Soundtrips NRW: Susan Alcorn

cuba Blackbox Münster 01.09.2019



„Susan Alcorn begann das Gitarrenspiel im Alter von zwölf Jahren inspiriert durch ihr Interesse an Folk, Blues und der Popmusik der Sechziger Jahre. Die Musik von Muddy Waters regte sie zum Spielen der Slide-Gitarre an, worauf sie sich in die Pedal-Steel-Gitarre einarbeitete. Nachdem sie mit inzwischen einundzwanzig Jahren in verschiedenen Country- und Western-Bands in Texas auftrat, begann sie, die klassischen Pedal-Steel-Techniken mit Einflüssen aus Free-Jazz, klassischer Avantgarde-Musik, indischen Ragas und verschiedenen Richtungen der weltweiten Roots-Musik zu kombinieren und wurde von der sogenannten „Deep Listening“-Philosophie von Pauline Oliveros beeinflusst.“
So war es in der Konzertankündigung zu lesen.

Bei den Konzerten in der Black Box, cuba, über die ich bisher berichtet habe, waren die Musiker bezüglich der Erläuterung ihrer Musik eher zurückhaltend. An diesem Abend war das anders. Susan Alcorn versuchte durch jeweils einführende Worte zu ihren Stücken zu erläutern, wie sie und warum sie zu welchen Kompositionen gekommen ist. Das war hier und da für den einen oder anderen Zuhörer etwas langatmig. Doch wer von den Anwesenden hatte zuvor von Susan Alcorn gehört?

Wer wusste, dass eine Fahrt zu einem Gig mit Country Music ganz entscheidend für die Entdeckung von Olivier Messiaens war. Ja, das Hören eines Klassik-Radiosenders auf einer langen Fahrt faszinierte die aus Texas stammende Musikerin so sehr, dass sie am Highway parkte, um die Musik zu genießen. Angesichts des verspäteten Eintreffens beim Gig gab es Ärger mit den anderen Bandmitgliedern, aber auch eine neue Erkenntnis. Die Musik von Messiaen ließ sie hinfort nicht mehr los, auch wenn die Umsetzung der Kompositionstranskription des Originals so schwierig war, dass am Ende aus wenigen Noten Messiaens  etwas Eigenständiges entstand: „Resurrection of a Pedal-Steel-Guitar“. Grundlage dafür war ein Auftragswerk des sehr religiös eingestellten Komponisten Olivier Messiaen, der es für die Gefallenen des 2.Weltkriegs schrieb.


Und dann, ja dann breiteten sich satte Klangschwaden in der Black Box aus, gepaart mit zartem Zupfen der Saiten. Eine Art Donnergrollen traf auf den Klang einer Hawaii-Gitarre. Surf-Sound war für wenige Momente auszumachen. Klangweitungen schlossen auch Country ein, dem musikalischen Ursprung von Susan Alcorn.

Im weiteren Verlauf des Soloauftritts der us-amerikanischen Musikerin nahmen wir tiefe Saiten-Schwingungen wahr. Überspielungen griffen um sich. Pedalzüge kamen ebenso zum Einsatz wie ein Gleitstab, ähnlich dem Bottle Neck nur eben nicht über den Finger gezogen, sondern in der Linken gehalten und über die Saiten geschoben.

Finger strichen über die Saiten. Metallisch klingende Beigaben waren wahrzunehmen. Mit dem Gleitstab wurde zudem auf den Saiten „geschabt“. Bisweilen umfing die Anwesenden ein gewisses Sturmgeheule, das rasch mit der Handkante abgedämpft wurde. Glich die Pedal-Steel-Guitar nicht hier und da auch einem Theremin?

Lyrische Gitarrenpassagen drangen an die Ohren der Zuhörer. Für kurze Momente konnte man an sakrale Musik denken, wie sie auch bei Olivier Messiaen zu finden ist. Doch nicht allein dieser französische Komponist hat es Susan Alcorn angetan, sondern auch der argentinische Musiker Astor Piazolla. Dem „Vater des Tango Nuevo“ begegnete sie 1987,  und eine Hommage an ihn war Alcorns Vortrag „Winter in Buenos Aires“ („Invierno porteno“). In dem Vortrag bündelte sich Schwere, Schwermut und Sehnsucht. Nur gelegentlich wurde diese Stimmung durchbrochen. Man dachte beim Hören an Kälte, an eisige Kälte, an Schneegestöber, an die Verlangsamung des urbanen Alltag. Mischte Alcorn bei dem Vortrag nicht auch Harmonien aus „Streets of London“ bei?


