www.sundance.dk
https://www.marilynmazur.com

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Marilyn Mazur (perc)
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Hans Ulrik (sax)
Makiko Hirabayashi (keyb),
Eivind Aarset (g, electronics)
Klavs Hovman (b)
Audun Kleive (d)
Tone Aase (voice, electronics)
Aina Kemanis (voice)
Elvira Plenar (keyb)
Krister Jonsson (g)


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