The NU-Band & Erhard Hirt: JazzToday

Der Kontrabassist Joe Fonda trug an diesem denkwürdigen Abend – das cuba beging seinen 30. Geburtstag – ein T-Shirt mit der Aufschrift „Sound is God“. Fürwahr an Klangbildern gab es eine Fülle zu erleben, im ersten Teil des Konzerts ebenso wie im zweiten Teil, bei dem neben dem Trompeter Thomas Heberer, dem Altsaxofonisten Mark Whitecage – dieser spielte obendrein noch, so seine Worte, eine halbe Alt-Klarinette, dem bereits genannten Joe Fonda und dem Schlagzeuger Lou Grassi der Münsteraner Gast Erhard Hirt an der Gitarre auftrat.
So wurde kurzerhand aus einem Quartett ein Quintett auf Zeit, das sich ganz und gar improvisierter Musik widmete. Um es mal vorwegzunehmen: Die Musiker waren alle in bester Spiellaune, was sich auch in zwei Zugaben niederschlug. Der Applaus der verschworenen Gemeinschaft der Jazzliebhaber hatte dazu gewiss maßgeblich beigetragen. Auch an Zwischenbeifall nach solistischen Einlagen wurde an diesem Abend nicht gegeizt. Mit der Bemerkung von Joe Fonda, man beende den Abend so, wie er angefangen habe, sprich mit „Connecticut Solution“ allerdings in einer ganz anderen klanglichen Zusammenstellung, da nun Erhard Hirt seine elektronisch modulierbare Gitarre mit ins Spiel einbrachte.

Free Bebop oder was?

In der Vorankündigung des Konzerts war unter anderem zu lesen: „Tief verwurzelt in der Jazz-Tradition überträgt The Nu Band alte Idiome in das Hier und Jetzt. Klassischer Bebop, Gospel, Soul, Free und viel improvisatorische Freiheit: Manche nennen es „Free Bop“. Diese Melange auf derartiger Qualitätsstufe sucht Ihresgleichen.“ Ja, wer seine Ohren spitzte, kam in den Genuss einer unnachahmlichen Melange, nicht nur bei „The Last Of The Bebopers“, einer Kompositionen von Lou Grassi, die vor der Pause gespielt wurde.

The NU Band

Noch ein paar Worte zur Geschichte der Band, bevor wir uns ganz dem Konzert widmen: Die Band wurde 1999 von Lou Grassi und Roy Campbell gegründet. In mehr als einem Jahrzehnt Bandexistenz gab es sechs, viel beachtete Alben, sechs Europatourneen und eine Reihe von US-Touren in konstanter Besetzung. Nachdem Roy Campbell jr. 2014 verstorben war, nahm der in New York lebende, aus Schleswig stammende und in Köln ausgebildete Thomas Heberer seinen Platz ein. Dabei galt es einen Trompeter in die Band einzubinden, der eben nicht Campbell jr. kopiert, sondern seine eigenen Stilistiken entwickelt und einbringt.

Entgegen der Ankündigung wurde nicht Material des jüngsten Albums „The Cosmological Constant“ vorgestellt, sondern andere Kompositionen. Aufgemacht wurde mit einer Komposition von dem aus Connecticut stammenden Mark Whitecage: „Connecticut Solution“. „One For Roy“ war dann eine Hommage an das vor zwei Jahren verstorbene Bandmitglied Roy Campbell jr. und nicht, wie einige vielleicht denken konnten, für Roy Eldridge. Darauf machte der Komponist dieses Stücks, Thomas Heberer, in seiner Ankündigung des Titels aufmerksam. Mit „Little Piece“ stand erneut ein Werk des Altsaxofonisten der NU Band auf dem Programmzettel.

Für den zweiten Teil des Abends betrat Erhard Hirt die Bühne, der ansonsten das Kulturprogramm in der cuba Black Box ganz maßgeblich betreut und gestaltet. Doch der Reihe nach!

