Lina Allemano – 'Vegetables' und 'Bloop'

Lina Allemano – 'Vegetables' und 'Bloop'

L

Lumo Records

Auf ihrem eigenen Label hat die kanadische Trompeterin und Komponistin zwei CDs zeitgleich herausgebracht. Zuvor hatte sie bereits mit ihrem Soloalbum „Glimmer Glammer“ für Furore gesorgt.

 




Lina Allemano Four - Vegetables


Für das vorliegende Projekt hat sich Lina Allemano (trumpet / compositions) nachstehende Musiker in ihr Ensemble geholt: den Bassisten Andrew Downing, den Altsaxofonisten Brodie West und den Drummer Nick Fraser. Die vier gelten als eine der avantgardistischen Bands in Kanada. Auffallend ist das nahtlose Verschwimmen von kompositorischen und improvisierten Strukturen.

Was kann man von einem Album erwarten, dessen Titel in deutscher Übersetzung „Gemüse“ lautet? Nein, kein Leipziger Allerlei, sondern „Onions“, „Beans“, „Champignons“, „Brussel Sprouts …“, „Oh Avocado“ und „Leafy Greens“, so die Titel der Tracks des Albums. Und was ist mit Tomaten, Grünkohl und Blumenkohl? Nun ja, die Titel begreift der Rezensent des Albums als einen ironisierenden Beitrag der Trompeterin Allemano zur Frage von musikalischer Präsenz und Komposition/Improvisation. Die Bezeichnungen scheinen weniger gewählt, als durchaus zufällig. Doch um das zu verifizieren, müsste man Allemano befragen. Anmerkung: Es hätte dem Album keinen Abbruch getan, wenn Allemano ihre Tracks einfach mit #1, #2 usf. bezeichnet hätte, oder? So aber fragt sich der Zuhörer, warum nun gerade diese oder jene musikalische Linie in Verbindung mit „Zwiebeln“ oder „Bohnen“ zu bringen ist.

Bei „Onion“ vermeint man zu Beginn klangliche Fragmente zu hören, die auch in dem Film „Kuhle Wampe“ vorkommen. Man muss beim Hören an gesetzte Signalklänge denken, die durch Schlagzeugwirbel durchzogen sind. Man hört zudem ein Flirren der beiden Bläser. Klangwiederholungen sind auszumachen. Derweil folgt Allemano einer durchaus melodiösen Linie, dabei in kurzen Klangwellen agierend. Im Weiteren könnte man auch an die musikalische Umsetzung eines Tohuwabohu denken und weniger an „Zwiebeln“.  Sprunghafte Klangmodule mit kurzen Pausen machen den Beginn von „Beans“ aus. Dabei vereinen sich in einem Wechselgesang Trompete und Saxofon. Nimmt man da nicht musikalisch eine Art Rede und Gegenrede wahr? Und was ist mit den Bohnen? Und um welche handelt es sich eigentlich? Stangenbohnen? Kidney-Bohnen? Aber das ist wohl unwesentlich, verfolgt man die Entwicklung des Tracks, in dem auch durchaus weiche Linien vorhanden sind. Doch immer wieder dringen nervös gesetzte Klänge ans Ohr des Hörers. Schwirrend und flirrend agiert Allemano in ihrem folgenden Spiel, derweil der Saxofonist verhaltene Stimmfragmente hinzusetzt.

Sehr fein gesetzt und beinah lyrisch kommt „Champignons“ daher. Doch dann ist ein „Bruch“ zu konstatieren, wenn der Bassist solistisch unterwegs ist, sehr tieftönig und das Instrument mit dem Bogen gestrichen, nicht lautstark, aber durchdringend. Und dann, ja dann erhebt Allemano ihre Stimme. Das ist nicht aufbrausend und scharfzüngig, sondern eher weichgezeichnet. Sie setzt dabei ihre Schraffuren über die Basslinien, die unvermindert anhalten, ohne Ausschläge, sondern sehr linear, aber bestimmt.

Gegen den Strich gebürstet und rotzig kommt dagegen „Rosenkohl“ daher, im vorliegenden Fall mit „Brussel Sprouts. Maybe Cabbage“ betitelt. Es gibt ein Auf und Ab. Würde man das in einem Kurvenbild wiedergeben, müsste man spitze Amplituden zeichnen oder die Kurven eines EGK, mit Senkungen und Hebungen. Auch der Saxofonist lässt Klangflüsse erkennen, auch wenn er sich bisweilen in Motiv-Fragmenten ergeht. Ist er nicht Antipode zur Trompeterin, die durchaus in klanglichen „Überschlägen“ unterwegs ist? Das Spiel scheint insgesamt aufgewühlt, nervös, ADHS durchsetzt, oder? Schließlich hören wir zum Abschluss bei „Leafy Greens“ Rasseln und kurz angetippte Becken zu einem vergehenden Klang der Hörner.





