jazzathome 2017: Bravo Big Band, Orchestre Toubab & Laia Archestra

Jazz in historischem Gemäuer: Bravo Big Band

Mechelen 9.9.2017


Jazzzolder als Organisator des ambitionierten Festivals jazzathome bot auch in diesem Jahr eine wirklich feine Melange für Jazzliebhaber. Dazu gehörte auch die Wahl der Spielorte. Für das Samstagkonzert hatte man den Festsaal des Scheppersinstituut ausgewählt, um hier die Bravo Big Band aufspielen zu lassen. Der Festsaal ist zu Beginn des 20. Jh. im Stil der Art nouveau erbaut worden. Hortas vegetabile Formen, die bei diesem Architekten die gesamte Architektur durchzogen, fehlen im Festsaal, aber florale Formen finden sich in Gestalt der Wandfliesen. Die gusseisernen Elemente, die für das Tragen der beidseitig des Saals vorhandenen Galerien notwendig waren, zeigen Schleifenformen, aber eben nicht Hortas sogenannten Peitschenschlag.

Nahezu ausverkauft was das Konzert. Wer allerdings samtene Polstersitze erwartet hatte, musste auf harten Schülerstühlen Platz nehmen. Nun ja, es ging ja nicht um Sitzkomfort, sondern um Klangerlebnis. Um es vorwegzunehmen: Dieses gab es vom ersten bis zum letzten Takt. Der letzte Takt verklang mit der Zugabe, die die Anwesenden vehement gefordert hatten.


Großer Klangkörper aus Brüssel


Die Band, deren Zusammensetzung durchaus je nach Auftritt variiert, bestand an diesem Samstagabend in Mechelen unter anderem aus: Rob Banken (Alt Saxofoon), Dieter Vaganée (Alt Saxofoon), Bruno Van der Haegen (Tenor Saxofoon), Matthias Van den Brande (Tenor Saxofoon), Bruno Vansina (Bariton Saxofoon), Thomas Mayade (Trompet), Karel Cuelenaere (keys), Ruben Lamon (Contrabas) und Matthias De Waele (Drums), Loic Dumoulin (Trompet),  Antoine Colin (Trompet) sowie vier Posaunisten der Band.


Gespielt wurden mit einer Ausnahme  –  „The Genius“ stammt von  Klas Lindquist – eigene Kompositionen, ob sie nun aus der Feder von Thomas Mayade oder von Matthias Van den Brande stammen. Eröffnet wurde mit einem Wintertitel, „Novembre en Décembre“, obgleich wir noch am Ende des Sommers sind. Es gab „Shut up and run“ ebenso zu hören wie „The Wrong Side“. Die Band machte dann nach der Pause mit „Waves of a troubled mind (comp. M. Van den Brande) weiter, ehe „Remember to check out“ auf dem Programm stand. Mit „Extra Credit“ war eigentlich das Konzertende gegeben, aber, wie gesagt, auf ein Encore war man halt vorbereitet.


November im Dezember


Das Hohelied auf den November im Dezember klang zu Beginn – man hörte ein Duett von Tenorsaxofon und Sopransaxofon – eher nach Frühlingsgrün als nach langer Dunkelheit, klirrender Kälte, Schnee und Windchill Factor.  Es war ein Wohlgenuss, sich in einen Indian Summer zu träumen, derweil schon längst die Temperaturen nachts auf 11 Grad gefallen sind. Allerdings strahlte das Spiel im Tutti durchaus eine gewisse Frostigkeit aus, jedenfalls in einigen Momenten. Auffallend war, dass die Klangflächen des Ensembles immer wieder aufgebrochen wurden, sei es, dass die Rhythmusgruppe ihren Auftritt hatte, sei es das einer der Tenorsaxofonisten ein Solo präsentieren konnte. Der Wechsel zwischen Gesamtband und Teilformationen verschaffte der Musik eine ausnehmende Frische.