Die Lösung liegt in Connecticut

Zu Beginn hörten wir, wie es um die „Connecticut-Lösung“ bestellt ist. Gleich zu Beginn wurde deutlich, dass Joe Fonda seinen Kontrabass weitgehend als Rhythmusinstrument begreift, derweil Lou Grassi an seinem Schlagzeug mit beinahe tänzelnden Bewegungen die Sticks auf Bleche und hart gespannte Felle niedergehen ließ. Die Klangwelten wurden über weitere Passagen von Mark Whitecage und Thomas Heberer bestimmt, nicht allein im Wechselspiel, sondern auch solistisch. Heberer ließ sein Horn in den höchsten Tönen schmettern, teilweise ein wenig an Fanfaren erinnernd. Außerdem vernahm man Klangkaskaden und Klanggaloppaden. Ein Schwingen und Schwirren breitete sich in der schwarzen Kiste aus. Im Dialog zwischen Thomas Heberer und Mark Whitecage gewann man den Eindruck, es werde ein Wettstreit darüber ausgetragen, wer denn welche Farben der Klangpalette vorstellen dürfe. Irgendwie überkam den Zuhörer die Vorstellung, der eine wollte den anderen darin überbieten. Im weiteren Verlauf meinte man gar, es gäbe im Spiel des Altsaxofonisten Anleihen an die Musik einer Marching Band.

Warf man einen Blick auf Joe Fonda, so konnte man annehmen, er kniet sich richtig in seinen Kontrabass. Es war ein durch und durch sehr physisch betontes Spiel auf den Saiten. Mal ließ er nur den Daumen mit den Saiten spielen, mal alle Finger. Gelegentlich strich er auch mit der Hand von oben nach unten über das Saitenbündel. War das der Versuch, auch mal sehr lange Töne zu erzeugen? Im Gegensatz zu anderen Bassisten summte Joe Fonda dabei nicht mit. Das wäre auch angesichts der sehr rhythmisch ausgerichteten Spielanlage eher kontraproduktiv gewesen. Irgendwoher hörte man eine „Kuhglocke“ kurz schellen und dann ein Didididda und Drumdrumdodo, ehe die Bläser wieder die Regie in die Hände nahmen.

Hommage an einen ehemaligen Bandkollegen

„One For Roy“ hatte den Charakter eines Lamentos, auch wenn man harte Akzente und stufige Bassklänge anstatt einer durch und durch elegischen Weise konstatieren musste. Mark Whitecage schien sein Altsaxofon auch in eine Art Sprachrohr zu verwandeln. Jedenfalls drängte sich der Eindruck auf, er würde Worte in das Mundstück seines Holzbläsers sprechen. Erregung und Abregung schienen im weiteren Verlauf des Spiel einander zu folgen. Dabei grunzte, rülpste und schnurrte die Trompete. Es klang nach Dädädä und Brrbrr oder ähnlichen Lautfetzen. Beim Spiel wanderte das Mundstück seines Horns über Heberers Lippen, von links nach rechts und zurück.

Ein kleines Stück, das doch größer als angenommen war

Für „Little Piece“ griff Mark Whitecage zu seiner halben Altklarinette, die partiell nicht allein samten wie eine Klarinette, sondern durchaus auch wie ein Sopransaxofon klang. Träller und Triller füllten die Black Box. Für einen sehr kurzen Moment meinte man sogar, Klezmeranleihen wahrzunehmen. Der gestrichene Bass hingegen kam fast etüdenhaft daher. Oh, wurde da gerade ein Kinderabzählreim in das Spiel eingebunden? Lyrisches und Dramatisches kam anschließend ins Spiel. Dazu passte der dumpfe Trommelschlag von Lou Grassi, der mit seinen Schlägeln die Felle der Trommeln beinahe so traktierte, als wäre er eine Art Paukist.

Überraschend, sehr überraschend waren dann die Klanginterventionen von Thomas Heberer, der nicht nur hörbar in sein Horn ein-, sondern auch ausatmete. Zudem entsprang den zusammengepressten Lippen des Trompeters ein Huhuhuhu, gefolgt von „Obertongesang“ und Fliegenbrummen.

