Jazz Today - Samuel Blaser & Marc Ducret: Voyageurs

Cuba Black Box Münster 18.11.2021



 


Ein Posaunist traf an diesem Abend auf einen Gitarristen, Akustisches auf Nicht-Akustisches. Samuel Blaser begegnete mit seiner Posaune röhrend, röchelnd, brummend, basslastig und kehlig Marc Ducret, der seine E-Gitarre nicht nur zupfte, sondern deren Saiten auch mit Fingerschlägen zum Schwirren brachte. Ab und an schlug er die Saiten auch mit den Knöcheln seiner Hand an oder schob, so der Eindruck, ein „Bottleneck“ über die Saiten und nutzte auch das sogenannte „elektronische Zauberkästlein“ zu Tonmodulationen.

An dieser Stelle sei kurz  auf die Vita der beiden abendlichen Protagonisten eingegangen: Samuel Blaser, so war im Vorwege des Konzerts zu lesen, gilt als ein Shooting-Star unter den Posaunisten. Der in der französischsprachigen Schweiz geborene und jetzt noch in Berlin beheimatete Musiker – die Rückkehr in die Schweiz steht nunmehr kurz bevor – überzeugte mit dem Duo-Konzert  durch seine Musikalität, die zwischen klassischer Tongebung und Improvisation changierte. Blasers Spiel stand dabei für Kontinuum, für klanglichen Fluss,  für Geschmeidigkeit, für Bassfreudigkeit, für wellenförmiges Linienspiel. Und all das traf auf die groben, kantigen, eckigen, spitzen, harschen Äußerungen des Gitarristen Marc Ducret. Spannungen wurden aufgebaut, vergingen, wurden erneut konstruiert. Offene Formen verbanden sich mit geschlossenen Gitterstrukturen, so ein bildhafte Zuweisung zur Musik.


Betrachtet man den künstlerischen Lebensweg des Autodidakten Marc Ducret, dann muss man seine Mitgliedschaft im Orchestre National de Jazz ebenso hervorheben wie die Zusammenarbeit mit Michel Portal und Joachim Kühn. Außerdem tritt er bis heute auch mit Tim Berne auf, macht aber auch Teil der Ensembles von Louis Sclavis und von Daniel Humair aus. Die Namen dieser Musiker haben nicht allein im europäischen Jazz einen klingenden Namen, sondern auch weltweit! Zu den Auszeichnungen von Marc Ducret gehört unter anderem der Prix Django Reinhardt, der heute außer im Namen so gar nichts mehr mit europäischer Swingmusik zu tun hat.

Zu hören waren an dem Abend in der Black Box unter anderem „Des états lumineux“ und „La vie sans toi“- Allerdings schienen die Bezeichnungen der Tracks eigentlich nebensächlich, waren doch alle Anwesenden von dem musikalischen Klangraum, den die beiden Musiker entfalteten, total fasziniert. Übrigens, die oben genannten Tracks stammen aus der Veröffentlichung „Voyageurs“.

Fürwahr wir erlebten zwei Reisende, die in klanglichen konzentrischen Kreisen, in Schnittmengen und auf verschiedenen Umlaufbahnen im Klangorbit unterwegs waren. Dabei konnte man das Zusammengehen ebenso wahrnehmen wie das Abdriften und das Lösen aus der Paarung von zwei ganz unterschiedlichen Instrumentalisten. Bei Marc Ducret verspürte man durchaus, dass er rockige Wurzeln besaß, derweil Samuel Blaser sich auch für sehr kurze Augenblicke in klassischen Gefilden aufhielt.


Beide Musiker befruchteten sich in ihren Phrasierungen, ohne dass das stets ganz offensichtlich wurde. Bisweilen gab es auch ein Nebeneinander. Jeder schien dabei bestrebt, eigene Klangwelten zu durchschreiten und am Ende klangliche Lösungen für das Duo zu finden. Dieses wurde dann schlussendlich auch wieder wie mit Steckverbindungen zu einer Einheit in Zweiheit zusammengefügt.

Statt zwei Sets erlebten die Anwesenden ein langes Set und das war gut so, denn in sich gab es ausreichend Fragmentierungen, gelegentlich auch Pausen, bei denen man denken konnte, dass das auch das Ende einer weitgehend improvisierten Präsentation ist. Die Pausen schienen aber eher im übertragenen Sinne Momente des Luftholens, des Ansetzens neuer Linien, Schummerungen und Schraffuren. Oder sollte die Musik gar im Kern strukturiert gewesen sein, betrachtete man die Notenblätter auf den Ständern vor den Musikern? Vom Blatt schien aber nicht gespielt zu werden. Eher dienten die Notierungen als Gedächtnisstütze, als eingezogene Pfähle für die Einbindung einer Form, oder?

