Soundtrips NRW: Tim Hodgkinson & Chris Cutler

cuba Black Box Münster, 5.Mai 2019



Tim Hodgkinson ist ein Klarinettist und Gitarrist, der in seinem Spiel ganz und gar aus dem Moment schöpft. Dabei greift er auf ein enormes Erfahrungsspektrum zwischen geschriebener und improvisierter Musik aller Art zurück, z. B. in so legendären Gruppen wie Henry Cow. Hodgkinsons Duo-Partner ist der Drummer Chris Cutler, der unter anderem das unabhängige  Label ReR gegründet hat. Aktuell produziert er eine Reihe von 120 Radio-/Podcast-Gesprächen über neue Musikideen für das Museum of Modern Art in Barcelona.

In der Ankündigung war obendrein Folgendes zu lesen: “Im Duo Cutler/Hodgkinson können also durchaus Anklänge an die rockige Vergangenheit erklingen - vielleicht kommt aber auch alles ganz anders. Überraschend wird die Musik auf jeden Fall.“


Die Protagonisten der Soundtrips NRW im cuba Black Box

Noch ein paar Worte zu Hodgkinson, der in sozialer Anthropologie an der University of Cambridge graduierte, sich aber für eine Musikerkarriere entschied und mit seinem Studienfreund Fred Frith die Band Henry Cow gründete, die im Avantgarde-Rock anzusiedeln ist. Diejenigen, die sich in der britischen Musikszene auskennen, wissen, dass Hodgkinson außerdem in einer Post-Punk-Band spielte und auch einst hinter dem unabhängigen Label The Woofs stand.

Der in Washington DC geborene Chris Cutler ist ein britischer Schlagzeuger, Perkussionist, Komponist, Schriftsteller und Musiktheoretiker. Wie Hodgkinson war er Mitglied von Henry Cow und zudem einer weiteren Avantgarde-Rock-Band namens Art Bears. Er ist unter anderem der Gründer des Plattenlabels und -vertriebs Recommended Records. Cutler ist als autodidaktischer Musiker in den Grenzbereichen von Rock-, Jazz- und Avantgarde-Musik anzusiedeln. Er ist auf insgesamt weit über 100 Plattenveröffentlichungen zu hören und war – neben den vorgenannten Bands – Mitglied oder Gastmusiker zahlreicher weiterer Formationen, darunter u. a. Pere Ubu, The Residents, Cassiber und Gong.


Der Klang entzieht sich dem Wort

Wären Worte allumfassend, bräuchte man keine Töne, keine Akkorde, kein Flageolett, kein Falsett, keine Melodie keine Klänge, keine Geräusche. Das Wort hat Grenzen und war nicht am Anfang. Am Anfang war das Bild und vermutlich auch der Klang. Ein Konzert in Worte zu fassen, das zwischen freier Improvisation und Geräuschmusik changierte, kennt Grenzen, die Grenzen des Wortes, wollte man nicht in Wortmalereien abdriften. Was also bleibt, um ein derartiges Konzert dem Leser nahezubringen? Ja, Worte, aber auch Bilder. Im vorliegenden Fall die Bilder der bildenden Künstler des Informel. Das Gestische steht bei ihnen im Zentrum. Das Gestische, die Aktion, das Handeln standen beim Konzert im cuba Black Box auch im Zentrum der Aufmerksamkeit.


Das Visuelle und das Klangliche

Das Klangliche war ohne das Visuelle nicht denkbar. Da rückte auch Unbeabsichtiges in den Fokus, so ein Ping-Pong-Ball, der sich verselbständigte, ein Plastikkamm, der die Saiten der Lap Steel Guitar sprichwörtlich traktierte, Rasseln, die über das Fell der Toms gezogen wurden, Papier, das zerknüllt wurde, eine Zeitungsrolle, die einen Stick ersetzte.

Bei all dem, was da auch vor den Augen der Zuhörer geschah, verlor sich der klangliche Faden hier und da. Der Eindruck, dass jeder der Musiker auf der eigenen Umlaufbahn unterwegs war, drängte sich über weite Strecken auf. Das Melodiöse war das Überraschende, da es nur einmal nach der Pause am Ende einer Kette von geräuschvollen Aktionen zu hören war, sehr lyrisch, sehr im Kontrast zu dem, was bis dahin auf der Bühne dargeboten worden war.


Spröde war auch vorhanden

Eine gewisse Spröde strahlte die Musik aus. Sie war schwer in Worte zu fassen und zu begreifen. Das Visuelle dominierte, ebenso die Technik mit und ohne Moog. Bisweilen drängte sich der Eindruck auf, dass ohne Elektronik kein Klangfluss möglich ist. Dass Tim Hodgkinson im Verlauf des Konzertabends die Klarinette auch mal in ihrem reinen Klang vorstellte und nicht durch Loops, Sequenzer, Distortions oder Delays veränderte, war Klangbalsam im Geräuschwirrwarr, bei dem man stellenweise an Maschinenlärm denken musste. Hin und wieder hatte man auch die Vorstellung, es werde gerade das Motorengeräusch startender Flugzeuge wie einer DC 7 eingespielt.

