Joe Sachse / Nils Wogram - Freies Geröll

Joe Sachse / Nils Wogram - Freies Geröll

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"Wer sich zu zweit auf die Bühne wagt," schrieb der unvergessene Pianist und  langjährige NDR-Jazz-Redakteur Michael Naura, "liefert neben Musik auch sein Psychogramm ab. Der soziale Aspekt innerhalb eines Jazzensembles tritt in einem Duo besonders scharf hervor. Mit etwas Pathos: Im Duo zeigt sich der Mensch wie unter einer Lupe. Unter Musikern gilt: Spiele im Duo und ich sage dir, wer du bist." Das Duo hält ebenso wie das Solo unzählige Herausforderungen für die Beteiligten bereit. Abtauchen wie in anderen Formationen ist nicht möglich. Stete Präsenz ist erforderlich. Und dies gelingt dem Duo Sachse und Wogram  ohne Frage. Dabei scheinen die Rollen durchaus festgeschrieben. Das Melodische liegt hauptsächlich in den Händen von Wogram, das Rhythmische in denen von Sachse. Bei dem Stück „Baccalaureus“ erleben wir allerdings Sachse mit ausschweifenden Phrasierungen, die sich auf Wograms melodisches Posaunenspiel beziehen. Lauscht man Sachses virtuosem Saitenspiel, das bisweilen kristallin und von Flamenco beeinflusst anmutet, dann muss man sich auch an so bekannte Gitarristen wie McLaughlin,  di Meola und Paco de Lucia erinnern, oder? Übrigens, auch an romantisches, aber auch elisabethanisches Liedgut muss der eine oder andere Hörer vielleicht denken, folgt er den melodiösen Linien des Stücks. Dies ist nicht durchgehend zu erleben, aber … .

Im Pressetext zum aktuellen Album lesen wir: „Helmut "Joe" Sachse, fast ein Vierteljahrhundert älter als Nils Wogram, ist in der DDR groß geworden und musste sich seinen Weg zum Jazz gegen alle Widerstände selbst bahnen – von der Tanz- und der Rockmusik zum freien Spiel und weiter zu einer unverwechselbaren Sprache auf dem Instrument. Nils Wogram ist in eine etablierte Jazzszene hineingewachsen und hat sich sowohl als Instrumentalist als auch mit einer ganzen Reihe langfristig miteinander arbeitender Bands eigenständig profiliert. Joe fasziniert an Nils die Versalität: "Er kann alles spielen." Und Nils schwärmt von Joe Sachses autarker Musikalität: "ein ganz seltenes, kostbares Gut".“

Frei und ohne Barrieren – so kommt das Eröffnungsstück daher. Rhythmisch stark durchsetzt und von sonoren Klanglinien bestimmt, die Nils Wogram seinem Blechbläser entlockt. Joe Sachse hingegen nimmt sich der rhythmischen Durchwirkungen an. Dabei erleben wir auch lyrische und an eine Ballade erinnernde Passagen. Zum Sonoren gesellt sich Flageolett, dank an Joe Sachse. Die Musik, die wir hören, erscheint wie ein laues Sommerlüftchen. Oh, was ist denn da zu hören? Perkussives wohl – und auch das ist Joe Sachse zu verdanken, der seinen Gitarrenkoffer in ein „Drumset“ verwandelt. Derweil scheint es, als folgen wir Nils Wogram über Stock und Stein durch tonales Gelände. Temporeiches wird durch Langatmiges abgelöst. Zweistimmigkeit nimmt sich Raum. Und alles scheint ins Rollen zu komme, erst verhalten und dann mit Verve. Das Ende ist dann eine Melange von Flageolett und basslastigem Posaunenklang. Dies bildet einen sanften Übergang zum „Social Blues“, der vor allem von den Klangfärbungen des Posaunisten lebt. Kehren wir mit diesem Stück nicht auch zu den Wurzeln des Jazz zurück? Nach der Sequenz von Wogram erfolgt das filigrane Saitenspiel von Joe Sachse, ehe dann die „murmelnde und brummende Posaune“ zu vernehmen ist. Gelegentlich gibt der Posaunist die umbrafarbenen,  erdigen Bindungen seines Instruments auf, aber nur selten. Vom Charakter des Stücks her ist die Nähe zu den Work Songs, die auf den Baumwollfeldern der Südstaaten gesungen wurden, nicht zu überhören. Hier und da flammt auch die Erinnerung an Klassiker des Blues wie „St. James Blues“ und „Infirmery Blues“ auf.