Lina Allemano/Mike Smith - BLOOP


Neben der Veröffentlichung der Quartett-Formation um Lina Allemano liegt auch eine Duo-Einspielung mit Mike Smith vor. Gänzlich anders im Konzept agiert dieses Duo, dessen musikalische Entäußerungen nicht allein von den Improvisationen der Trompeterin Allemano leben, sondern auch von Loops durchsetzten Klangfeldern. Dabei ist diese Musik hier und da durchaus dem Melodischen nahe.  Das Album macht mit „Enchantments“ auf; weiter geht es mit „Decanted“ und  „Recanting“ sowie „Oracle of Chanterelle“ und „Actual Bloop“, ehe „The Summoning“ den Schluss bildet.

Beim ersten Stück des Albums „verzauber“t uns das Duo, ganz im Sinne von „Enchantments“, nimmt uns gleichsam auf eine Reise durch einen musikalischen Zauberwald mit, mit und ohne Loops. Klangbild gebend ist dabei die Trompeterin Allemano. Sie lässt ihre „Nebelschwaden des Klangs“ dahin schweben, derweil man Glöckchen und andere perkussive Begleitungen wahrnimmt. Der mechanische Klang der Ventile, der zu einem „Trippel-Trappel“ verdichtet wird, ist ebenso zu hören wie ein Schnalzen und der Atemstrom, der durchs Mundrohr entweicht. „Decanted“ nannte die kanadische Musikerin das Stück. Raues Schwirren dringt dabei auch ans Ohr des Hörers. Wie ein Klangschwall ergießen sich Tonsilben, teilweise auch überaus nervös anmutend. Zischen ist zudem Teil des „Hör-Spiels“. Laufgeräusche evoziert die Trompeterin mittels ihres Instruments obendrein.

Stimmliche Höhenflüge der Trompeterin erleben wir bei „Oracle of the Chanterelle“. Doch was verbindet Orakel mit einem Pfifferling? Es ist ja nicht von „Magic Mushrooms“ die Rede, dann könnte man den Begriff des Orakels, der Vorhersage und Vision im weitesten Sinne vielleicht noch verstehen. Das Klangbild des Stücks erinnert hier und da an sakrale Musik, die ein Blechblasorchester zum Besten gibt. Dabei ist es allein Allemano, die den Klangrahmen definiert. Bei „Actual Bloop“ hat man den Eindruck, dass die Trompeterin Wortfetzen absetzt und ihr Instrument ähnlich behandelt wie Albert Mangelsdorff seine Posaune, nämlich als Sprachrohr. Zugleich hören wir auch Perkussives, ein stetes Rasseln, derweil der Trompetenklang aufflammt und vergeht sowie sich in Loops verflüchtigt. Bezieht sich Allemano bei diesem Stück auf ein Geräusch, das  im Sommer 1997 mehrfach durch Sonargeräte im Pazifischen Ozean registriert und aufgenommen wurde? Man müsste bei der Musikerin nachfragen, um es in Erfahrung zu bringen. Neben Geräusch-Mustern, die überlagert werden, hört man zudem eher melodiöse Passagen, die sich in der Weite des Raums verlieren, dank Loops.

Den Abschluss der Klanginszenierung bildet „The Summoning“ mit Knistern und Quietschen, Wispern und ausströmender Atemluft, mit gelegentlichen Klängen, die an Schreie von Seevögeln erinnern, die an Klippen nisten. Ab und an meint man gar, Posaunentöne zu erkennen. Zudem vernimmt man explosives Gebläse im abgetrennten Mundstück, oder? Man denkt beim Hören gar, auffrischende Winde am Meer wurden eingefangen und verdichtet. Gurren und Krächzen mischen sich. Schnalzlaute werden hinzugefügt und vergehen. So entsteht wie insgesamt auf dem Album eine Klangcollage bzw. ein Klangkaleidoskop. Das muss man mögen, zumindest sollte man sich auf derartige „Klangexperimente“ einlassen.

© fdp2023





LINA ALLEMANO (Toronto / Berlin),
Trumpeter Composer Improviser
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