Schließlich präsentierte uns das New Yorker Quartett noch ein bisschen Bebop revisited vor der Pause. Dabei hatte man dann auch das Gefühl, die Musik swingt. Joe Fonda war dabei stets auf den Rhythmus auf, und Mark Whitecage sei der „Zaubermeister der Melodie“. Besonders auffällig war das „Duett“ zwischen Joe Fonda und Lou Grassi, die sich gegenseitig antrieben. Dann hieß es Pause.

Slang, Slang, Slang

Im zweiten Teil des Abends gab es, so Joe Fonda Slingdingdindingeling zu hören. Dabei traf ein unaufgeregtes Saxofon auf einen Bass, dessen Korpus getätschelt wurde. Sphärenklänge trug Erhard Hirt bei. Über allen schien der Trompeter Thomas Heberer einen dichten Klangfuton zu weben. Tätättätärä steuerte Mark Whitecage dazu bei. Aus dem Hintergrund der Bühne kam ein Toktok. Joe Fonda ließ die Finger beider Hände auf die Saiten des Basses trommeln. In einen Dialog verstrickten sich im Weiteren der Trompeter und der Saxofonist der NU Band. Nicht zu überhören waren Erhard Hirts starke Anteile am Melodischen, an verflüssigten Tonfolgen. Dazu hieß es dann Slang, Slang und nochmals Slang – so äußerte sich der Bass für meine Ohren. Außerdem verstieg sich der Bassist Joe Fonda auch zu einem Didedolididedole und bekam von Mark Whitecage ein Dädäddodädo, das wie Ätschebätsche anmutete. Sirengesang traf auf eine zeitweilig brummelnde Trompete. Im Zusammenspiel von Thomas Heberer und Mark Whitecage konnte man nicht umhin, an eine hitzige Debatte zu denken. Physisch rückten die beiden Bläser aufeinander zu und richteten die jeweiligen Trichter ihres Instruments auf den des anderen. Duell oder nicht?

„When my guitar gently weeps“ hieß es bei Erhard Hirt zwar nicht, aber irgendwie konnte man Erhard Hirts Wurzeln im Blues nicht ganz ausblenden. Nach und nach verwandelte sich die Improvisation auch in Richtung „African Market Place“. Doch das schien wohl eher eine Hör-Illusion zu sein. Es gab Flötentöne zu hören, dank sei Joe Fonda, und auch das Blasrohr der australischen Ureinwohner, Didgeridoo genannt, fand seinen Platz im Klangreigen der NU Band. Nur gab es niemanden, der Didgeridoo blies. Thomas Heberer nutzte seine Trompete und eine spezielle zirkulierende Atemtechnik, um die Illusion zu erzeugen, man höre ein traditionelles australisches Holzblasinstrument. Immer war „Sound is God“ im Spiel, auch wenn die Trompete gedämpft wurde oder Mark Whitecage und Thomas Heberer schließlich ihre Instrumente als Verlängerung ihrer Stimmen und gesprochener Laute nutzten. Irgendwie waren die beiden dann in dem Modus einer Human Beatbox unterwegs, derweil Joe Fonda mit lauter Stimme rezitierte. Ganz zum Schluss gab es auch noch ein wenig „Oh Susanna“ – was für ein Klanggewebe, das uns die Musiker präsentierten. Wer an diesem Abend nicht den Weg ins cuba gefunden hatte, hat gewiss ein besonderes Klangerlebnis verpasst: Free Bop mit der NU Band halt.

text und fotos: © ferdinand dupuis-panther (05/02/2016)

Informationen

Venue
cuba Black Box
http://www.blackbox-muenster.de/index.php?id=programm&no_cache=1

Musiker
Joe Fonda
http://www.joefonda.com/

Thomas Heberer
http://www.thomasheberer.com/?PG=about

Marc Whitecage
http://musicians.allaboutjazz.com/index_new.php?url=markwhitecage&&width=1536
https://en.wikipedia.org/wiki/Mark_Whitecage

Lou Grassi
http://www.lougrassi.com/
http://www.lougrassi.com/NuBandAudioSamples.html

Erhard Hirt
http://www.erhardhirt.de/

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