Julius van Rhee – Sparda Jazz Lounge

Kunsthalle Recklinghausen, 17.2.2023






Der Saxofonist Julius van Rhee, der in Essen und Köln studierte, legte im April 2022 das erste Album seiner Band namens „Engine of Growth“ vor und war nun in der Kunsthalle Recklinghausen zu Gast. Der Saxofonist war Mitglied im Bundesjazzorchester und im Gutenberg Jazz Collective. Zudem  spielte er Konzerte mit Musikern wie Ben Wendel, Norma Winstone und Sullivan Fortner. Ausgezeichnet wurde er mit dem Jungen Deutschen Jazzpreis (2019), mit einem Stipendiat der Werner Richard - Dr. Carl Dörken Stiftung (2021) und dem Sparda Jazz Award (2022).

Im O-Ton von van Rhee heißt es: „Das besondere an meiner Musik ist das Zusammenführen des Komplexen und des Einfachen. Ich schreibe Musik, die oft vielschichtige und nicht leicht zu greifende Elemente mit sehr offensichtlichen und einfachen musikalischen Ideen in Berührung bringt. Mich beschäftigen beim Schreiben persönliche oder emotionale Themen, die ich versuche, den Hörer*innen auf verschiedenen Ebenen zu vermitteln. Dabei ist mir wichtig, dass die Musik nicht zu schwer zu verstehen ist, aber trotzdem überraschend bleibt und für Momente sorgt, in denen Fragen unbeantwortet bleiben. Mir ist der Rhythmus in meiner Musik sehr wichtig und ich möchte Musik schreiben, zu der Menschen tanzen können und die sie zum nachdenken anregt.“

 


Im Vorwege des Konzerts war im Übrigen Folgendes zu lesen: „Das „Julius van Rhee Quintett“ bringt fünf junge, eigenwillige Musiker in einem spannenden Modern Creative Jazz Projekt zusammen. Gemeinsam verbinden sie die Gegensätze von Einfachheit und Komplexität. Starke gesangliche Melodien verschmelzen mit vielschichtigen Rhythmen und dichten Harmonien. Dabei ist die Musik zugänglich, aber trotzdem herausfordernd. Mut und Risikobereitschaft treffen auf musikalische Weitsicht, und durch empathisches Zusammenspiel und verletzliche Momente wird die Musik greifbar und berührend.“ Zum Ensemble des Saxofonisten sollten an dem Jazzabend in Recklinghausen der Gitarrist Lukas Wilmsmeyer, der Pianist Yannis Anft, der Bassist Calvin Lennig und der Drummer Felix Ambach gehören.

Doch Ankündigungen unterliegen augenscheinlich einer Halbwertzeit, wie man an diesem Abend feststellen musste. Aus dem Sextett um den Saxofonisten, wie auf der oben genannten Einspielung zu hören, wurde zunächst ein Quintett und schließlich ein Trio. Corona forderte einen Tribut, sodass drei Bandmitglieder nicht in der Lage waren, in Recklinghausen aufzuspielen. Das betraf den Gitarristen, den Pianisten und den Bassisten. Statt des angekündigten Felix Ambach saß wie auch bei der CD-Einspielung Karl Friedrich Degenhardt an Basstrommel, Snare, Toms und Blechen. Für den etatmäßigen Bassisten sprang Caris Hermes ein.

So lautete das Motto des Abends: Aus sechs mach fünf, mach drei. Dass Julius van Rhee dennoch auftreten und sein eigentliches Programm spielen wollte, war gewagt, fehlten doch wichtige Klangfärbungen. Nein, das Trio war nicht farblos im Klang, aber der Klangfächer spannte sich nicht weit auf. Wäre es da nicht besser gewesen, ein Programm mit Standards zu realisieren? Das zumindest hatte der künstlerische Leiter der Konzertreihe, der Recklinghäuser Gitarrist Ingo Marmulla, vorgeschlagen, allerdings vergebens.


So erlebte man denn einen Abend mit den Kompositionen aus der vorliegenden CD. Noch eine Änderung gab es allerdings zu konstatieren: Statt Altsaxofon zu spielen – das hatte Ingo Marmulla unter den veränderten Bedingungen vorgeschlagen – bestand Julius van Rheen auf dem Tenorsaxofon, dessen Tönungen längst nicht so samt daherkommen wie ein Altsaxofon, das der menschlichen Stimme sehr ähnlich ist. Wie man ein solches Instrument weich und nicht draufgängerisch spielen kann, dass hat in der Vergangenheit Paul Desmond nachhaltig unter Beweis gestellt. Nun gut …

