Marco Netzbandt /Alexander Wienand: Double Rescue

Marco Netzbandt /Alexander Wienand: Double Rescue

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Unit Records, UTR 4548

Zwei Pianisten und zwei Flügel – das verheißt „Doppelte Rettung“, so jedenfalls der Titel des Albums. Auf diesem Album finden sich Eigenkompositionen des Duos wie auch Jazzstandards, darunter „Caravan“, bekannt durch Duke Ellington, und „“Hymn To Freedom“, eine Komposition von Oscar Peterson. Das Klavierduo Marco Netzbandt und Alexander Wienand wurde für ihr bisheriges Schaffen, das sich in der Brillanz im vorliegenden Album niederschlägt, jüngst auch ausgezeichnet. So erhielt Marco Netzbandt für seine Arbeit als Pianist, Komponist, Arrangeur und Hochschuldozent den Kulturförderpreis der Stadt Würzburg, in der er auch Zuhause ist. Alexander Wienand hingegen wurde mit dem bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und lebt in einem Mekka des Jazz der Gegenwart, nämlich in Berlin.

Geht das denn, ein Duo an den schwarzen und weißen Tasten ohne Bass und Schlagzeug? Schlagzeuglose Formationen sind in der Geschichte des Jazz keine Seltenheit. Chet Baker bevorzugte Combos ohne Schlagzeuger, die aus seiner Sicht viel Raum einnahmen. Das österreichische Trio akk:zent zum Beispiel vertraut auf zwei Akkordeons und ein Saxofon, auch hier vermisst man das Schlagzeug nicht. Das mag bei zwei Harmonieinstrumenten mit gleichem Klangspektrum anders sein und zugleich die ultimative Herausforderung für jeden Pianisten.

Anfänglich vernehmen wir bei „Herbstling“ - mit dieser Komposition macht das aktuelle Album auf – eine starke Basslinie, aber darüber scheint ein tonaler Herbststurm hinwegzufegen. Man meint, beim Hören des Duos die bunten Blätter der Bäume durch die Luft wirbeln zu sehen. Steht man an der Mole irgendwo an der Nordsee, so verspürt man, dass Salz in der Luft liegt. Dramatik und Poesie sind zugleich vorhanden, wenn das Pianisten-Duo seine Hände geschwind über die Tasten bewegt. Manchmal meint man sogar, da sei auch „Dancing in the rain“ mit im Spiel. Klassisch ausgebildet sind die Pianisten Marco Netzbandt und Alexander Wienand gewiss. Irgendwie denkt man im Stillen, bei ihnen vereinen sich Chopin, Grieg und Mussorgsky, wenn sie Geschichten erzählen, Geschichten vom September und Oktober, der kein goldener Oktober ist, sondern mit Herbststürmen aufwartet. Spürt man nicht auch ein wenig den schwindenden Nebel, wenn man dem Spiel der Pianisten lauscht? Bisweilen hört sich die Melodie so an, als hätten wir uns zu einem herbstlichen Tänzchen im Parkpavillon eingefunden oder gingen an der Seepromenade spazieren, derweil die festgemachten Boote im Wind hin- und herschaukeln.

Klickklickklick, Plingplingpling und auch Plimplumplimplum – so muss man die ersten Takte des bekannten Standards „Caravan“ lautmalerisch einfangen, wenn Netzbandt und Wienand ihn anspielen. Den meisten Jazzfreunden ist die Melodielinie bekannt, und auch das Duo stimmt diese an, deutlich und kenntlich gemacht. Doch im Verlauf wird diese Melodie fragmentiert, und es erfolgen mannigfache Phrasierungen. So reisen wir in einem musikalischen Caravan übers Land. Die Landschaft fliegt dabei in Momentaufnahmen vor unseren Augen vorbei.

Nach „Lucky One“, einer Komposition von Alexander Wienand mit fließendem Modus und „springenden Intervallen“, haben sich die beiden Pianisten einen weiteren Standard vorgenommen und ganz eigensinnig interpretiert. Die Rede ist von Oscar Petersons „Hymn to Freedom“. Diese Hymne beginnt getragen und ist durch starke Akzentuierungen geprägt, die den beiden Pianisten zu verdanken sind. Sie scheinen kein Hohelied der Freiheit anzustimmen. Eher scheint die Freiheit fragil, immer in Gefahr bedroht zu werden.

„Double Rescue“ lautet der nachfolgende Titel, der dem Album auch den Namen gegeben hat. Dabei beschleicht den Hörer des Albums das Gefühl, man habe das Stück, eine Komposition von Marco Netzband, schon einmal gehört. Ähnelt es nicht in den Schemata „Herbstling“? Zugleich fragt man sich, warum das Stück denn so heißt, wie es heißt. „Schneeschmelze“ und „Frühlingserwachen“ erscheinen als gleichfalls passende Titel. Man kann sich beim Hören vorstellen, dass musikalisch die Schneeschmelze eingefangen wurde. Das Wasser der Bäche rauscht wieder, rascher und rascher. Überall sprießt es zart, so suggeriert es der Melodiefluss.

Wie muss wohl eine Musik sein, die den Titel „Die Feder“, im vorliegenden Fall „La Piuma“ verdient? Muss sie nicht leicht, ja federleicht daherkommen? Muss sie nicht fragil klingen, fernab eines starken Energieflusses? Die Akkorde, die wir hören, tänzeln und tanzen hin und her, kommen hier und da ins Rollen und verflüchtigen sich, um wiederzukehren. Doch wirkliche Leichtigkeit geht von dem Spiel des Duos nicht aus. Zu energetisch bearbeiten sie ihre Tasteninstrumente. Warum nannte das Duo das Stück nicht „Wolkenband“? Vorbeifliegende Wolken kann man sich beim Zuhören ebenso gut vorstellen wie ein gewisses Windgetose.

Mit „Barbara“ stellt das Duo eine weitere Eigenkomposition vor, ehe sie sich dann an einen Ohrwurm des Jazz wagen: „Take Five“, eine Komposition von Paul Desmond, die vom amerikanischen Pianisten Dave Brubeck richtig bekannt gemacht wurde. Dessen Spiel haben wir hintergründig im Gedächtnis, wenn wir lauschen, was das Pianisten-Duo aus der Desmond-Komposition macht. Wir müssen uns ein wenig gedulden, bis die bekannte Melodie erklingt. Doch Netzbandt und Wienand kopieren Brubeck nicht, sondern stellen sich dem freien Spiel, fragmentieren die Melodie und lassen sie entschwinden, damit sie dann mit einer gewissen Überraschung wieder erscheint. So nehmen wir halt mal „Fünfe“ von Netzbandt und Wienand. Dabei vergessen wir für einen Augenblick auch Dave Brubeck, wenn die beiden Tastenvirtuosen ihrer Improvisationsfreude freien Lauf lassen.

Der Herbst steht musikalisch am Anfang des Albums und der Frühling, wenn auch im Zeitraffer, steht an deren Ende. Doch, was ist mit dem Sommer? Wie gesagt, leicht und beschwingt, bisweilen auch mit einer Art Kontrapunkt schließt sich ein musikalischer Jazz-Reigen, der auch ohne Bass und Schlagzeug zu überzeugen versteht.

© ferdinand dupuis-panther

Informationen
Label
Unit Records
www.unitrecords.com

Musiker

Alexander Wienand
http://alexanderwienand.com/

Marco Netzbandt
http://www.stretta-music.com/blog/komponistenportrait-marco-netzbandt/


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