JazzLive Warendorf: Mosaic

Dachtheater Warendorf, 14.12.2023



Auf seiner jährlichen Winterreise kam der aus Recklinghausen gebürtige und in Brooklyn lebende Vibrafonist Stefan Bauer auch nach Warendorf. Für sein neues Quartett namens „Mosaic“ konnte der Musiker den Kölner Bassisten Matthias Akeo Nowak, den schon lange in Köln beheimateten und nun in Wien lehrenden irischen Saxofonisten und Flötisten Matthew Halpin und den aus Toronto stammenden Schlagzeuger Sir Terry Clark gewinnen.

Man konnte angesichts der Zusammensetzung des Ensembles auf die klanglichen Mosaiksteine gespannt sein, die es zu hören gab, ganz getreu des Bandnamens: Mosaik. Vor allem konnte man neugierig darauf sein, ob sich Vibrafon und Saxofon als Antipoden zeigten oder miteinander harmonisch verquickt fungierten, gleichsam als eine klangliche Doppelhelix.



Zu Beginn gab es eine Vorgruppe, quasi eine Ouvertüre, etwas überraschend und nicht in der Konzertankündigung beschrieben. Das Duo Klangwelten - Carlotta Ribbe am Vibrafon und die Sängerin Anna Karina Barthel - waren mit drei Stücken zu hören. Beide erhielten 2023 den domicil Jazz-Förderpreis. Carlotta Ribbe ist Studentin bei Stefan Bauer an der Folkwang Universität Essen. Und auch Anna Karina Barthel ist Studentin an der gleichnamigen Universität.


Ein Duo ist ja eine durchaus sehr fragile und intime Konstellation im Jazz. Da werden Fehler offengelegt, da ist ein „Verstecken“ im Ensemble nicht möglich.  Und das galt auch für dieses Duo. Es eröffnete mit einem Song von Antônio Carlos Jobim. Da wurden dann schnell die Erinnerungen an Astrud Gilberto und Gilberto Gil sowie den brasilianischen Jazz lebendig. Das Duo entführte uns im Winter gleichsam in den sommerlichen Süden und zur Copacabana, oder? Weichgezeichnete Klänge erfüllten das Dachtheater. Nein metallisch-spitz und-scharfkantig, wie vielleicht bei einem Vibrafon zu erwarten, klang es nicht, was wir da hörten. Sanfter Klangfluss wurde zelebriert, und auch Scat Vocals waren zu hören. Nachfolgend stand der „Osmotische Kaffeesatz“ – so jedenfalls verstand der Berichterstatter die Titelansage – auf dem Programm, ehe dann ein Ausflug in den Soul unternommen wurde. Von Stevie Wonder stammt der Song „Who I Am“, den wir zum Abschluss hörten. Lyrisches und Lautmalerisches vereinten sich im Duo Klangwelten mit Rhythmisierungen und gelegentlichen „kristallinen Klangausfällungen“.


Nach „The next generation of Jazz“ – wenn man das junge Duo Klangwelten so nennen darf - betraten die Hauptakteure des Abends die Bühne. Im Laufe des Abends hatte man im Übrigen den Eindruck, der Geist von Blue Note umgebe uns, seien die Giganten des Jazz wie Parker, Mingus, Coltrane und andere im Geiste anwesend, gäbe es auch Straight-Ahead-Jazz der Gegenwart zu erleben. Doch dazu später mehr.


Zu hören waren Stücke, die aus der Feder der Musiker des Ensembles Mosaic stammen. Am Anfang stand Partystimmung, Rummel und Budenzauber – so zumindest die Übertragung von „Shindig“ ins Deutsche. Stefan Bauer, der dieses Stück geschrieben hat, erzählte dazu, dass in Brooklyn die Straße oder Straßenecke spontan zum Grillplatz umfunktioniert wird, wenn das Wetter danach ist. Der öffentliche Raum wird erobert und eine zünftige Party steigt, wenn Nachbarn
zusammenkommen. Und wie klingt das nun, fragte sich der eine oder andere, der das vernahm?


Es schien, als würden die Musiker Jive und Lindy Hop vortragen, als würde das Motto lauten „It must schwing“. Damit wurde bewusst oder unbewusst eine Brücke zur Blue Note Story in dem gleichnamigen Film von 2018 geschlagen, oder? Auch das nachfolgende Stück entstammt der Feder von Stefan Bauer: „Aspiration/November 13“. Fliegend glitten die Schlägel über die Klangstäbe, deren Klangfülle auch dank des eingesetzten Pedals nachhaltig ans Ohr der Anwesenden drang. Hörte man den Läufen zu, die der Vibrafonist spielte, dann konnte man das Bild vor Augen haben, Menschen würden über Treppenfluchten eilen oder Kinder würden ausgelassen über Treppenstufen hopsen. Dazu verstieg sich Matthew Halpin nie in überbordendes Spiel. Eher glich sein Saxofonspiel einem dezenten und sensiblen Summen, Surren und Schnurren. Tiketiketike – so ließ sich der Schlagzeuger vernehmen, derweil der Saxofonist gleichsam einen Nebelhorn-Gesang mit Pausen anstimmte. Besenschläge auf Snare und Becken vereinten sich mit tiefgründigem Saitengezupfe. Die Musik entwickelte sich dynamisch, nahm Fahrt auf, schien mehr und mehr die Umsetzung von Urbanität zu sein. Man meinte, obendrein Turmuhrschläge und Glockenspielanmutungen herausfiltern zu können.


