JazzToday: KUHN FU

Black Box Münster 18.2.2024





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Multikulti ist die Band, deren Namen martialisch anmutet. Jeder denkt beim Lesen eigentlich an Kung Fu, an einen Begriff, der auf verschiedene chinesische Kampfkunsttechniken angewendet wird. Zumeist bringt man diese Kampfkunst mit Shaolin-Mönchen in Verbindung. Sucht man nach dem Begriff Kung Fu, dann findet man unter anderem die nachstehende Beschreibung: „In der chinesischen Sprache bezeichnete der Begriff ursprünglich den Grad einer durch harte Arbeit erworbenen Kunstfertigkeit und die dafür aufgebrachte Zeit und Anstrengung.“


Und wie sieht es der Bandleader?

  
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Der Gitarrist und Bandleader Christian Kühn verriet mir in einem Gespräch vor dem Konzert, dass er eigentlich einen konventionellen Namen wie Christian Kühn Quartett nicht wollte. Im Nachhinein frage er sich auch, warum er eigentlich die Punkte über den U in Kühn weggenommen habe. Doch in den Niederlanden, wo er studiert habe, könne man das Ü schlecht aussprechen. Ausgangspunkt für die Namensfindung war ein Post mit dem Namen King Kuhn (King Kong lässt grüßen!). Dazu gab es dann eine Reihe von Vorschlägen zur Namensgebung, darunter eben auch Kuhn Fu. Es war, so Christian Kühn, die Zeit, als im Kino der Animations-Action-Film „Kung Fu Panda“ lief, was er aber zum Zeitpunkt der Namensgebung nicht gewusst habe. Nachfolgend habe er dann auch die Assoziation mit KUNG FU realisiert und nachgeschaut, was sich in dem Begriff verbirgt, nämlich u. a. große Fingerfertigkeit. Zudem stehe FU auch für „Fuck you“. Im Grunde sei der Bandname auch eine Art Wortspiel.


Die Band war eigentlich ein Quartett

  
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Die Band hat ihren Kern in einem Quartett, ist aber auch als Septett und Nonett unterwegs. Der Gitarrist und Bandleader von KUHN FU wollte aber immer für ein Großensemble komponieren. Mit dem Quartett könne man jedoch gut touren. Zudem, so Kühn, komme er ja aus dem Rock-Kontext und dort gab und gibt es ja Quartetts als Standardformation. Die Kompositionen der ersten beiden Alben wurden eigentlich für „orchestrale Besetzung“ geschrieben und dann im Arrangement für kleinere Besetzung heruntergebrochen. Da es aus Sicht von Christian Kühn nur eine Frage des Arrangements ist, kann man die gleiche Grundidee der Musik mal für kleine und mal für große Zusammenhänge arrangieren. Im Grunde hat man im Prinzip drei oder vier Stimmen, und die gilt es dann zu harmonisieren, so Kühn. Es ginge ihm dabei um die Charaktere der Solisten und die Farben der Komposition. In diesem Sinne sei Duke Ellington für ihn ein Vorbild. Ansonsten gilt: „Wer zahlen kann, bekommt mehr Musiker!“


Ich wollte nie eine deutsche Band

  
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Kühn, so erwähnt er, habe in Groningen studiert. Von den 11 Mitstudenten hatten alle unterschiedliche Nationalitäten. Und Berlin ist ja eh ein Schmelztiegel von Musikern aus aller Herren Länder. Esat Ekincioglu ist vor allem für seine „türkischen Bass-Solos“ bekannt, so Kühn, und auch Ziv Taubenfeld bringt seinen kulturellen Hintergrund ein, nun nicht unbedingt  in direktem Bezug auf Klezmer, aber schon in einer Spielweise, die man bei anderen Bassklarinettisten nicht finde. Man solle jedoch nicht allzu viel in die Bandzusammensetzung hineindeuten. Dass es allerdings neben dem Kontrabass, der in der Geschichte von dem Fischer und seiner Frau (2.Konzertteil!)  ganz wesentlicher Bestandteil ist, auch einen E-Bass gebe, liege daran, so Kühn, dass einige Basslinien, die er geschrieben habe, mit dem E-Bass besser klingen. Folglich hörten wir in der Black Box Esat Ekincioglu im ersten Konzertteil am E-Bass und im zweiten Set am Kontrabass. Die Idee zum E-Bass, so ergänzte Kühn, kam, als die Erweiterung des Quartetts um den Bläsersatz realisiert wurde.


Ideen für Kompositionen

   
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Kühn erläuterte, dass er viel klassische Musik, auch Neue Musik gehört habe. Er liebe insbesondere die russischen Komponisten wie Tschaikowsky, Strawinsky und Schostakowitsch. „Duke Ellington war eigentlich der Grund, warum ich Jazz studiert habe. Ich kam aus der Rockmusik und Duke Ellington war Wow. Das war kein akademisches Jazz-Gitarren-Trio.“ Ohne Frage, so konnte man aus dem weiteren Gespräch folgern, ist auch Rockmusik von den Beatles bis zu Metall eine wichtige Ideenquelle.


Jazz Funk Psychedelia oder was?

