JazzToday - THE NU BAND, Black Box Münster

Münster 2.2.2023






Das Konzert fand als eine Art Hommage an den langjährigen, leider vor zwei Jahren verstorbenen Saxofonisten der Band Mark Whitecage statt. Statt dieses Bandmitglied durch einen Saxofonisten zu ersetzen, haben sich die verbliebenen Bandmitglieder entschieden, einen Gitarristen, nämlich Kenny Wessel, in die Band aufzunehmen. Zudem hörten die recht zahlreichen Anwesenden Thomas Heberer an der Trompete, Joe Fonda am Kontrabass sowie an der Querflöte und schließlich Lou Grassi am Schlagzeug. Das in New York City gegründete 4tet hat seit 1999  zehn Tonträger veröffentlicht. Außerdem wurden neun Europatourneen und mehrere US-Tourneen absolviert. Momentan sind die vier Musiker in Europa unterwegs, traten in Nürnberg und Bayreuth, Darmstadt und Köln auf  und werden nach dem Konzert in Münster nach Heist-op-den Berg in Belgien reisen, um im dortigen legendären Hnita Jazz Club aufzutreten.


Keine Frage, Joe Fonda verlor zu Beginn des Abends einige Worte über den langjährigen Begleiter der Band, Mark Whitecage, der sich mit Herz und Seele in die NU Band einbrachte, so Joe Fondas bewegte Worte. Ihm ist nun die Tour der Band und auch die Einspielung „In Memory of Mark Whitecage“ gewidmet. Wie oben bereits angerissen, stehen nach Münster noch einige weitere Konzerte an, ehe dann Lou Grassi und Joe Fonda nach Münster zurückkehren. Hier werden sie auf Erhard Hirt und Pacho Dávila treffen und die Tradition der New York Connection fortsetzen. All dass findet wieder in der Black Box statt – siehe unter Info.


Das erste Stück des Abends entstammt der Feder des Schlagzeugers Lou Grassi, der darüber nicht viele Worte machen wollte. So ging es gleich zur Sache, vernahm man einen galoppierenden Rhythmus, den der Schlagzeuger verantwortete. Nachfolgend begaben sich der Gitarrist und der Trompeter in ein intensives Zwiegespräch, jeder in seiner Lage und in seinem Duktus. Ein stoisch anmutendes Dumdumdum entsprang dem Saitenspiel auf dem Bass. Feine Linien skizzierte der Gitarrist und füllte mit dem weichen Klang der Gitarre den Raum. Man musste beim Zuhören an feinstes Gewebe des Klangs denken, das gleichsam mit Schuss- und Kettfäden geschaffen wurde. Dabei verbanden sich Klangfäden zu Bündeln. Transparentes und auch jaulende und wimmernde Saitenschwingungen vereinten sich außerdem. Der Trompeter zeichnete schwungvolle Schlieren. Wahrzunehmen war ein Auf und ein Ab. Wellenförmig entwickelte sich die Musik, teilweise wie Meereswellen am Gestade auslaufend.  Zwischenzeitlich meinte man gar, die NU Band vereinte sich in einem Lamento für Mark Whitecage. Doch das war nur eine Momentaufnahme und nicht durchgehend so. Vielmehr hörte man ein Rauschen, Röcheln, Röhren, Gurgeln, wenn Thomas Heberer sein Horn an die Lippen setzte. Sprach er nicht auch Wortfetzen in seine Trompete ähnlich dem Ansatz von Albert Mangelsdorff an der Posaune?


Der „pastellgefärbte Klang“ der Gitarre war gleichsam ein dünner seidener Überwurf, der die anderen Klangmomente überdeckte. Das galt auch für das Gutturale, das der Trompeter zum Besten gab. Ähnliches galt für die hochtönigen Passagen des Tieftöners in den Händen von Joe Fonda. Kristallines und Prismatisches, sprich Facettenreiches von Seiten des Gitarristen, verband sich mit den Redundanzen, die Thomas Heberer in die musikalische Inszenierung einbrachte.  Saiten schnarrten mal kurz, und Joe Fonda entfuhr ein inbrünstiges „Yeah“. Ab und an schnellten Saiten obendrein  auf den Hals des Kontrabasses. Zudem vermeinte man, eine Art steten Techno-Rhythmus wahrzunehmen. Harte Fingerschläge brachten den Bass zum Schwirren, derweil Lou Grassi mit Sticks die beiden großen Bleche dank leichter Bewegung aus den Handgelenken bearbeitete.


