Meeting Point Bunker Ulmenwall (Bielefeld):

Vanoli & Kreysing-Brügge-Duo (21.9.2018) / Analogue Birds (22.9.2018)


Aufgemacht wurde der Freitagabend im Bunker Ulmenwall mit dem Soloauftritt des in Amsterdam ansässigen Gitarristen Raphael Vanoli, gefolgt von dem Duo Anja Kreysing (Akkordeon, Electronics) und Tobias Brügge (Saxofon).

Elektro-akustische Hörattacken


Sehr ungewöhnlich war die Spielweise des Gitarristen Raphael Vanoli, der  teilweise die Saiten anblies. Anja Kreysing entwickelte in der Vergangenheit Live-Soundtracks für (Stumm-)Filme, Performances und elektro-akustische Environments. Für die letzte Weihnachtsmatinee hatte sie gemeinsam mit Tobias Brügge am Saxofon ein Programm entworfen, welches wir an diesem Klangabend im Bunker nochmals erleben konnten.


Tobias Brügge – Saxophonist und Klarinettist aus Münster – ist in der Region kein Unbekannter und bewegt  sich leichtfüßig zwischen den Stilen, zwischen Hard Bop, Freejazz und improvisierter Musik. Von Letzterem konnte sich jeder der Anwesenden überzeugen.


Ein Abend nach dem Motto: 1, 2, 3


Den Abend eröffnete der aus Freiburg gebürtige und in Amsterdam lebende Gitarrist Raphael Vanoli, der für sein Spiel auf eine Reihe „analoger Zauberkästchen“ zurückgriff. Im Halbdunkel agierte der Musiker, auch um für das Publikum die Konzentration auf den Klang zu erhöhen. Nicht das „technische Agieren“ an Reglern und Fußpedalen, nicht der Blick auf die Griffform oder das Anhauchen der Saiten sollten ablenken. Die ausschließliche Vertiefung in den Klang war angesagt.


Klangtiefen und -vertiefungen


Durchaus Melodisches füllte den Raum. Riffs waren zu hören. Tiefgründigkeit war spürbar. Klanggewicht drang ans Ohr des Zuhörers. Es schien eine aus dem Moment geborene Musik. Doch diese Annahme erwies sich als falsch, wie Raphael Vanoli vor seinem letzten Stück des Sets erläuterte. Im Kern waren die vorgetragenen Stück Kompositionen mit improvisierten Aufsprengungen, wie wir erfuhren.

Nun ja, auch Olivier Messiaen schuf Werke, die wie Improvisationen klingen, aber bis zur letzten Note strukturiert, also nicht Geburten des Moments sind.


Nachbeben und ferner Donner

Tonales Nachbeben war wahrnehmbar, aber auch immer wieder Stille, als Zäsuren zu begreifen, als Sammlung auf das nächste Stück. Atemrohrklang breitete sich aus. Saiten wurden durch Ausatmen in Schwingungen versetzt. Getrommel vereinte sich mit Zischen und Grummeln. Ferner Donner schien aufzuziehen. Dahin fegenden Wind meinte man zu vernehmen. Scharfes Zischen vereinte sich mit Gewaber. Der Klang einer mit dem Bogen gespielten Säge schien den Raum zu füllen. Klangwirbel in einem Metallrohr schuf Vanoli obendrein.


Fern von New Age war Sphärisches präsent. Hier und da vermeinte man, in die Geräuschkulisse eines Stahlwerks und einer Eisenbiegerei einzutauchen. Tonale Lavaströme ergossen sich. Eiskristalle schienen zu zerspringen. Dicke Wassertropfen hörte man fallen. Stets stand die Frage im Raum, ob man angesichts dessen, was zu hören war, von Geräuschmusik sprechen konnte, als Vanoli Teile seines Soloalbums vorstellte.


Brügge-Kreysing: Themenwechsel oder?


Nach einer Pause erlebten die doch recht zahlreich Gekommenen das Duo Tobias Brügge-Anja Kreysing. Da traf ein Holzbläser auf ein Zuginstrument. Allerdings verzichtete Anja Kreysing nicht gänzlich auf elektronische Klangbeigaben. Klappenmechanik traf auf Knopfklang. Teilweise gab sich das Akkordeon ein wenig herzzerreißend, während das Saxofon sich mit scharfen Klangworten meldete.


Anwandlungen von Melancholie traf auf Geräuschwallungen

Melancholie im Duo wurde zeitweilig klanglich gelebt. Rhythmische Setzungen und eine wellige Klangstruktur waren nicht zu überhören. Aufbrausend, lautstark und vorpreschend gab sich das Saxofon. Kurz waren die Interventionen, die Anja Kreysing zu dem Spiel von Tobias Brügge setzte. Geräuschwallungen lagen in einigen Abschnitten des Vortrags unter dem gezogenen Klangbild des Akkordeons.


Schnalzen und Schmatzen, Luftgebläse und Tonschärfe  nahmen wir im weiteren Verlauf wahr. Sprach da nicht Tobias Brügge auch in das Mundstücks seines Saxofons? Tiefgründig kommentierte dies Anja Kreysing. Zwiegespräche durchzogen den Vortrag bis zum Schluss. Balkanova war ebenso fern wie Musette. Kein Wunder, denn es war, so jedenfalls die Annahme des Berichterstatters, Musik aus dem Moment entstanden und nur im Moment bestehend, also einmalig und nicht wiederholbar.


Die Musik des Duos Brügge-Kreysing evozierte abstrakte, farbige „Schlierenbilder“, wie wir sie von Gerhard Richter kennen. Der „abstrakte, teils minimalistische Klang“ verlief wie die Farben Richters auf dem Bildgrund.

Der Abend war schon weit fortgeschritten, ehe dann die drei Musiker das Publikum in teilweise sphärische Improvisationswelten entführten. Irgendwann waren dann auch die letzten Klangworte gesprochen und ein sehr bemerkenswerter Abend fand sein Ende.



Analogue Birds: Didgeridoos waren mit im Spiel

Am Samstagabend betraten dann Analogue Birds in Begleitung des in Bielefeld beheimateten Trompeters Gianluca Scagliarini die Bunker-Bühne. Das „analoge Federvieh“ besteht aus Tom Fronza (Didgeridoos, Keys, Percussion, Bass, Live-Loops), Alexander Lipan (Gitarre, Oud, Effekte) und David Bruhn (Drums).


In der Konzertankündigung war zu lesen: „Analogue Birds stehen seit 2004 für außergewöhnliche Klangwelten und treibende Beats auf höchstem Niveau. Im musikalischen Mittelpunkt steht das Didgeridoo, Instrument der australischen Ureinwohner, das durch die mitreißende Spielweise und Performance vom Zuhörer vollkommen neu erlebt wird. Pulsierendes Schlagzeug und erdiger Bass erzeugen dazu treibende Rhythmen, runde Subbässe und sperrige Effektflächen. …  Als besonderes Bonbon sorgt in diesem Konzert Gianluca Scagliarini an der Trompete für eine Extradosis Ambient Jazz.“ Das versprach also ultimative Klangräusche!

Das Klangerlebnis an diesem Abend war gewiss abhängig davon, wo man sich aufhielt, in den beiden freien Räumen links und rechts der Bühne, an der Bar, im „Foyer“, im Gang, am „Bühneneingang“ oder in einem anderen Teil des Bunkers, der teilweise aufgrund der hart gesetzten  Beats zitterte und bebte.


Bebender Bunker

Klangwalzen rollten unablässig über die Anwesenden hinweg. Es war ein steter Fluss, der da vor allem durch die zirkulierende Atmung am Didgeridoo erzeugt wurde. Unablässig war David Bruhn mit harten Setzungen zu vernehmen. Teilweise in Rhythmuswechsel verstrickte er sich, trieb durch Tempowechsel das Spiel voran, war Wortführer, nicht nur beim Einzählen. Der Schwall der Bass Drum traf auf den kehligen Klang der Didgeridoo oder den Synthesizer, dessen Tasten Tom Fronza umsichtig bediente.


Songs wie „Puzzle“, „La Luz“, „Moon Dog“ und „Capitalisme“ waren zu hören. Eingestreut waren Improvisationen, die auf Gianluca Scagliarini zurückgingen. Allerdings hatte der Berichterstatter beim Zuhören nicht unbedingt den Eindruck des Improvisierten. Dünne Klangschraffuren überlagerten dann den eher erdig-dumpfen Klang des Blasrohrs aus Down Under.


„Blasrohre“ aus Süddeutschland

Übrigens, die verschiedenen Blasrohre, denen Tom Fronza Leben einhauchte, stammen von einem süddeutschen Instrumentenbauer und nicht aus dem Northern Territory. Wer die Musik australischer Ureinwohner kennt, nicht nur die von Yothu Yindi oder Kev Carmody, der hatte an dem Abend im Bunker hier und da doch ein Déjà-vu, dachte an traditionellen Corroboree fern vom Uluru.


Gespielt wurde ein Set, um, so Tom Fronza, den Energiefluss am Laufen zu halten. Schließlich mussten die Klangwogen in steter Bewegung gehalten werden, ohne die die Musik von Analogue Birds nicht zu denken ist.

Einige der Anwesenden rebellierten gegen die leer geräumten Flächen, pflegten „Hockerprotest“ und „besetzten“ die Tanzflächen. Doch eine Vielzahl der Gekommenen kam auch in Wallung, tanzten, wenn auch nicht immer in der richtigen rhythmischen Balance, so der Eindruck des Berichterstatters.


Shake your bones!

Ja, für Jazzpuristen war es gewiss gewöhnungsbedürftig, dass die Musik eben zum Tanzen gedacht war und zur Bewegung animieren sollte. Aber Wellenklang zwischen House und Acid Jazz, zwischen Fusion und Fusion revisited signalisierte halt „Shake your bones“, auch wenn es hier und da „gesäuerten“ Trompetenklang zu hören gab oder aber eine andinische Flöte zu vernehmen war. Ein flauschiger tonaler Teppich wurden immer wieder ausgebreitet. Wortgewaltig war ganz gewiss das Didgeridoo, das für Räusche der Klänge sorgte.


Tom Fronza – das ist m. E. hervorzuheben – ließ es sich nicht nehmen, eine kleine Einführung in die Klangbreite des Didgeridoos zu geben, einschließlich Kehllauten, Krächzlauten und Obertönen. Diese fragmentiert vorgestellten Elemente flossen dann auch in eines der Stücke ein, die präsentiert wurden.


Zwischen Goa und Techno?

Ab und an beschlich den Berichterstatter der Eindruck, auf einer Goa Party zu sein, die in ein Techno-Event mündete. Mächtige Klangrotationen waren präsent, gegen die sich der Trompeter  hier und danur mit spitzen Konturen durchsetzte.


Vogelstimmen schienen auch mit im Spiel zu sein, als Tom Fronza erneut zur Flöte griff. Ekstase entwickelte sich nachfolgend, begleitet von bunten Lichtspielen.

Dass die Band in ihrem Klangbild auch von indischem Gesang und von Tabladrumming beeinflusst ist, erläuterte Tom Fronza in einem weiteren Teil des Konzertabends, an dem auch die Maultrommel zum Zuge kam. Orientalisch eingefärbt war eines der vorgetragenen Stücke; doch vor allem ging es rockig zu, auch wenn Alexander Lipan an der Oud zu hören war. Irgendwie hatte man in diesem Moment des Konzerts den Eindruck, moderne Sufis würden ihre Körper schwingen lassen, um in einen Trancezustand zu gelangen.

Insgesamt gab es aus meiner Sicht im Konzertverlauf durchaus Redundanzen, was wahrscheinlich an der Dominanz und „Wortgewalt“ des „kehlrolligen“ Didgeridoos lag. Hier und da hätte ich mir Solos gewünscht oder das Aufbrechen der geballten Klangkraft in Fragmente. Nun ja, das ist eine andere Vorstellung als die der Band, die das Programm in ihrem eigenen klangmächtigen Konzept gestaltete.


Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther – Text und Fotos sind nicht Public Commons.


Informationen

http://raphaelvanoli.tumblr.com/solo
http://anjakreysing.de/wp/
http://www.analoguebirds.com/analoguebirdsaklein/





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