  
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In der Vorankündigung fand sich  der Oberbegriff „Jazz Punk Psychedelia“ für die Musik von KUHN FU. Was auch immer das sein mag.  Dreh- und Angelpunkt der Band ist der Gitarrist Christian Achim Kühn, der sich einen gewissen Eklektizismus zu eigen gemacht hat. Bei ihm treffen sich Frank Zappa, Heavy Metal und Hard Rock. Ein gerütteltes Maß an „provokantem und anarchistischem Vortrag“ spielt auch eine Rolle. Alles wird durch den musikalischen Fleischwolf gedreht und dann präsentiert. Von Seiten des Berichterstatters ist die Band KUHN FU in die Nähe der belgischen Großformation Flat Earth Society zu rücken, oder?


Die Musiker von KUHN FU

  
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Neben Christian Kühn sind nachstehend Genannte Teil des Ensembles: der türkische Bassspieler Esat Ekincioglu, der in Karmiel (Israel) geborene Bassklarinettist Ziv Taubenfeld, die aus Buenos Aires gebürtige Baritonsaxofonistin Sofia Salvo, der Liebhaber von Fish & Chips und indischer Musik George Hadow, der Snare, Hi-Hat und Toms zum Schwirren und Flirren bringt.

    
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In der „Großformation“ kommen zu dem Kernsextett noch Kelly O’Donohue (trumpet), Edith Steyer (alto saxophone, clarinet), Jason Liebert (trombone, sousaphone), Frank Gratkowski (clarinet, alto saxophone, bass clarinet, flute, alto flute), Tobias Delius (tenor sax, clarinet) hinzu. Doch außer Frank Gratowski waren alle anderen oben Genannten in der Black Box nicht zugegen.


Waffelhaus und mehr

Gebläse voran – so hieß es zu Beginn des Konzerts, als der Track „Waffle House“ auf dem Programm stand. Da mischten sich Getragenes und leicht Melancholisches, verfolgte man die Stimmen von Klarinette und Bassklarinette. Die Hörer wurden dabei sensibel mitgenommen, auch bei dem folgenden Bruch, den veränderten Klangtemperaturen, der Tempoverschärfung, bei den harten Basslinien, den aufgeregt und unbändig erscheinenden Bläsern. Aus einem lodernden Feuerchen entwickelte sich ein Flächenbrand, ein Flächenbrand des Klangs. Hard Rock und Metall füllten den Raum, dank an den Gitarristen und Bandleader von KUHN FU. Grobe Wellenschläge des Klangs fluteten die Black Box. Gischtkronen setzte gleichsam der Altsaxofonist Frank Gratkowski. Der E-Bass vollführte bildlich gesprochen eine Berg- und Talfahrt auf aufgepeitschten Wogen. Hochtöniges wurde mit Tieftönigkeit konfrontiert. Schnurrend äußerte sich der Bassklarinettist. „Gestufte Klangmuster“ drangen an unsere Ohren. In diese fiel der Gitarrist auf seiner E-Gitarre im Weiteren ein.

  
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Geschwirr, Gewirre, Flirren, Schwirren, Schwärmen, Flattern – all das war auch auszumachen. Zappaesque mutete an, was wir vernahmen, obgleich neben dem Eruptiven und Explosiven auch eine mit feinem Gespür gesetzte Zweisamkeit zwischen Gitarre und E-Bass vorhanden war. Wie aufsteigender Rauchschwaden im Wind zeigten sich bildhaft die Klänge, auch im Duo von Altsaxofon und Bassklarinette. Wer nun erwartete, die Baritonsaxofonistin würde die tiefen Lagen ihres Holzbläsers ausbreiten, der hatte sich getäuscht. Voll war der Klang schon, aber weitgehend in den Lagen des Tenors. Eher selten war das Instrument in einem tiefen Gurgeln, Gurren und Röhren zu erleben. Wie auch die anderen Musiker zeigte sich die Baritonsaxofonistin im weiteren Verlauf entfesselt und als Antipode des sanft-säuselnden Bassklarinettisten.

Wenn der Berichterstatter es richtig verstand hatte, folgte dann „Low&Slow“. Die Bläser vereinten sich in Liedhaftem. Gab es da nicht auch ganz entfernt Klezmer-Anspielungen zu hören? Die Gitarre klang wie eine Gitarre. Christian Kühn verzichtete über weiter Strecken auf das „Effekt-Zauberkästlein“. Hier und da schien so der reine Gitarrenklang im Fokus zu stehen, wie auch bei der bekannten Instrumentalband The Ventures. Surf-Sound und John Zorn standen also nicht Pate. Mehr und mehr schälte sich in dem Stück der Klarinettist als Vorsänger heraus. Von Slow im Sinne von langsam war überhaupt nichts zu spüren. Voller Dynamik war das Stück. Da gab es keinen Stillstand und auch keine „Langsamkeit des Langstreckenläufers“. Aufgebürstet, ausgelassen, ungestüm  – das sind Adjektive, die man der Musik zuschreiben konnte.