Dass Gitarrenspiel von Kenny Wessel kam nicht gänzlich ohne elektronische Effekte aus, kein Wunder, da der Gitarrist zu seinen Füßen eine „Ausreihung aus Zauberkästlein“ aufgebaut hatte. Da gab es nicht nur ein Fußpedal, das seinen Dienst tat. Gelegentlich überkam den Zuhörer die Vorstellung, Fleetwood Mac sei im Geiste in der „Schwarzen Kiste“ gegenwärtig. Rockballadenhaftes gab es durchaus zu entziffern. Hinzukamen beinahe zirzensische Einlagen des „akrobatischen Trompeters“ Thomas Heberer, der nicht nur kniend vor dem Bassisten und Gitarristen spielte, sondern sich am Ende auch auf den Rücken legte und sein Horn vibrieren ließ. Das war dann auch der Schlusspunkt des Stücks.

Kenny Wessel entführte das Publikum nachfolgend mit „Sunset“, jenseits von romantisierenden Klängen. Eigentlich, so jedenfalls war der Gitarrist wohl zu verstehen, gibt es zu dem Stück noch einen Nachtrag, bei dem es nicht um einen vermeindlichen Sonnensturm, sondern um einen richtigen Sturm geht. Doch Kenny Wessel ließ offen, ob er den Sturm aufziehen lassen wollte. Der Melodiefluss jedenfalls war fließend, ganz im Sinne von Panta rhei. Neben Etüdenanmutungen hier und da, gab es ein dichtes Klangmaschengewebe. Dunkeltöniges tauchte gelegentlich auf. Brauten sich da Wolken auf, die den Sonnenuntergang zu stören drohten? Tanzende Sticks bewegten sich zwischen Toms und Snares. Heraufbeschworen wurde durch die Musiker eine abendliche Stimmung jenseits von Alltagsstress. Flaneure schienen unterwegs zu sein und den Abend zu genießen. Klanggewaltig vereinten sich der Trompeter und der Gitarrist, um danach feinste Klangziselierungen hören zu lassen. War da nicht auch von der urbanen Kakophonie die Rede, dank an Thomas Heberer?


Folgte man Kenny Wessel in seinem virtuosen Saitenspiel, dann schient man neben Fleetwood Mac zudem an Jimmi Hendrix erinnert zu werden und an „Purple Rain“, aber reloaded. Doch so keck und rotzig wie Hendrix behandelte der Gitarrist seine „Klein-Gitarre“ nicht. Auch gab es kein Saitenzupfen mit der Zunge und andere theatralische Spielchen. Hingegen schien R&B  streckenweise mit im Spiel, als der „Sonnenuntergang“ im Fokus stand.

Zeitweilig schwieg der Trompeter und überließ seinen Mitmusikern das Feld und den Raum der Entfaltung. Er ließ diese das Glitzern der abendlichen Großstadt inszenieren. Und am Ende hörte man noch zirpende und schwirrende sowie brummende Insekten. Das waren wohl nicht allein die Motten, die vom Licht der Großstadt angezogen werden.


Im Nachgang war es dann an Joe Fonda eine seiner Kompositionen einzubringen. „Read this“ lautet der Titel des Stücks, das die Nu Band  mit einer Frischzellenkur in der Black Box zum Besten gab. Eingespielt hatte der New Yorker Bassist dieses Stück sowohl in einem Duo wie in einem Trio – siehe unter Info. Nunmehr war es an dem Quartett nach zwölf Konzerten der aktuellen Tour etwas Frisches aus dem Stück zu machen, wie Joe Fonda verkündete und zudem den Zuhörern dabei viel Spaß wünschte. Also galt es, für eine Premiere die Ohren zu spitzen. Groovy traf für Momente auf Funky. Beides wurde im weiteren verwischt. Expressionistische Bildinhalte drängte sich auf,  darunter Landschaften im flirrenden Licht. Bildpunkte an Bildpunkte setzte der Gitarrist mit seinem Saitenspiel. Warme Färbungen konnten die Anwesenden erahnen. Föhn des Klangs verbreitete sich. Irgendwie waren Ja- und Neinsager unterwegs, gab es wohl eine Art Kontroverse zwischen Trompeter und Gitarristen. Für einen Augenblick konnte man auch an die Musik von Osibisa und Fela Kuti denken, oder?