Vor seinem geistigen Auge verfolgte man, wie beim Solo im ersten Stück des Abends ein seidener Klangfaden gesponnen wurde, den die Rhythmusgruppe nachfolgend fortspann. Ein kühler Windstoß durchdrang den Festsaal. Der Winter schien an die Tür zu klopfen. Energetisch gesetzte Tastenklänge wetteiferten mit den Holzbläsern um die Aufmerksamkeit der Zuhörer.  Einschmeichelnd zeigte sich einer der Posaunisten im Solo, wortgewandt, tieftönig, aber nicht brummend, sondern eher beschwingt.


Sehr dynamisch-fordernd kam „Shut up and run“ daher. Es klang phasenweise nach „Los, los, los“. Auch der Baritonsaxofonist Bruno Vansina stimmte in diese Aufforderung ein, mal ganz abgesehen von den Trompetern. Hier und da schienen sie Hindernisse und Wegfallen auszumachen und darauf zu verweisen. Das Stück bekam mehr und mehr Fahrtwind und Schärfe, die erst durch Karel Cuelenaere an den Keys abgemildert wurde. Der Pianist fing eher das Sprunghafte, die Zwischenschritte, das verhaltene Gehen und tapsige Bewegungen mit seinem Tonträger ein. Die Langsamkeit der Bewegung forderte hingegen Bruno Vansina ein. Zick-Zack-Kurven folgte man im Weiteren. Als man als Zuhörer dachte, das Ziel sei schon erreicht, war man über den „Neuanfang“ gewiss überrascht.


Eine andere Geschichte und …


„Another Story“ hatte nichts mit Fake News gemein. Die Musik war erdig und handgemacht. Sentimental kam sie zeitweilig daher. Beim Zuhören dachte der eine oder andere an Musik, die die nordische Melancholie einfängt. Auch in diesem Stück gab es Solos einzelner Instrumentalisten, die sich der Stimmgewalt der Trompeten entzogen.

Bilder von sich auflösenden Wolken, von Abenddämmerung und rötlichem Licht konnte man sich zur Musik denken. Klangliche Farbschlieren wurden auf den Bildgrund aufgetragen, als der Staffelstab von einem der Saxofonisten an einen der Trompeter übergeben wurde. An Wellenkämme musste man denken, hörte man „The Genius“ , außerdem an brausende Winde, dank sei der Rhythmusgruppe.


Nach der Pause ging es balladenhaft weiter. Doch auch Revue und Broadway-Musik waren gegenwärtig, als „Waves of a troubled mind“ vorgetragen wurde. Nachhaltig im Gedächtnis des Berichterstatters blieb das Solo von Dieter Vaganée, der einen überspitzen, rechthaberischen Ton an den Tag legte. Das Altsaxofon heischte nach Aufmerksamkeit, war lautstark und marktschreierisch.

Mit einem gewissen Cannonball-Adderley-Charme kam schließlich „Extra Credit“ daher. Dazu trug auch Bruno Van der Haegen am Tenorsaxofon maßgeblich bei. Sehr energetisch zeigte sich Karel Cuelenaere bei seinem Solo. Klanggaloppsprünge lagen in den Händen dessen, der die weißen und schwarzen Tasten anschlug. Bei den Blechbläsern schien auch ein Funken von Funk zu sprühen. Doch auch immer wieder wurde das klassische Klangspektrum einer Big Band beigemischt. Die besondere Würze waren jedoch die Duette und Solos.



Ein Blick hinter historische Fassaden

Orchestre Toubab und Laia Orchestra, Mechelen 10.9.2017

Am Tag des offenen Denkmals hatten wieder einige Mechelner Bürger ihre Privatanwesen als Spielstätten zur Verfügung gestellt. Wie im späten 19. Jahrhundert die bürgerlichen literarischen Salons gang und gäbe waren, so scheint es zurzeit ein Wiederaufleben von Hausmusik zu geben. Am Sonntag gab es also Gelegenheit für intime Konzerte in privatem Umfeld.

