SKEIN, Tonhalle Hannover , 30. April 2023





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Trotz frühlingshaften Wetters und Sonnenschein kamen zahlreiche Zuhörer in die Tonhalle, um beim Konzert Frank Gratkowski (Altsaxophon, Klarinetten, Flöten), Achim Kaufmann (Flügel), Wilbert de Joode (Kontrabass) und Tony Buck (Schlagzeug) zu erleben. Achim Kaufmann, Frank Gratkowski und Wilbert de Joode fanden als Trio zum ersten Mal Anfang 2002 in Amsterdam zusammen, so war im Vorwege des Konzerts zu lesen. Mehrere CDs sind aus der musikalischen Zusammenarbeit der drei Genannten entstanden. Wer beim Konzert zugegen war, mag urteilen, ob die nachstehende Aussage zutreffend auf das passte, was am Abend in der Tonhalle vorgestellt wurde: „Kaufmann/Gratkowski/de Joode vereinigen die Transparenz zeitgenössischer Kammermusik – das Einbeziehen von Stille ebenso wie das Hinübergleiten in Geräuschbereiche, die dann wieder von Relikten fast tonaler Klavierakkorde umgedeutet und durchbrochen werden – mit der Energie, Pointiertheit und Unberechenbarkeit des Jazz und anderer rhythmisch aggressiverer Musiken.“ Nun ja, so las es sich jedenfalls im Ankündigungstext zum Konzert.

 
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Neben den oben Genannten ist nunmehr der australische, in Berlin lebende Schlagzeuger Tony Buck auch Teil des Ensembles namens SKEIN. Der Bandname bedeutet in der deutschen Übersetzung Strang ebenso wie Geflecht. Bezogen auf die Musik passt letzterer Begriff sehr gut. Da gab es Verwebungen, Verstrickungen, Verwicklungen, Aufwickelungen; da gab es ein musikalisches Knäuel, aber auch einen gesponnenen Faden, so könnte man meinen. Vor allem präsentierte das Quartett Musik im Moment, aus dem Moment und für den Moment. Es war eine Musik, die verschmolz, aber nur im Moment, um im nächsten sich anders zu zeigen und den vorherigen Moment fast vergessen lassend.

 
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Wie verbalisiert man also das, was man momentan hörte? Wie fasst man in Worte, was freie Improvisation eigentlich bedeutet? Wo und wie fangen die Musiker an, ihre musikalischen Fäden zu knüpfen? Wie entwickelt sich das Fädengewirr? Wie enden die freien Improvisationen und vor allem wer beendet sie? Gibt es Stichwortgeber? Antizipation als Prinzip oder was – das stellte sich als Frage, Sind die verbalisierten Eindrücke eigentlich in Satzstrukturen zu fassen? Oder muss man sich verbaler Fragmente bedienen? Für Letzteres hat sich der Berichterstatter entschieden, um das Momentane einzufangen.

 
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Wortfragmente über Klangimpressionen 1: Atemluft geschwirrt / in Bassklarinette verwirbelt / Blech über Fell gezogen / Hände in geöffneten Flügel greifend / Bass knarzend / rotierendes Blech auf Tom / zartes Tippen auf großem Blech / Klarinettengewitter / Tasten-Getippe / Schrillheit des Tonalen / schnurrend und brummend aus den Tiefen der Bassklarinette kommend / Höhenflüge und Blechgetätschel / hin und her wandernde Sticks / kristalline Tastenklänge fallenden Glasbausteinen gleichend / leise hörbar ein Shaker / Ententröte oder was / Bassseligkeit des Flügels für einen Moment / Täktätäk auf Hi-Hat / Redundanzen und angerissene Basssaiten / strichweises Besenspiel auf Snare / geschlagener Blechrand mit Schwingungen / rasselndes Geräusch beinahe aus dem Off / langsam gestrichener Bogen auf den Saiten des Tieftöners / Glöckchenklang wiederkehrend und auch im Nichts verschwindend / zarte wiederkehrende Linien …

