Wie der künstlerische Leiter und Organisator der Konzertreihe in der Tonhalle Felix Petry anmerkte, würde er ja selten Piano-Trios einladen, aber bei dem Trio um Mark Pringle verhalte es sich anders. Vorgestellt wurde in der Tonhalle das bei Unit Records erschienene Debütalbum des Trios. Zu diesem gehören auch der Kontrabassist Felix Henkelhausen und der Drummer Philip Dornbusch. Diese beiden Musiker sind keine waschechten Berliner, auch wenn sie schon längere Zeit an der Spree beheimatet sind. Berlin ist ähnlich wie Köln und Essen ein Hotspot für Jazzmusik unterschiedlicher Facetten. So sind unterdessen auch Musiker aus Israel oder Australien Wahlberliner und bereichern die hiesige Szene.
„Bright Dark“ heißt das Projekt und Album, das im Mittelpunkt des Konzerts stand. Im Vorfeld war über das Trio Nachstehendes zu lesen: „Das Trio taucht mit offenen Ohren unerschrocken in Pringles Kompositionen ein, in denen es spielerisch rhythmische Vamps navigiert, zarte Klangteppiche webt und über lyrische Melodien meditiert. Dabei werden vereinzelt elektronische Elemente in einen ansonsten lebendigen akustischen Raum integriert. Mit ganz verschiedenartigen Einflüssen wie Karlheinz Stockhausen, der Berliner elektronischen und improvisierten Musikszene, Waschsalons und lila Obst, zeichnet sich der Sound der Formation durch ein dynamisches Zusammenspiel aus – emotional, eindringlich und reflektierend.“ An dieser Stelle ist ein Einwand geboten: Elektronisches war nicht Teil der Konzertinszenierung und schon gar nicht Ambient Music im klassischen Sinne. Das Trio war gänzlich dem Akustischen zugetan. Da gab es auch keine Loops, Delays oder Distortions, lediglich einen teilweise präparierten Flügeln. Und der Drummer setzte auch einen kleinen elektrischen Schneebesen und ein Windspiel in Szene. Doch das war und ist schlicht ein analoges Modul.
Doch die Frage blieb auch während und nach dem Konzert was es eigentlich mit „hell dunkel“ auf sich hat. Gibt es das überhaupt? Ist dunkel nicht dunkel und hell eben hell? Nun gut, lassen wir das mal an dieser Stelle bei Seite und widmen uns dem Konzert.
Wer dachte, das Trio würde schlicht die Tracks des Albums in gleicher Reihenfolge spielen, der wurde eines Besseren belehrt. „Opening“ eröffnete nicht das Konzert, sondern den zweiten Konzertteil. Und auch ansonsten erlaubte sich das Ensemble Abweichungen. Der Grund dafür war nicht einsichtig, konzipiert man doch in der Regel ein Album nach einer gewissen Dramaturgie. Nun ja, im Konzert wurde das alles über den Haufen geworfen und das Konzert mit dem Stück „Zwetschen“ begonnen. Übrigens, dieses wie auch alle anderen Kompositionen, die zu hören waren, entstammen der Feder von Mark Pringle. Noch etwas vorab: Nur ein einziges Stück, das keinen Titel hat, sondern unter dem Datum der Entstehung mit 18.9.2019 firmiert, wurde im zweiten Konzertteil gespielt, auch wenn diese Komposition Pringles nicht Teil des Debütalbums ist. Noch etwas: Der herzliche Beifall der Anwesenden bewegte das Trio mit „Coda“ eine Zugabe zu geben, obgleich alle drei mächtig unter Druck standen, rechtzeitig ihren Zug nach Berlin zu erreichen.
Sobald Mark Pringle seine Finger über die weißen und schwarzen Tasten des Flügels setzte, hatte man bei „Zwetschen“ den Eindruck, man erlebe zwei in sich strömende Rinnsale. Besen strichen sanft über die Snare und tuschierten die Becken, die sachte flirrten. Nachfolgend entwickelten sich Linien der Tonsilben, die etwas von einem mäandrierenden Wiesenfluss hatten. Der Bass erging sich ruhig in seiner Tieftönigkeit, schien gleichsam ein Mauerfundament, auf dem Pianist und Drummer gekonnt balancierten. Letzterer ließ seine Sticks über Beckenränder gleiten, erzeugte auf der Tom ein dunkles Plong und auf der Hi-Hat ein kurzwelliges Schwirren. Unterdessen vernahmen wir mehr und mehr Schraffuren, die der Pianist im Diskant angelegt hatte. Ein entfernter Donnerhall drang ans Ohr der Zuhörer, dank an Philip Dornbusch. Klickklick und Klackklack in rascher Folge, beinahe schon als Stakkato gesetzt, füllten den Raum. Finger kratzten über die Felle der Trommeln, ein Stick zog mit der Spitze über das Blech der Hi-Hat. Und dann schienen auch gegen Ende Bassist und Pianist aufeinander zuzugehen, sich in ihren Phrasierungen zu ergänzen, sodass sie hier und da deckungsgleich schienen. Doch was bitte hat das mit „Zwetschen“ zu tun? Etwas Frugales hatte das Stück aus Sicht des Berichterstatters nicht.