Aus 24 Konzerten konnte man drei aussuchen und den jeweiligen Gigs lauschen. Eve Beuvens trat mit ihrem Trio ebenso auf wie der Kontrabassist Piet Verbist mit seinem Mammutrio und Antoine Pierre mit Urbex. Der Berichterstatter entschied sich jedoch für ihm gänzlich unbekannte Formationen.


Von Westafrika nach Brasilien und zurück: Orchestre Toubab

Unweit des Brüsseler Tores und der ehemaligen Stadtbefestigung befindet sich das ehemalige, in Back- und Sandstein errichtete Haus der Gilde der Hakenbüchsenschützen. Wie die Armbrust- und die Bogenschützen hatten sie einst die Aufgabe, die Stadt an den Wällen und Mauern zu verteidigen. Kamen sie zu gesellschaftlichen Anlässen und zum Übungsschießen zusammen, dann taten sie dies in der St. Jacobstraat. Wer die Fassade des Hauses betrachtet – es liegt in einer Sackgasse – wird seinen Augen nicht trauen, denn Kanonenkugeln wurden dort eingemauert, gleichsam als besonderes Dekor. Die Gastgeberin für das Konzert vom Orchestre Toubab, Grete Goovaerts-Smekens, erläuterte vor dem Konzert nicht nur die Geschichte des Hauses, sondern auch die Bedeutung der Kanonenkugeln. Sie sollen an die Beschießung der Stadt durch Wilhelm von Oranien erinnern.


Beim Orchestre Toubab handelt es sich um ein akustisches Quartett, das zwischen Weltmusik und Afro-Jazz changiert. Der Bandname nimmt nicht Bezug zur legendären senegalesischen Band „Orchestre Baobab“, sondern dem westafrikanischen Begriff für „weißer Mann“. Spiritus Rector der Band ist der aus Paris gebürtige Robert Falk, der nicht nur zentralafrikanische, sondern auch brasilianische Klänge in seine Musik aufgenommen hat. Zur Band gehören auch der junge, aus Rennes stammende Geiger Benoit Leseure und der E-Bassist Gilles Daems. Schließlich sei noch auf den Perkussionisten Gauthier Lisein verwiesen. Sie spielten als weiße Männer schwarze Musik, was Robert Falk bei einer seiner Ansagen lächelnd anmerkte.


Zu hören waren Songs wie „Fuuta Blues“, „Villa Sabrina“, „Diamant“, „Freegyan Love Song“ , Rupture“ und schließlich „Maggat Thiof“. Dabei unternahmen wir als Zuhörer eine musikalische Reise in den Senegal, nach Brasilien und in die Demokratische Republik Kongo sowie zurück.

Folgte man den Klangmusterungen, die Robert Falk auf seiner akustischen Gitarre zeichnete, so sah man sich inmitten der wilden Reiterspiele in Nordafrika oder bei den nächtlichen Tanzveranstaltungen in Dakar. Hier und da schienen auch „Nights in San Francisco“ eine Rolle zu spielen. Congas und Cajon ließen an Latin-Rhythmen denken, die Geige nur sehr selten an Grappelli und Swing. Geige und Gitarre teilten sich bei den Songs vielfach die jeweilige Melodieführung. Bisweilen war es ein Geben und Nehmen. Wenn die Geige die Suche nach dem Melodischen begann, verfolgten die übrigen Musiker das Rhythmische, auch die Akustikgitarre.


Die Geige scheint ja vom Charakter her eher sentimental, melancholisch und wehmütig. Doch diese Charakteristika fehlten beim Orchestre Toubab weitgehend. Farbenfroh und überaus dynamisch kam die Geige daher. Einige  Passagen klangen nach Cuba Libre und azurblauem Wasser. Selbst der E-Bass wagte das eine oder andere Saitentänzchen, derweil der Perkussionist das Hi-Hat mit den Handflächen tätschelte.