Denkt man bei Ensemblemusik auch an Umlaufbahnen, auf denen sich die einzelnen Musiker bewegen, so war offensichtlich, dass Thomas Heberer und Kenny Wessel nicht auf der gleichen Bahn im Universum unterwegs waren. Turbulenzen entwickelten sich nachfolgend. Eruptives schuf sich Raum. Windgesäusel ließ der Gitarrist entstehen. Mittendrin bewegte sich der Bass, in sich ruhend. Klangwellen mit unterschiedlichen Amplituden verbreiteten sich im Raum. Und dann glaubte man, es gäbe ein Ende, aber falsch gedacht, es war so etwas wie ein false ending. Der begonnene Beifall verstummte. Ein Trompetenausklang gab es dann zum Finale.

Alle vier Musiker verbindet der Wohnort, die Westseite von Manhattan. „Westside Mesh“ – so lautete wohl der Titel des Stücks, wenn der Berichterstatter es richtig verstanden hatte. Klangvibrationen vermischten sich mit tropfenden Gitarrenpassagen. Behäbiger Bassgang stand kurz im Zentrum der Aufmerksamkeit. Röhrend entäußerte sich der Trompeter, der sich fast wie der Imitator von Brunftgebrüll eines Hirschs anhörte. Entschleunigung suggerierte das Saitenzupfen des Bassisten. Doch dies wurde überlagert und abgelöst durch Tosen und durch klangliche Aufschreie. Das Leben in der Großstadt hat halt viele Facetten.


Nach einer kurzen Pause wurde das Konzert fortgesetzt. Bei „In the White Cage“ – man denke dabei bitte nicht an „In the White Room“  – griff der Bassist zur Querflöte und fügte eine neue Klangfärbung dem Ensembleklangbild hinzu. Leiser Flötenhauch traf auf einen gedämpften Klangschwall der Trompete. Verhalten und ein wenig mit Melancholie durchsetzt war das, was an unsere Ohren drang. Seitlich angetippte Bleche kamen ins Schwingen. Weiche Gitarrenkonturen wurden gezeichnet. In „Obertöne“ verfing sich das Spiel des Trompeters. Dabei wurden von einer Basis aus Tonsilben verkettet und zu klanglichen Parallelen entwickelt. Transparent klang, was Joe Fonda seiner Flöte entlockte, ehe es zu einem Trio mit dem Schlagzeuger und dem Gitarristen kam.  Hörte man nicht auch zirpende und tschilpende Vögel? Thomas Heberer hatte sich derweil zurückgezogen und näherte sich dann aus der Tiefe des Raums dem Trio, fügte sich ein und stand dann mitten unter den Dreien.


Nicht nur an Mark Whitecage wurde an diesem Konzertabend gedacht, sondern auch an Ornette Coleman, mit dem Kenny Wessel 12 Jahre lang zusammengespielt hatte. Schließlich rückte auch der unerwartete Tod des Kölner Trompeter Udo Moll in den Mittelpunkt des Konzerts, wurde auch ihm gleichsam ein „Requiem“ gewidmet.


Zum Schluss der abschließende Hinweis: Das Konzert war u.a. der Förderung durch das Kulturamt der Stadt Münster zu verdanken. Ähnliches gilt für weitere Programmpunkte der Black Box Münster, einem Zentrum für Jazz und frei-improvisierte Musik der Gegenwart.

© fotos und text ferdinand dupuis-panther 2023




Black Box Münster

Aufnahmen des Gitarristen Kenny Wessel zum Hören

Aufnahme von Joe Fonda „In a White Cage“





Letzte Aufnahme gemeinsam mit Mark Whitecage


In case you LIKE us, please click here:




Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet




our partners:

Clemens Communications


 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst