Stone Flowers – Tonhalle Hannover, 26. Mai 2024






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Zur Einstimmung auf dieses Konzert lasen wir: „Nach seinem Big-Band-Ausflug „Hive Mind“ (2018) kehrt Benjamin Schaefer mit seinem elften Album zurück in die Welt der Small Groups. Und das tut er auf eine beeindruckende Weise! Die einzigartige Besetzung seines neuen Quartetts „Stone Flowers“ vereint drei Generationen von Ausnahmekönnern an ihren jeweiligen Instrumenten. Man wird förmlich in die faszinierende Klangwelt der frühen 1970er Jahre hineingezogen. Inspiriert von A.C. Jobim, Sergei Prokofiev und der Mutter Natur erklingen so Werke von berückender Schönheit – und bedrückender Aktualität.“

Die Band, die nach den existierenden Lebenden Steinen benannt ist, präsentierte einen Klangbogen, der mit einer Komposition von Antonio Carlos Jobim begann und mit einer weiteren endete. Dabei war das Schlussstück auch die Zugabe in einem Konzert, das nur ein Set kannte. So ergab sich auch ein stetiger Klangstrom ohne eine Unterbrechung. Dies war ausdrücklich Wunsch derer, die an diesem sonnigen Maitag den Weg in die Tonhalle gefunden hatten. Zudem traf das auch auf den Zuspruch der Band. Dass Jobim auch bei der Namensgebung des Ensembles Pate stand, wird anhand der Komposition „Stone Flower“ deutlich. Übrigens, besagte Lebende Steine gehören zu den Sukkulenten. Unscheinbar wie Kiesel, teilweise durchaus bunt, gefärbt in Pistaziengrün, in Rosa, Karmesinrot und Braun vorkommend: So sehen sie aus.


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Aus dem Jüngsten Album der Band – auf Vinyl erschienen, aber auch mit einem Downloadcode versehen – wurden Stücke wie „Spirals1“, „Spirtals3“ und „Spirals2“ gespielt. Dabei erläuterte Benjamin Schaefer, dass Inspiration für die Stücke in der Fibonacci-Folge liegen. Um diese kurz zu erläutern: Es  ist eine unendliche Folge von Zahlen (den Fibonacci-Zahlen), bei der sich die jeweils folgende Zahl durch Addition ihrer beiden vorherigen Zahlen ergibt: 0, 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, … Leonardo Fibonacci ist diese Folge zu verdanken. Dieser hat  damit 1202 das Wachstum einer Kaninchenpopulation beschrieben. Und genau um Wachstumsprozesse ging es auch dem Pianisten und Komponisten Benjamin Schaefer, wie er dem Publikum gegenüber erläuterte.

Und noch mehr von „Steinblumen“ erfuhren wir im Weiteren. So war ein Stück aus dem „Märchen von der Steinblume“, einer Musik aus der Feder des russischen Komponisten Sergei Prokofiev, zu hören; erneut  ein Bezug zu dem Namen der Band. Der Titel der Komposition von Prokofiev lautet „Severyan's Arrival“ . Wie Benjamin Schaefer während des Konzerts ausführte, war er sich angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine gar nicht so sicher, ob er denn Musik eines russischen Komponisten spielen solle. Doch angefügt werden müsse, dass der Komponist auf dem Staatsgebiet der heutigen Ukraine geboren wurde, so Schaefer. Zudem habe der Komponist durchaus auch andere künstlerische Auffassungen vertreten als die in Russland herrschenden. Das führte zur Emigration, zu einem zeitweiligen Leben in Paris, bevor er nach Russland zurückkehrte. Dort wurde sein Schaffen nicht durch und durch vom ZK der KPdSU gebilligt. Dass er am gleichen Tag wie Stalin starb, ist mehr als nur eine Fußnote der Geschichte. Kurzum die Vita von Prokofiev veranlasste Schaefer sich diesem Komponisten zu widmen, ungeachtet der aktuellen Konfliktlage in Europa. Abgesehen davon, dass der genannte russische Komponist so gar nichts mit dem Konflikt im Osten Europas zu tun hat.

    
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Die Klangfärbungen des Ensembles sind durchaus außergewöhnlich, insbesondere weil ein Bassposaunist und Tubist ebenso zu hören war wie ein Flötist, der von der C-Querflöte über die Altflöte bis hin zur Kontrabassflöte besonders feine Tönungen in die Arrangements und Kompositionen einbrachte. Am Nord-Keyboards und an den Effektreglern agierte der Bandleader. Und zwischen Tieftonfärbungen und Samtklängen agierte ein Drummer mit Schlagstöcken und Besen sowie perkussiv, als er Rasseln, Klangstäbe und Rasseltrommeln einsetzte. Wer allerdings annahm, das habe den Charakter von Fusion, der mag richtig liegen, aber andere mögen das anders sehen. Übrigens, dank des Tubisten und Bassposaunisten konnte auf den Kontrabass verzichtet werden. Und hin und wieder entführte uns Michael Heupel mit seiner Kontrabassflöte in die erdigen Klangfärbungen, diei, um einen Vergleich anzuführen, den expressionistischen Gemälden des flämischen Malers Permeke gleichen. Diese sind auch in Nuancen von Erdfarben getaucht, so wie die Klänge, die Jan Schreiner dem Klanggewebe beifügte.

Nach kurzer Begrüßung durch Felix Petry ging es in Medias res. Fallende Klangtropfen verschmolzen miteinander. Ein diskantes Pling war auszumachen. Besen streichelten die Becken des Schlagwerks. Satt und wie die tiefste Männerstimme klingend  trat der Bassposaunist ins musikalische Geschehen ein Zudem spielte Michael Heupel nicht allein die zerbrechlich-kristallinen Flötentöne, sondern griff außerdem auf eine G-Flöte zurück. Zwischendrin hatten man den Eindruck, man erlebe, „Ipanema“-Anmutungen, wäre brasilianischer Jazz und Lebensgefühl präsent.

    
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Gab es Rumba oder doch Bossa, leicht verwischt, zu hören? Wurden wir an den Zuckerhut mitgenommen? Man konnte es meinen. Flirrende Becken und Snare waren auszumachen. Sonorer Tieftonklang breitete sich im Raum aus, dank an den Posaunisten, der mit seinem Spiel Akzente zu setzen wusste. Auf dessen Sequenzen antwortete der Flötist in eigener höherer Lage, hob gleichsam die dunklen Klangschatten ins Licht. Ja, tatsächlich mit einer Komposition von Jobim namens „Andorinha“ hatte das Konzert begonnen. In der Originalversion von 1970 hört man neben einem Flötisten und einem Posaunisten auch einen Kontrabassisten, nämlich Ron Carter. Wie gesagt, das Ensemble Stone Flowers verzichtet auf den Saitentieftöner.

Im Weiteren drehte sich alles um die Fibonacci-Folge und Spiralen. Der Zusammenhang zwischen Goldenem Schnitt und Fibonacci-Folge besteht. Ist eine Spirale nicht lediglich eine Schneckenlinie, gleichsam eine Kurve, die um eine Achse oder einen Punkt verläuft? Ja, aber es gibt auch die sogenannte Fibonacci-Spirale oder die Spirale des Goldenen Schnitts.  Benjamin Schaefer betonte, dass er sich von der Fibonacci-Folge hat anregen lassen, um eine „Ode an die Spirale“ zu formulieren. Das nahmen wir mal so zur Kenntnis.

  
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Als Michael Heupel seine Stimme einleitend erhob, dachte der eine oder andere im Raum wohl an den Beginn eines klassischen Flötenkonzerts. Dabei ging das Solo Heupels in ein Duett mit dem Posaunisten über. Dezent blieb die Begleitung der beiden durch den Pianisten aus dem Hintergrund.  Hörten wir da im weiteren Verlauf nicht Annäherungen an Vogelgetschilpe und -zwitschern, dank an den Flötisten? Auch ein Jubilieren in den höchsten Tönen drang an unser Ohr, derweil  eher  Dunkelschwingendes aus dem Trichter der Posaune strömte. Sticks tanzten über Toms und Becken, teilweise mit gezielten Verzögerungen, gleichsam wie Synkopen. Aus dem anfänglich Ticketicketicke und Dum-dedam-dedum des Drummer entfaltete sich ein furioses Drumming-Solo, in dem die Basstrommel überaus keck zu Wort kam. Eine Dramatik entwickelte sich, an der auch der Pianist Anteile hatte. Hier und da schien es Querverbindungen zu Filmmusiken wie in „Star Wars“ zu geben, oder? Klangrinnsale nahmen ihren Lauf ebenso wie die erste Schneckenlinie, die wir vertont erlebten.

Anschließend folgte eine weitere Variante der Spirale, dieses Mal eingeleitet durch den Tubisten, der solistisch immer gut zu hören war, im Ensemble ähnlich verdeckt wie ein Kontrabassist, der den Klangkörper auffüllt.  Die Hanging Tom wurde mit Besen getätschelt, ehe dann wieder Sticks zum Einsatz kamen.  Die Tuba war kaum zu dechiffrieren in all dem gewaltigen Schlagwerkrausch, der folgte. Aus der Tiefe des Klangs löste sich anschließend der Flötist und verbreitete Frühlingsfarben und neo-impressionistische Farbpunkte des Klangs. Ähnelte nicht gelegentlich das Spiel auf der Querflöte dem auf der Bansuri? Sonor stieß im Weiteren der Posaunist in sein Horn. Benjamin Schaefer hingegen erging sich in strömendes Schmelzwasser, während er die Tasten seine E-Pianos zum Klingen brachte. Klang das, was der Pianist als Klangbild anbot, nicht hier und dawie fallende Dominosteine?  Diskantes traf auf „Tubagebläse“ abseits von Humpda-Humpda. Dabei wuchsen sich die Tuba-Sequenzen zu einer Art Malstrom aus. Und ansonsten sorgte Michael Heupel für weich gezeichnete Flötentöne.