Im Verlauf einer Konzertreise nach Italien, so Alcorn, kam der Gitarristin die Melodie und der Text von „Bella Ciao“ in den Sinn, als sie in Mantua Augenzeugin einer antifaschistischen Demonstration wurde. Dies führte mit zu  der Konzeption einer „politischen“ Suite, zu der auch Musik von Victor Jara, Inti Illimanis „El pueblo unido jamás será vencido“ und „Hymn To Freedom“ (Oscar Peterson) gehören. Man musste dabei schon ein ausgewiesener Kenner der genannten Kompositionen sein, um auf Schritt und die Tritt die Verwebungen und Interpretation auszumachen. Ohne die einleitenden Worte der Komponistin wäre die „Entdeckung“ dieser politischen Statements in Musikform schwer gefallen.

Manchmal ist auch eine Flugreise, so Alcorn im Verlauf des Konzertabends, Anlass für eine Komposition. Auf einem Flug von Baltimore nach Gdansk hatte sie sich den Magen verdorben. Eine unruhige Nacht folgte, in deren Verlauf das Stück entstand, bei dem man zeitweilig den Eindruck hatte, einer Melange von Musik für E-Gitarre, Harfe und Zither zu lauschen.

Mit einem Stück des katalanischen Cellisten Pablo Casals, einem ausgewiesenen Gegner von Generalissimo Franco, endete der Soloauftritt von Susan Alcorn. Zu hören war „Song of the Birds“, eine Hymne für alle, die der Diktatur und Unfreiheit entfliehen mussten und immer noch müssen - auch das als Thema sehr aktuell.

Casals weigerte sich nach seiner Emigration öffentlich aufzutreten. Erst nach vier Jahrzehnten trat er 1971 bei der Verleihung der Friedensmedaille der UNO öffentlich mit dem „Song of the Birds“ auf.  Es ist eine alte katalanische Volksweise, „Cant dels Ocells“. Voller Melancholie und mit Gespür für das Tragische und die Tragödie spielte Casals  dieses Stück. Dies kam auch beim Konzertvortrag von Alcorn zum Tragen, allerdings mit einigen farbenfrohen Beimischungen.


 


Der zweite Konzertteil war ganz und gar der freien Improvisation von drei Saiteninstrumenten vorbehalten. Neben Alcorn waren daran Erhard Hirt und Nicola Hein an den Gitarren beteiligt. Ohne elektronische Zauberkästlein kamen die beiden Gäste nicht aus. Dabei hatte man bisweilen den Eindruck, Geräuschmusik zu erleben.


Schnarren und Schnalzen vereinten sich. Klicklaute waren auszumachen. Melodische Vertiefungen waren Susan Alcorn vorbehalten. Geräusche von Kampfjets paarten sich mit einem anhaltenden Tickticktick, insbesondere dann, als Nicola Hein die Saiten seiner Gitarre mit einem Spatel (?) traktierte. Sirenen erfüllten die Black Box. Nach zerspringenden Glaskristallen klang das, was im Verlauf der Improvisation zudem wahrzunehmen war. Ein Gurgeln und Glucksen entlockte Erhard Hirt seiner Gitarre. Saitengeschabe war ein Teil des Vortrags. Vibrationen, zu einem Klangfeld vereint, waren Susan Alcorn zu verdanken.

Ein Paukenschlag ohne Pauke gehörte zum „Konzept“. Auch eine „singende Säge“ vermeinte man zu hören. Doch die war nicht mit im Spiel. Tieftöniges Saitenzittern vermischte sich mit einem steten Klangstrom. Und dann war irgendwann auch Schluss mit den tonalen Ausuferungen.


Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther



Informationen

Susan Alcorn (USA) – Pedal Steel Guitar

https://en.wikipedia.org/wiki/Susan_Alcorn
https://www.facebook.com/susan.alcorn.14

https://www.susanalcorn.net


Gäste im zweiten Set: 

Nicola L. Hein - Gitarre
https://nicolahein.com/

Erhard Hirt – Gitarre
https://www.jazzhalo.be/interviews/erhard-hirt-interview-mit-dem-in-muenster-lebenden-gitarristen-der-sich-in-der-freien-und-improvisierten-musik-zu-hause-fuehlt/


Referenzen

Astor Piazzolla: Winter in Buenos Aires


Inti Illimani: El pueblo unido jamás será vencido


Oscar Peterson: Hymn for Freedom


Pablo Casals: Song for the Birds


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