Wer denn erwartet hatte die beiden eingeladenen britischen Musiker würden aus dem Repertoire von „Henry  Cow“ schöpfen, der wurde an diesem Abend eines Besseren belehrt. Beide bewegten sich ebenso wie Erhard Hirt und Hans Schneider – diese ergänzten das britische Duo nach der Pause  –  in Sphären weit jenseits von Avantgarde-Rock.

Knarzende Saiten trafen auf Papiergeraschel. Besen tickten ein Trommelfell an. Ein Bogen kratzte über die Saiten der Lap Steel Gitarre. Hodgkinson und Cutler vertieften sich nach und nach in ihrem jeweiligen Klangrausch. Krkrkr und eine Art Gejaule drang ans Ohr der Zuhörer. Aufquellendes Brummen dehnte sich aus und eine „Turmuhr“ schlug fern. Den Bogen in seiner Hand ließ Hodgkinson nicht nur auf das Tischbein, sondern auch die Saiten schlagen. Ein kurzer Klang war wahrzunehmen und verhallte schnell. Eine wischende Hand fuhr ebenso über die Saiten; die Handkante dämpfte ab und an den Klang der Saiten. Cutler ließ zeitweilig „Reisigbesen“ über das Drumset fegen. Eine Klangschale gab Hochtöniges von sich und fiel dann auf den Boden, um erneut in Schwingen zu geraten. Bleche rutschen und schabten über Felle. Knacken, Surren und Pfeifen konnte man ausmachen. Tststststs traf auf eine Art Tschilpen. Langwellenfrequenzen schienen auf Tonstörungen beim Kurzwellenempfang zu stoßen. „Schellenstab“ traf auf Trommelfell. Gerassel war auch mit im Spiel. Sirenenklang und Industrielärm schienen sich zu vereinen. Nur selten gab es gleichbleibende Rhythmen, die offensichtlich das Geschehen determinierten. Gewisper vereinte sich mit dem Klang einer Haustürklingel, oder? Regenschauer wurde imitiert. Abriebgeräusche waren präsent. Ssssss vereinte sich mit Crash. Und dann war Stille. - Pause …



Vier Musiker auf eigenen Umlaufbahnen

Im zweiten Konzertteil traten auch der Gitarrist Erhard Hirt und der E-Bassist Hans Schneider in Erscheinung. Die Lap Steel Gitarre rückte in die zweite Reihe und die Klarinette, gespielt von Tim Hodgkinson, rückte ebenso wie eine kleine Flöte in die erste Reihe. Vier Musiker vereinten sich im Klanggemälde und folgten doch auch stets eigenen Spuren, ließen die Hand über Gitarrensaiten kreisen, den E-Bass nur selten als solchen in den Vordergrund rücken. Verzerrte Wortfetzen drangen ans Ohr. Erinnerung an Walgesänge stellte sich für wenige Momente ein. Klangmomente reihten sich aneinander. Ein Verharren in einem Klangbild gab es nicht. Ständig war klangliche Bewegung im Spiel. So war auch ein Knallen nur für den Bruchteil einer Sekunde zu identifizieren. Auch das Blubbern verschwand so schnell, wie es aufgetreten war.

Ein Klangkern schien nicht vorhanden zu sein. Die vier Musiker kreisten autonom auf eigenen Umlaufbahnen. Divergenz war angesagt. War der rhythmische Bass wirklich auf den Gitarrendonner abgestimmt? Waren die Phrasierungen der Klarinette eine Antwort auf das Fingertippen am Gitarrenhals? Und war das denn zu hören? „Ich bin … Jeder fängt an … Irgend …“ - Satzfragmente wurden eingespielt. Ach, und eine sehr kurze Sequenz aus „Mama mia“ von Freddy Mercury war auch wahrzunehmen. Oder war das nur eine akustische Täuschung?

Die Klangmelange war eine Herausforderung. Dieser konnte man eigentlich nur mit geschlossenen Augen folgen. Ansonsten war man durch das Visuelle abgelenkt, war fasziniert davon, mit welchen Mitteln eine Lap Steel Gitarre manipuliert werden konnte, davon, welche Perkussionsinstrumente denn noch ins Spiel eingebracht wurde. Achtete man auf Hans Schneider am Bass, so fand man einen Ruhepol in der Klangaufgeregtheit, die uns umgab. Und am Ende stand doch mehr Ratlosigkeit als Klarheit im Raum, oder?

Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther- Text und Fotos sind nicht Public Commons!




Informationen

Line-up

Tim Hodgkinson (GB) – Klarinette,  Lap Steel Guitar
Chris Cutler (GB) – Schlagzeug

Gäste:

Erhard Hirt – Gitarre
Hans Schneider – E-Bass

https://www.facebook.com/public/Tim-Hodgkinson
http://timhodgkinson.co.uk


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