Wenn der Berichterstatter es richtig verstanden hatte, dann begann das Trio mit „Don’t take the A Train“. Das war wohl als Anspielung auf Billy Strayhorns „Take the A Train“ zu verstehen, bekannt durch die Einspielung des Duke Ellington Orchestra. Mit fast samtenen Färbungen machte das Trio den Abend auf. Distinktes und dezentes Bassspiel war zu hören. Zurückgenommen agierte der Drummer, der sich eben nicht als Taktgeber aufdrängte. „Modulare“ Klangwellen erfüllten den sehr „halligen Raum“, der durch die sehr zahlreich Gekommenen in der „Halligkeit“ etwas gedämpft wurde. Bilder von am Strand auslaufenden Meereswellen drängten sich beim Zuhören auf. Zu erleben war obendrein ein sich „wiegender Bass“ und auch eine punktuelle Melancholie. Folgte man den Saxofonsequenzen, so musste man entweder an ausgelassene Strandurlauber denken oder aber an einen Schaufensterbummel wie ihn August Macke in einer seiner Arbeiten festgehalten hat. Der Drummer agierte im Fortgang des Stücks mit intensivem Blechgeraschel und mit Tickticktick auf dem gedämpften Snare. Im kommenden Basssolo entwickelte Caris Hermins ihre melodischen Linien aus der Tiefe, schuf gleichsam stufige Tonsilben-Setzungen ohne viel Nachhall. Auch hohe Plingplongs waren wahrzunehmen. Der Saxofonist Julius van Rhee agierte im Fortgang so, als würde er das urbane Gewusel in Töne packen, als würde er einen Klangbogen über die Dichte des Urbanen spannen.

 


Im zweiten Stück des Abends wurden die Zuhörer wie zuvor mit einer Klangmelange im Nachgang von Bop konfrontiert. Wurden da nicht auch Passagen aus „A Night in Tunisia“ zitiert, sprich waren da nicht Parker und Gillespie gleichsam im Geiste anwesend? Die Ballade, die, so van Rhee, einer langjährigen Freundin gewidmet ist, war außerdem Teil des musikalischen Programms. Episch breit war das Stück angelegt und ließ an Klassiker des Jazz aus den späten 1950er und frühen 1960er Jahren denken. Mäandrierende Linien konnte man heraushören. Zugleich fühlte man sich in eine Bar entführt, erfüllt von schummrigem Licht und Zigarettenqualm sowie Gewisper und Getratsche.  Vielleicht wurde so mancher der Anwesenden mit der Musik an die eine oder andere Szene aus dem Film „Die fabelhaften Baker Boys“ erinnert? Das Spiel des Saxofonisten glich streckenweise der Begleitmusik für eine Sportgymnastin, die Übungen mit dem Band zeigt, das in Schleifen geschwungen wird. Gewiss war auch das Basssolo ein Hinhörer, dabei den Phrasierungen des Saxofonisten folgend.

Auch einen Standard namens „Out of Nowhere“ hatte das Trio mitgebracht. Im Duktus unterschied sich dieser Standard fast gar nicht von dem, den van Rhee in seinen eigenen Kompositionen pflegt. Doch in diesem Konzertteil bemerkte man durchaus das Swingen der Musik, insbesondere dank der Bassistin und des Drummers. Im Spiel des Saxofonisten wurde ein Auf und Ab umgesetzt, vor allem aber eine fast zügellose Dynamik. Faszinierend war es, wie sich der Saxofonist und der Drummer jonglierend die musikalischen Klangbälle zuwarfen, um ein Bild zu zitieren. Mit „Engine of Growth“ wurde das erste Set beschlossen. In der Einführung des Stücks erlebten wir den Drummer gleichsam als Motor im Klanggetriebe. Rotationen waren im weiteren Verlauf auszumachen. Überaus präsent wie auch in anderen Stücken war der Tenorsaxofonist, der ohne Frage das Klanggebilde des Trios dominierte. Dabei konnte man auch den Eindruck gewinnen, dass nicht nur dieses Stück eher notiert und weniger offen strukturiert war.

 


Julius van Rhee konstatierte im zweiten Konzertteil bei der Vorstellung der CD, dass ein Sextett natürlich harmonisch farbenfroher als ein Trio ist. Ja, dem war beizupflichten. Es fehlten die Nuancierungen zwischen Lachsfarben und Lindgrün, zwischen Petrol und Altrosa. Eher die Grundfarben bediente das Trio. Das galt auch für „Der Tag danach“ – so jedenfalls war die Ansage zu verstehen. Nicht van Rhee, sondern Karl Friedrich Degenhardt eröffnete mit seinem akzentuierten Getrommel das Stück. Die Bassistin schwieg über weite Strecken. „Euphorisiert“ klang das, was der Saxofonist zum Besten gab. Wurden da die ersten Sonnenstrahlen in Klangbilder umgesetzt? Wurde da nicht der neue Tag besungen? Im Verlauf des Stücks ergriff Caris Hermes den Bogen und ließ ihren Tieftöner klingen. Auffällig war auch das wilde Getrommel und Blechschwirren. Wie das sonore Gebläse eines Türmers klang hier und da das, was der Saxofonist uns hören ließ. Das Drama von „Schlaflosen Nächten“ brachte uns das Trio nachfolgend näher. Und keine Frage auch eine kurze Zugabe gab das Trio, als Dankeschön an die intensiven Beifall spendenden Anwesenden.

© Fotos u. Text Ferdinand Dupuis-Panther




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Zusatz

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31.03.2023
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