Rotierend gestalteten die Musiker die Soli. Kommunikation stand im Vordergrund, also das musikalische Gespräch. Es ging nicht um das Herausstellen, sondern um Kommentierungen, Phrasierungen und Paraphrasierungen. Balladen-Anlehnungen verschmolzen hier und da mit Blues-Attitüden. Zugleich unternahmen wir eine Zeitreise in die Geschichte des Jazz, in die 1950er und 1960er Jahre, so wie dies auch im Film „Round Midnight“ der Fall ist.

Stichwort „Round Midnight“: Stefan Bauer erinnerte in einem Zwischentext daran, mit wem der Schlagzeuger Terry Clark schon gespielt hat, unter anderem auch mit Oscar Peterson und Jim Hall bei dessen legendärem Liveauftritt in Toronto. Dabei spielte das Trio um Hall unter anderen den Jazzklassiker „Round Midnight“!


Nach „Dog Day Afternoon“  (comp M. Halpin) stand dann „Piece of Cake“ auf dem Klangmenü. Keinem anderen als Stefan Bauer ist dieser Track zu verdanken, zu dem es auch eine kleine Anekdote gibt. Die erzählte der gut aufgelegte Vibrafonist uns: Als er erstmals einen kanadischen Winter erlebte, sei er von einem kratzenden und schiebenden Geräusch aufgewacht. Bob, Stefan Bauers Nachbar, dem zwei Frontzähne fehlten, was zu Lispeln führte, war auf dem Dach zu Gange, um die Schneelast hinab zu schieben. Das sei, so Bob, zwingend, wolle man nicht einen Dacheinsturz riskieren. Auf das Dankeschön für die Arbeit gab es von Bob ein lispelndes „Piece of Cake“. So einfach kommen Tracktitel zustande. In diesem Track hörten wir unter anderem ein furioses Drumming, ein schnurrendes Tenorsaxofon sowie ein Zwiegespräch zwischen Bassisten und Vibrafonisten.


Der zweite Set wurde durch eine Komposition des Bassisten eröffnet: „Clown“. Sanftes Gebläse vereinte sich mit kristallenen Konstellationen. Tiketiketike – so klangen die Beckenschwirrungen. Tschätschä war die Klangäußerungen, die der Hi-Hat abgerungen wurde. Im weiteren Verlauf meinte man, ein Zirkusorchester zu erleben, das uns in die Welt von Hanswurst und Harlekin entführte. Manege frei hieß es mit dem Ziel, die Lacher auf die Seite zu ziehen. Saxofon und Vibrafon schienen die dominierende Farben des Klangs zu mischen. Dabei schweiften die Klänge bis ins Bariton ab, stets um die Schönheit der Melodie bemüht.


Der Drummer hatte für den Konzertabend ein Stück des Gitarristen David Occhipinti mitgebracht. Es handelte sich um den Track „5th Season“. Statt Tenorsaxofon spielte Matthew Halpin Querflöte, selten im Jazz. Zart und seidig erschienen die Klangfolgen, die im Kontrast zu den eher doch durchdringend zu nennenden Klangformen standen, die Stefan Bauer auf dem Vibrafon erzeugte. Frühlingserwachen, so ein mögliches Bild, traf dabei auf ein vergehendes Meeresrauschen.

Während des Konzertabends konnten wir auch einem klanglichen Parforceritt beiwohnen und uns einem Déjà-vu hingeben, als „Zeitinseln“ erklang. Die Zeit schien stillzustehen und zugleich an uns vorbeizuziehen. Beinahe frenetisch war der Schlussbeifall des sehr zahlreich erschienenen Publikums – das Dachtheater war fast bis auf den letzten Platz besetzt. Keine Frage, es gab ein Encore, beinahe schon ein Ritual bei Jazzkonzerten.

© text und fotos ferdinand dupuis-panther


Info




https://www.annakarinabarthel.de/klangwelten-duo

https://www.stefanbauer.net

https://www.matthewhalpinmusic.com
https://www.matthewhalpinmusic.com/video

INTERVIEW MATTIAS AKEO NOWAK

https://nrwjazz.net/musiker/matthias-nbsp;akeo-nowak

https://de.wikipedia.org/wiki/Terry_Clarke


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