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Wie gesagt, auch Ballettmusik von Sergei Prokofiev wurde dem sehr aufmerksam zuhörenden Publikum dargeboten. Dabei wurde erst einmal eine Doppelhelix aus Flöten- und Pianoklängen geschaffen. Die Bassposaune wurde gedämpft. Kommentierend erschienen die Flötentriller, die Michael Heupel verantwortete. Schnurrend und röhrend äußerte sich die Posaune. Hier und da musste man an ein Vibrato denken, folgte man dem Bassisten in seinen Linien. Was vermittelte er uns? Vielleicht Unheil, Chaos oder gar Untergang? Klangstäbe ließ der Drummer Thomas Sauerborn auf die Standing Tom fallen und berührte diese mit einem Besenschlag. Einem Perlenfluss glich das, was der Pianist seinem E-Piano entlockte. An brechendes Glas musste man bei einigen Passagen im Fortgang des Stücks denken. Und auch Theaterdonner schien Teil der musikalischen Inszenierung.

Marschrhythmen und auch ein Lamento begleitete uns im weiteren Konzertverlauf. An das Windspiel des Sandes in der Sahara musste man denken, als der Flötist in „Lithops“ zu hören war. Effekte wurden obendrein eingesetzt, um das Klangspektrum zu erweitern. Das war im Kern die Funktion von Benjamin Schaefer, der an den Reglerknöpfen drehte. Elektronisches war dann auch Teil des musikalischen Bouquets, das seinen Klangduft verströmte. Dass Posaunist und Flötist auch mit Wortschwaden und gesprochenen Tonsfetzen Musik erzeugten, nahmen wir obendrein wahr. Da hörten wir dann Pzz und MöhMah sowie Blärr oder Ähnliches jenseits der Klangformen der jeweiligen Instrumente.

    
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Mit „Southern Cross“ war das eigentliche Ende des Konzerts erreicht. Doch der anhaltende Beifall  ließ die Musiker zurück auf die Bühne kehren, um mit einer Hommage ihr Konzert zu beenden. Man hätte es sich eigentlich angesichts der Referenzen, die Benjamin Schaefer hier und da formulierte, denken können: „Stone Flower“ von Jobim stand auf dem Programm und damit ein abgerundetes Ende eines Konzerts, das durch seine diversen  Klangfärbungen zu überzeugen wusste.

© fotos und text a.panther/f.dupuis-panther


Info

Venue
https://tonhalle-hannover.de/konzerte/

Music
https://www.benjaminschaefer.com/audio

Line-up
Michael Heupel – Flöten
Jan Schreiner – Tuba
Benjamin Schaefer – Keyboards
Thomas Sauerborn – Schlagzeug

Track Listing
1. Andorinha (A.C. Jobim)
2. Spirals 1
3. Spirals 3
4. Spirals 2
5. Severyan's Arrival (S. Prokofiev)
6. Interlude
7. Lithops
8. Jama
9. Southern Cross
10. Stone Flower (A.C. Jobim)

https://www.benjaminschaefer.com/video


Juni-Programm Tonhalle Hannover


Sonntag, 02.06.2024, 18:00 Uhr, Rampe Hannover


Tonhallenorchester
Claudia Burghard - Stimme
Richard Häckel - Saxophone
Andreas Burckhardt - Sopranino & Alto Saxophone
Felix Petry - Tenor Saxophone
Hauke Schlüter - Bariton Saxophone
Ove Volquartz - Bassklarinette
Hans Wendt - Posaune
Lars Kuklinski - Trumpet
Eberhard Meisel - Elekt. Zither, Effekte
Klaus Spencker - Gitarre, Effekte
Eike Wulfmeier - Piano
Clara Däubler - Kontrabass
Jürgen Morgenstern-Feise - Kontrabass, Stimme
Johanne Keller - Kontrabass
Willi Hanne - Schlagzeug, Perkussion

Sonntag, 09.06.2024, 18:00 Uhr, Tonhalle Hannover
Holger Scheidt Quartett

https://holgerscheidt.com
Holger Scheidt - Kontrabass
Peter Ehwald - Tenor Saxofon
Matthias Lindermayr - Trompete
Matthias Gmelin - Schlagzeug

Sonntag, 16.06.2023, 18:00 Uhr, Tonhalle Hannover
Brad Henkel Quartett

https://bradhenkel.com

Brad Henkel - trumpet
Rieko Okuda- piano
Isabel Rößler - bass
Samuel Hall – drums

Sonntag, 23.06.2023, 18:00 Uhr, Tonhalle Hannover
T R U   C A R G O   S E R V I C E

BANDCAMP

Alexander Beierbach – Tenorsaxophon
Torsten Papenheim – Gitarre
Berit Jung – Kontrabass
Christian Marien – Schlagzeug


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