 
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Wortfragmente  über Klangimpressionen 2… Klarinette statt Bassklarinette im Spiel / Dynamik im Spiel / lauthals das Saxofon / Tempozunahme / schlagende Finger auf den Basssaiten / KrrKrr und harte Beats / Tastenspiel mit gekreuzten Händen / schleifenförmige Auffädelung der Saxofonsequenzen / Klimax ansteuernd / beinahe Ekstase und dann im Abschwung ins ruhige Fahrwasser gleitend / Moment des Innehaltens / Kraftschöpfungen für den Neuanfang / Überschläge verflachen / Amplituden werden verkleinert / knarrendes Fell / Windgebläse und -geheule macht sich breit / Schläge von oben auf die Klarinette ohne Mundstück / eine Art Plopp und Plopp / Notenständer als Resonanzkörper für den Bogen des Bassisten / Perkussives auf dem Bass / Klangerzeugungen jenseits des Basssteges / Schläge auf gedämpfte Felle / raschelnder Shaker erneut Teil der Klangmelange / dann ein Moment der Stille und die Frage nach dem Ende  des freien Spiels / Die Hände des Pianisten streichen über die Saiten des offenen Flügels / Dann ist es vollbracht / kurze Phase der Konzentration und dann ...


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Wortfragmente über Klangimpressionen 3: Ein Glas findet seinen Weg in den Trichter des Saxofons / mit Saft gefüllt / Finger fahren über und unter Basssaiten / Hände streichen über Felle / Fingerkuppen schlagen auf den Basskorpus / tonsilbige Verknüpfungen gelingen dem Saxofon / Industriegeräusche oder was? / Tempozuwächse im Verlauf / aufgebürstet das Saxofon / ein wenig tonale Rechthaberei / rhythmisierend der Bass unterwegs / harte Tastenzäsuren des Pianisten / gespreizte Finger über schwarze und weiße Tasten / Gewirr von Tonsilben dank des Holzbläsers / Vogelstimmen im Chorus als Eindruck / Flötenhauch als neue Klangfärbung / und dann ein Lächeln von Tony Buck als Ende / oder alles nur ein Missverständnis des Berichterstatters? ...


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Wortfragmente über Klangimpressionen 4: Wilbert de Joode als Stichwortgeber und in der Rolle des Souffleurs / tiefgründiges Saitengezupfe / Schlägelgewische über ein Trommelfell / schlagende Hand auf die oben offene Klarinette / fallende Glasstäbe dank des Spiels im oberen Diskant / leicht verstimmt die Klarinette / wimmernd und klagend die Stimme des Blasinstruments / Jingle Stick im Einsatz / dünner Stick fällt in kurzen Intervallen auf Hi-Hat / Klarinettenwogen im Fokus / Bild von jagenden Winden und gekräuseltem Meer auftauchend / Gurren und Girren sowie Gutturales / alles Frank Gratkowski zu verdanken….

Pause / Pause / Pause - Momente der Klanglosigkeit / und dann erneuter Beginn …


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Wortfragmente über Klangimpressionen 5: kurz angezupfte Saiten mit Dumdum und Dimdimm / schwirrende Hanging Tom / feinstes Saxofongebläse / Note von Wehmut jenseits des Melodischen / Weckrufe des Pianisten / der Bass als Schlagwerk an der Seite des Schlagwerks / Blechschwall / Schwall auf Schwall vom Saxofonisten gesetzt und Ergänzung zu Schlagwerkwirbeln / Gewisper und Geräusper / Geschabe und Geklopfe / betätigte Klappen des Saxofons ohne Tonerzeugung, aber ein Geräuschfluss / Sirenengeschrei / Basstänzereien auf den Tasten des Flügels / Bogenschläge auf den Steg des Basses / hölzerner Klang / nervöse Schlagwerkerei / kurzer Kuhglockenschlag oder so / aufsteigende Saxofonlinien / tonale Quellgebiete werden erschlossen …

Die Dynamik nahm ihren Lauf. Der Instrumentenwechsel bei Frank Gratkowski war Teil der Inszenierung. Basslastiges vereinte sich mit Kristallinem bis zum Schluss. Eine Zugabe gab es nicht. Freie Improvisationen haben ein Ende, wenn alles gesagt ist und irgendwann war alles gesagt an diesem denkwürdigen Abend vor dem 1. Mai.

© fotos anne panther/ferdinand dupuis-panther, text ferdinand dupuis-panther

Info

http://gratkowski.com/de/
https://wilbertdejoode.me
http://www.achimkaufmann.com
http://tony-buck.com

Tonhalle Hannover
https://tonhalle-hannover.de

Konzertankündigungen
14.05 1800 T Hanne Morgenstern NaabtalDeath
           + Simon Rose & Hilary Jeffery
21.05 1800 T Moritz Preissler Trio
04.06 1800 T Achim Seifert Quartett
11.06 1800 R Felix Petry Trio F. Efrat Alon & Tino Derado
18.06 1800 T BROM - Beierbach / Roder / Marien
25.06 1800 T Frank Wingld - Entangled Music
 T gleich Tonhalle R gleich Rampe

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