Ein Liebeslied wurde im Verlauf des Konzerts auch vorgetragen. Es schien, als würde dabei die Gitarre Kora und Kalimba imitieren und das bei sehr rhythmisch ausgerichtetem Spiel auf der spanischen Gitarre. Überaus gefühlvoll zeigte sich der Geiger im Bogenspiel auf den Saiten.

Wie es klingt, wenn auf einen typischen brasilianischen Rhythmus Jazzphrasierungen gesetzt werden, führte das Orchester der weißen Männer auch vor. Doch leider war dann nach 45 Minuten Schluss. Der eine oder andere hätte vielleicht gerne noch einen zweiten Set erlebt. Doch das sieht das Konzept von jazzathome nicht vor. Leider!



In der ehemaligen Kapelle frommer Frauen: das Laia Archestra

Das ehemalige Hotel van der Gracht de Rommerswael, das im Laufe der Geschichte auch fromme Schwestern beherbergte und in dem heute ein Restaurant sowie ein Blumengeschäft und Studentenwohnungen untergebracht sind, öffnete für jazzathome seine Pforten bzw. die klassizistisch gestaltete Kapelle, die um 1850 entstand.


Die belgisch-schwedische Formation Laia Orchestra hatte hier ihren Auftritt. Das Ensemble besteht aus Kristin Freidlitz (violine), Maria Jonsson (viola), Jenny Lierud (Barockcello), Filip Bagewitz (oud) und Victor Perdieus (Saxophones). Klassische Kompositionen, freie Improvisationen, westliche Harmonien und die Musik des Nahen Ostens bilden bei dieser Band eine herrliche Melange. Dass Musik von Schweden oder aus Schweden, die Musiker kommen aus Dalarna, Stockholm und Göteborg, nicht Nykkelharp-Musik, Polkas und Abba bedeutet, unterstrichen die Musiker auf ganz nachdrückliche Weise.


Keine New-Age-Musik

Würde man bei dieser Band mit dem Begriff New Age operieren, würde man deren Musik diskreditieren. Gewiss es war eine auf Kontemplation ausgerichtete Musik. Man mag gar von meditativer Musik sprechen, aber das impliziert eben nicht grundsätzlich New Age.

Über weite Teile hatte man den Eindruck, man werde in eine weite Landschaft mitgenommen, könne ganz in der Ferne den Horizont sehen, sei unterwegs in Lappland oder durch die Steppe Ölands. Samt-seiden kam das Saxofon zur Geltung. Niemals übertönte es die Streicher, die ja im Jazz eher sperrig daherkommen. Sie fügten sich im Ensemble sehr gut ein, insbesondere dann wenn pizzicato gespielt und mit der Oud eine gemeinsame Klangwelt erarbeitet wurde.


Die eine oder andere Komposition ließe sich sehr gut als Filmmusik zu Aufnahmen vom Nordlicht verwenden. Ähnlich wie dieses hatte die Musik auch etwas von Schwaden, Schlieren, Verwischungen, aber auch von ineinanderlaufenden Aquarellfarben.

Es wurde im Übrigen unplugged gespielt, was allerdings für die Klangdichte insoweit hinderlich war, als die Oud trotz des bauchigen Korpus eben nur eine sehr eingeschränkte Resonanz besitzt. Gegenüber dem Streicher-Dreigestirn war dies in manchen Spielabschnitten ein Nachteil. Ein Raummikrofon wäre also sehr hilfreich gewesen.


Im Gedächtnis blieb gewiss der Saxofonist, der so spielte, als hätte er Hall auf seinem Verstärker eingestellt oder würde gar Loops und Delays nutzen. Im Gegenteil, es war lediglich seinem feinen Ansatz zu verdanken, dass es so klang, als würde er Effekte einsetzen.

Text unf fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Bravo Big Band
http://vi.be/bravobigband

Orchestre Toubab
http://orchestretoubab.com/en/
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Laia Arkestra

http://www.laiaarkestra.com/


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