Alltag eines freischaffend tätigen Musikers: „...hier können Sie aber nicht parken“

Alltag eines freischaffend tätigen Musikers: „...hier können Sie aber nicht parken“



Der Autor Benny Mokross ist Jahrgang 1965 und Schlagzeuger – letzteres seit er fünf Jahre alt ist. Studiert hat er an der Essener Folkwang-Hochschule. Etwa 3000 Konzerte hat er bisher gespielt, an 60 Alben war er beteiligt. Seit Jahren besitzt er ein Musikstudio, das er als Toningenieur betreibt. 2017 wurde er mit dem WDR-Jazzpreis ausgezeichnet, zusammen mit dem Transorient-Orchestra und der Glen-Buschmann-Jazzakademie. Er ist, das darf man wohl sagen, ein Kind des Ruhrgebiets und hat mit zahlreichen Musikern aus der Region die Bühne geteilt. Einige von ihnen wie der Kontrabassist Django Kroll weilen unterdessen im Jazz-Nirwana. Das sind die nüchternen Fakten.

Doch eine klassische Biografie, in der solche Daten auch zu finden sind, hat Benny Mokross nicht vorgelegt. Es sind eher Schnipsel von Ereignissen, Mosaiksteinchen, die eine Geschichte formen, und Anekdotenfragmente aus einem bewegten Musikerleben. Es sind kleine „Kurzgeschichten“ aus einer Zeitspanne von mehreren Jahrzehnten, die der Autor niedergeschrieben hat. Bisweilen sind die Schilderungen von Humor und Ironie geprägt, vielfach muss man aber von Galgenhumor sprechen. Oder wie soll man als Musiker nach einer stundenlangen Fahrt damit umgehen, dass der Veranstalter bei der Ankunft nicht zu einer Begrüßungsformel ansetzt, sondern zu „...hier können Sie aber nicht parken“? Wie soll man reagieren, wenn für eine mehrköpfige Band fünf Getränkechips ausgehändigt werden und der erste Begrüßungskaffee gleich zur Reduktion auf drei Chips führt?

Ja, Mokross hat Sinn für Situationskomik. Dem Leser bleibt aber vielfach das Lachen im Halse stecken, wenn er erfahren muss, wie Veranstalter mit Musikern umgehen. Musiker scheinen marginal, obgleich sie ja im Fokus stehen sollten. Statt sich am reichlich gedeckten Buffett bedienen zu dürfen, erhalten sie belegte Brötchen in der Plastiktüte, generös überreicht von den Mitarbeitern der Eventagentur. Da müssen sich Mitglieder einer Fusionband von einem Veranstalter , der keine Ahnung vom Genre Musik hat, fragen lassen, warum denn nicht Dixie auf dem Programm steht. Hin und wieder kommt es zu bizarren Situationen, wenn eine „Schminkpuppe“, die noch nie zuvor in einem Jazzclub war, die Band auffordert „ihr Lied“ zu spielen. Auf einem Zettel ist dazu „GEZ“ zu lesen. Tja, die Dame hatte mal im Kontext von Jazz von Stan Getz gehört und meinte nun, dass sei ein Track-Titel. Überhaupt treiben Wünsche von Gästen unterschiedlicher Feierlichkeiten, Musiker durchaus in den Wahnsinn, wenn diese Gäste auf „Wünsch dir was“ bestehen und bestimmte Titel gespielt haben wollen. Benny Mokross und das Dortmund-Harlem-Trio können davon Geschichten erzählen – und diese findet man in Hülle und Fülle in der vorliegenden Veröffentlichung. Auch die Aufforderung „Spielen Sie doch mal was Ordentliches“ ist Musikern durchaus nicht fremd, besonders auf Hochzeitsfeierlichkeiten, bei denen der Bräutigam andere Musikvorstellungen hat als die übelgelaunte Schwiegermutter.

Im Kontext von Film und Fernsehen als Musiker tätig zu sein, ist auch kein Zuckerschlecken, gibt es doch beispielsweise den Regisseur und die Moderatorin, die unterschiedliche Vorstellungen vom Set und Script haben. Das kann, so Mokross, auch mal dazu führen, dass die Band zu „Jazzbewegungen“ verdammt wird, also „unhörbar spielen muss“. Auf Vernissagen wird auch gerne eine Band engagiert, die Songs wie „Mercy, Mercy, Mercy“ im Repertoire haben sollten, wie der Autor aus eigener Erfahrung weiß. Das die „feine Gesellschaft“, die auf solchen Veranstaltungen auftaucht, eigentlich keinen Sinn für Kunst und Musik hat, sei hier nur erwähnt. Dafür können solche Events aber im Chaos enden, wenn die Schlacht ums kalte Buffet angesagt ist.

Benny Mokross nimmt den Leser außerdem mit auf diverse Konzertreisen, außerdem auf einen Auftritt vor Bergleuten unter einer Autobahnbrücke bei eisigen Temperaturen, und spart auch nicht mit Anekdotischemzu einer späten Heimreise und einer Polizeikontrolle nur zehn Minuten vom eigenen warmen Bett entfernt, und das frühmorgens nach einer anstrengenden Konzertnacht in Essen.

Trefflich beobachtet und auf den Punkt gebracht ist die „Sozialstudie“, die Mokross in sein Buch eingebunden hat. Dabei wirft er einen Blick auf einen Probetag bei einem mittelgroßen Theaterorchester, einem Jazzquintett mit Sängerin und einer Amateur-Rockband. Die gewiss fiktiven Dialoge spiegeln wider, in welch unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten verschiedene Musiker leben, hier die gewerkschaftlich erkämpfte Pause bei dem besagten Theaterorchester, dort das Spekulieren, ob am Veranstaltungsort ein Flügel vorhanden ist und dass an Kreuz-11 in Takt 20 zu denken ist, so im Dialog des fiktiven Jazzquintetts. „Hi Alter, alles geschmeidig!“ ist die gängige Formel bei einer Rockband, bei der der Gitarrist einen neuen Riff entdeckt hat. Erst wenn der Leser sich des Dialogs der Möchtegern-Hardrocker angenommen hat, versteht er, was es mit „Um-Tschaka“, „Zing-Zing“ und „Uff-Tschak“ für eine Bewandtnis hat.

Damit der geneigte Leser auch die Umgangssprache der Musiker versteht, hat Mokross dankenswerter Weise am Ende der Veröffentlichung ein Glossar angelegt. Dort findet man dann Begrifflichkeiten wie „lick“, „Vamp“ und „zicken“. Letzteres hat nicht nur mit divenhaftem Verhalten, sondern auch mit stakkatoartigen Phrasierungen zu tun hat.

Mokross hat in Erzählform eine Art von Soziogramm entworfen, das ein Licht auf die Situation von Kunst und Kultur in diesem Lande wirft, unabhängig von den Verwerfungen, die die aktuelle Pandemie mit Sars-CoV2 nach sich zieht. Systemrelevant scheinen Musiker nicht, aber das waren sie trotz immenser Umsätze der einschlägigen Veranstaltungsbranche auch vor der Pandemie nicht. Und so fragt man sich als Leser: Quo vadis?

© ferdinand dupuis-panther


Benny Mokross:  ...hier können Sie aber nicht parken! - aus dem Leben eines freischaffenden Musikers

Seitenanzahl: 228
Paperback
Verlag tredition
ISBN: 978-3-347-20436-2
Preis: 12,00 Euro


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