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Mit „Kick“ bekam der „Fußballgott“ Lothar Herbert Matthäus seine „Hymne“. Ein wenig Blasmusik einer Dorfkapelle, ein verwischtes Humpda-Humpda-Humpdada, ein bisschen Marching Band und Karnevalsmusik – das vereinte sich, auch beim Zusammenspiel von Baritonsaxofon und Bassklarinette. Der Drummer agierte an seinem Drumskit, als würde er Kesselpauken bespielen. In Klangtiefen entführte uns die Baritonsaxofonistin. Wo aber blieb der „Kick“, der ultimative Schuss? Klang-Galoppaden entfalteten sich im Tutti. Harte Gitarrenriffs brachten Zäsuren. Doch augenscheinlich hatte Lothar Matthäus nicht das Sagen, oder?

Nein, nicht die Verschlüsselungsmaschine des Nazis namens Enigma war mit dem Track „Enigma“ gemeint, sondern es ging um die sogenannte enigmatische Leiter, wie Christian Kühn anmerkte. Eigentlich ginge es den ganzen Abend über um Künstliche Intelligenz, was wohl niemand im Raum bemerkt habe, fügte Kühn ironisierend an. Angekündigt wurden zudem romantische Flötenweisen in E-Dur, aber das schien auch eher humorig gemeint zu sein. Weichzeichnungen standen im Vordergrund, fußend auf den Bläsern des Ensembles. Loopartiges und Klangrausch waren Teil der Inszenierung. Selten gab es kristalline Klangeinschübe. Und dann, ja dann entwickelte sich eine Art Wehklagen. Sonores nahm sich den Raum. Klangströme ergossen sich zunehmend und mit Wucht und ein distinktes 1,2,3,4,5 erhielt bisweilen die Oberhand.

„In the Year 2025, 2025“ schien an diesem Abend mit überbordenden Klangeskapaden auch präsent zu sein. Doch diese Impression verging rasch, wurde von anderen abgelöst. Kaskaden von Klangeindrücken gingen auf die Zuhörer nieder. Es blieb kaum Zeit des Nachsinnens. Es ging immer weiter und weiter. Klangrausch eroberte die Black Box. Oszilliernde Klangmomente nahmen die Zuhörer ein. Lediglich bei einem Flöten-Interlude gab es ein wenig Kontemplation. Und auch bei „Simple&Charming“ wurden Klangwirbelstürme wahr. Pogo, Klamauk, Punk, Vaudeville, Bänkellied, Couplet oder Moritat – oder was? Das fragte man sich als Konzertbesucher nicht alleim im ersten Teil des Abends.


Der Fischer und seine Frau

Im zweiten Teil des Konzerts standen dann Teile der Doppel-CD KUHN FU7 auf dem Programm. Da verwandelte sich das von den Gebrüdern Grimm tradierte Märchen vom Fischer und seiner Frau in das Märchen von Ilsebill, Marcel de Champignon und dem Fisch Bruno, ging es um Wünsche, auch nach einem blauen Porsche Carrera und so zu sein wie Lodda Matthäus bzw. Gott. Als kreativer Erzähler trat dabei der Gitarrist Christian Kuhn in Erscheinung, der das Märchen kurzerhand nach Münster und an die Aa transferierte.

    
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Da reihten sich Stücke wie „Ilsebill.com & Marcel de Champignon“ an „Bruno the Architect“. Es gab „Mantje Mantje“ zu hören, Teil der im Grimmschen Märchen vorkommenden Zeile „Mantje, Mantje, Timpe Te, Butje, Butje in der See. Meine Frau, die Ilsebill, will nicht so, wie ich wohl will.“. Dabei im Gesang vereint der Gitarrist und der Bassist. Und es gab auch so etwas wie die Moral von der Geschichte: Wer etwas hat, will immer mehr.

Bruno, der Fisch, erfüllte den Wunsch nach einem blauen Porsche, aber das war nicht genug, denn nun sollte das Spiegelbild von Marcel nicht nur Lodda Matthäus gleichen, sondern gar Gott.  Und eigentlich fehlte am Ende nur noch der Abgesang mit „Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“ Ach ja, das Klanginferno, das wir im ersten Konzertteil erlebten, fand seine Fortsetzung bis zum letzten Takt des Abends. Wow, was für ein furioser Konzertabend in der Black Box!!! Wer nicht dabei war, kann wenigstens den Konzertmitschnitt anschauen.

text © ferdinand dupuis-panther 2024 / fotos anne panther und ferdinand dupuis-panther




https://kuhnfumusic.com/about-the-band/

Musicians
Christian Achim Kühn ( DE ) – Gitarre, Stimme, Komposition
Ziv Taubenfeld ( ISR ) – Bassklarinette
Sofia Salvo ( ARG ) – Baritonsaxofon
Esat Ekincioglu ( TR ) – Kontrabass
George Hadow ( UK ) – Schlagzeug
als Gast Frank Gratowski ( DE ) – Altsaxofon, Klarinette, Flöte

Reviews in Jazzhalo
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/k/kuhn-fu-chain-the-snake/
https://www.jazzhalo.be/reviews/cdlpk7-reviews/k/kuhn-fu-kuhnspiracy/


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