Nachfolgend hörten wir „Raum 3“, eine Komposition, die sich auf den Raum bezieht, in dem der Klavierunterricht stattfindet, den Mark Pringle gibt. Ja, Jazzmusiker leben nicht allein von Konzerten, sondern sind vielfach als Musikpädagogen beschäftigt. Eröffnet wurde der Track durch den Bassisten Felix Henkelhausen, der seine Linke auf fast der gesamten Länge des Halses wandern ließ. Nicht nur das Erdige, sondern auch die hohen Lagen des Tieftöners ließ der Bassist erklingen. Tänzelndes Tickticktick auf den Blechen war eine der Beigaben zu den Basskonturen, die Felix Henkelhausen zeichnete. Hinzukamen kurze Wirbelungen auf der Tom. Dicht gesetzt, teilweise tropfig waren die Setzungen der Tonsilben, die wir im Weiteren vernahmen. Hier und da gab es die Vorstellung von sanft auslaufenden Brandungswellen, die Mark Pringle auf seinem Tastenmöbel in Szene setzte. Der Drummer jedoch versuchte, das Gleichgewicht zwischen „Taktverwischungen“ und harten Taktakzenten zu halten. Letzteres geschah mit starken Doppelstockschlägen auf Hanging Tom und Hi-Hat, dabei stets in organischer Bewegung unterwegs.
Es folgten danach die Tracks „Dryer“ und „KHSH“. Balladenhaftes gemischt mit Chopin reloaded konnte man destillieren, folgte man dem musikalischen Vortrag. Was Mark Pringle spielte, schien expressionistischen Wolkenbildern zu gleichen. Zudem gab es zarte Weichzeichnungen, aber auch Ansätze eine Klageliedes, oder? Der Bassist nahm diese Stimmungen in seinen Paraphrasierungen durchaus auf. Ineinander laufende Aquarellfarben sah man beim Hören vor seinem geistigen Auge. Auch dies war im Kern dem Duktus geschuldet, dem Mark Pringle sich verbunden sah. Das beinhaltete auch Klangkaskaden mit geringer Fallhöhe, um im Bild zu bleiben.
Ein brummender Bass war unüberhörbar, kristallines ebenso. Zugleich meinte man, man höre brechendes Kristallglas oder brechendes Eis in der Schneeschmelze. Saiten des geöffneten Flügels wurden gegriffen und gezupft. Perkussives hörte man, dank des Einsatzes eines Windspiels. Trockenes Knarren nahm kurze Momente ein. Finger schnippen auf ein am Boden liegendes Blech. Insgesamt war auch in diesem Teil des Konzerts, das organische Handgetänzel des Drummers ein Hingucker, zumal er allerlei Gegenstände wie eine Art Tambourin und Klanghölzer auch mit ins Spiel brachte. So war man sehr auf das konzentriert, was der Drummer da an Schlagwerk zustande brachte. Daher schienen dann der Bassist und der Pianist eher marginal, soweit es den Klangeindruck betraf, oder?
Mit einer „Tonreihe“ (Originaltitel „Tone Row“) wurde der erste Teil des Konzerts abgeschlossen. Dabei hatte man die bildhafte Vorstellung beim Zuhören, dass Ton um Ton eine steile Stiege in den Hängen rund um Stuttgart oder die Treppenstraßen von Lüttich erklommen wurden. Wie bereits oben erwähnt, wurde nach einer sehr kurzen Pause mit „Opening“ der zweite Teil aufgemacht. Lag da nicht auch etwas Choralhaftes in der Luft, wenigstens in Ansätzen? Rollend und rotierend waren die nachfolgenden Tonsilben, die durch den Pianisten aneinander gefügt wurden. Der Bassist folgte in seinem Part dem Pianisten mehr oder minder auf Schritt und Tritt. Furios agierte der Schlagzeuger wie auch während des ganzen Konzerts. Was er an „Taktungen“ zum Besten gab, war abwechslungsreich, kaum vorhersehbar und im gekonnten Fluss. Übrigens, dass das Trio auch bedächtig-langsam agieren konnte, unterstrichen die drei Musiker mit „Opening“. Wellenförmige Klangstruktur und Jingleanmutung – das schien sich in „18.9.2019“ zu bündeln. Zudem verstiegen sich die drei Musiker in sich kreuzenden Linien und beinahe auch in das Konstrukt einer klanglichen Doppelhelix, die allerdings fragmentarisch blieb. Beim letzten Stück vor der Zugabe, war man gewiss angesichts der Klangvielfalt und der vielfältigen rhythmischen Durchwirkung der Musik hell wach, als „Wach“ auf dem Programm stand. Ja, das Ende bildete „Coda“ als Zugabe. Eine bessere Wahl konnte das Trio wohl nicht treffen.
© fotos und text ferdinand dupuis-panther 2022
Infos
Mark Pringle, Piano
https://www.markpringlemusic.com
Felix Henkelhausen, Kontrabass
https://www.felix.henkelhausen.net
Philip Dornbusch, Drums
https://philipdornbusch.com/
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