„Perkussives Getrappel“ und eine teilweise „brabbelnde Posaune im Stakkato-Modus“ macht den Beginn von „Soft 11“ aus. Gemurmel und Flüstertöne vernehmen wir nachfolgend. Dann scheinen wir Ohrenzeuge von einer Mischung aus Ballade und Serenade zu werden, oder? Auch ein Makramee aus Liedhaftem ist Teil des Stücks, das aus der Feder von Joe Sachse stammt. Swing gemischt mit bester Popmusik der 1960er Jahre dringt außerdem ans Ohr der Hörer. Lindy Hop oder doch Post-Jive fragt man sich hier und da, oder? Das Ende ist dann ein aufgeregtes Zwiegespräch und ein Schlussfanal durch Nils Wogram. Swing im Geiste von Django Reinhardt genießen wir dank Sachse bei „Corinne’s Delight“. Und auch Wogram swingt sich mit seinem Bläser ein, dabei durchaus auf dunkle Klangfarben fokussiert. Hier und da meint man gar, man höre instrumental ein Couplet, oder?

Im folgenden Stück „Das Iberische H“ – von Joe Sache komponiert – paart sich Getragenes mit Wehmütigem. Herbstfarben erscheinen beim Hören vor dem geistigen Auge. Und dann löst sich dies auf, wird das Stück eher sommerlich-beschwingt, bekommt eine tänzerische Note, vernimmt man starke Rhythmen zu dem feinst geflochtenen Tonwerk von Nils Wogram. Mediterranes Flair breitet sich nach und nach aus. Beinahe folkloristisch hört es sich an, was wir gegen Schluss des Stücks vernehmen, oder?

Bei der Komposition „Mühle“ fragt man sich, ob das Brettspiel oder eine Wind- oder Bockwindmühle gemeint sind. Geht es also um die stete Bewegung oder um gekonnte Schachzüge mit Spielsteinen? Kurze Beats in rascher Folge und eine im Bass gegründete Gitarre – das steht am Anfang von Mühle. Und dann folgen wellige Klangfolgen auf dem Saiteninstrument. Flügelschlag einer Mühle? Sobald Wogram brummend seine Bläserstimme erhebt, folgt ihm Joe Sachse und übernimmt die Führung. Was vernehmen wir denn? Rock bzw. Fusion vom Feinsten? Ja und abermals ja, derweil uns Wogram als „Bassist“ begegnet. Sehr beeindruckend ist das Wechselspiel der beiden Musiker, die mal vordergründig und mal hintergründig agieren. Machen sie uns dabei glauben, die Mühlenflügel würden mehr und mehr Fahrt aufnehmen? Das könnte man meinen. Wie in einer Rahmenhandlung eines Romans kehren die beiden Musiker am Ende des Stücks wieder zum Beginn desselben zurück. Und der Schlussakkord des Albums lautet: „Home Run“. Fazit: ein sehr überzeugendes Album mit einem breiten Klangspektrum, obgleich nur zwei Musiker agieren. Mehr davon bitte!

© ferdinand dupuis-panther




Info

www.nwog-records.com

Tracklisting

1 Freies Geröll 7:16
2 Social Blues 5:30
3 Baccalaureus 11:00
4 Soft 11 7:56
5 Corinne`s Delight 5:25
6 Das Iberische H 9:04
7 Into the Light 4:01
8 Mühle 6:11
9 Home Run 6:02

Total Time 58:25

Compositions Joe Sachse (1, 3, 4, 6, 8) and Nils Wogram (2, 5, 7, 9)
 


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