Funkig Anmutendes traf auf dunkeltöniges Gebläse, das anschwoll und durch den Raum schwebte. Fließend war das, was Samuel Blaser vortrug. Alles schien im Fluss. Hier und da entdeckte man kleine Wildwasserzonen und Strudel. Derweil erging sich Marc Ducret eher in rhythmischen Saitenschlägen. Höhen des Klang erklomm der Posaunist, der sein Instrument auch im Volumen durch einen Dämpfer veränderte. Ein wenig metallisch-scheppernd klang dann das, was dem Blechbläser abgerungen wurde. Gleichsam wie die linearen und mäandernde Einheiten in Arbeiten der konkreten Kunst erschien das, was der Gitarrist in das gemeinsame Spiel einbrachte.


Im weiteren Verlauf meinte man, Samuel Blaser habe statt der Posaune ein Waldhorn geblasen, so voll klang das, was wir hörten. Müsste man das, was Marc Ducret spielte, auf Papier skizzieren, so würde man spitze Kurven in enger Folge zeichnen. Bassläufe traten zu diesen „Klangätzungen“ hinzu.  Kristallines und Glockenhelles breitete sich außerdem im Raum aus. Auch Flageolett konnten wir ausmachen, während dumpfes Schwirren der Posaune darüber gelegt wurde. Treibendes Saitenspiel traf nachfolgend auf Bassschraffuren und die klanglichen Überschläge der Posaune. Plong-Plong-Plong war in der Fortsetzung zu hören. Bassgründe wurden erforscht. Toktoktok hieß es im Weiteren, oder?


Brummende Atemzirkulationen präsentierte Samuel Blaser, ohne allerdings in den Singsang eines Didgeridoo zu verfallen. Hohe Frequenzen mit Dichtigkeit setzten sich durch. Klopfende Finger auf dem Posaunentrichter schienen ins Morsen zu verfallen. Wahwahwah und Wowwowwo wurden umgesetzt. Sirenengesänge und „Sinusschwingen“ vereinten sich. Gebrochen erschien die Stimmlage in einem Solo von Samuel Blaser. Nach einer kurzen Pause initiierten die beiden Musiker kurze Schrittfolgen. Parallele Linien konstruierten die Musiker nach und nach. Das Solo von Marc Ducret ließ an Fragmentierungen, an Dekonstruktivismus denken, an zerfallene und gesprengte Formen. Auch an Schichtungen von Farbbändern und lineare Strukturen, die sich überlagern, konnte der Zuhörer bildlich anknüpfen. Im Übrigen gab es auch Klangfrottagen zu erleben, ebenso duale Ausfällungen. Und dann wurde für die „leuchtenden Zustände“ („Des états lumineux“) der Schlusspunkt gesetzt.


Anschließend erwiesen die beiden Musikern Igor Strawinski die Ehre. Ein derartiger Hinweis verführte wohl dazu, nach klassisch anmutenden Passagen und Sequenzen, nach einer klassischen Thematik Ausschau zu halten. „Reineke Fuchs“ oder „Der Feuervogel“ oder? Nein, die Hommage musste man wohl eher im übertragenen Sinne begreifen. Das Orchestrale, das man vielleicht erwartete, wurde in zwei Stimmen gebrochen. Dramatisch waren einige musikalische Inszenierungen. Lauschte man dem musikalischen Geschehen, so wurde man an die Potemkinschen Treppen in Odessa aus dem Filmopus von Eisenstein erinnert. Stufe um Stufe rollten die Klänge des Duos dahin. Auch über Stock und Stein „stolperte“ der Posaunist in seinen Klangentfaltungen. Die Auflösung der Struktur durchzog das Stück obendrein. Sphärisches wurde mit Tieftönigkeit konfrontiert. Auch im nächsten Stück hatte man das Bild vor Augen, man würde hastig die Treppenstraßen von Lüttich erklimmen, würde die Unterstadt verlassen und zur Zitadelle eilen.


Wie ein gekräuseltes Band erschienen die Klangfolgen, die wir in einem weiteren Stück wahrnahmen. Spitze Ausschläge des Klangs waren kennzeichnend für das Spiel von Bläser und Gitarrist. Werksirenengeheul traf auf Industrial Noise, oder? Metallisches durchzuckte die Black Box. Sinusschleifen waren auch auszumachen. Verfremdete Flötentöne wurden zum Besten gegeben. Ab und an glaubte man, eine „singende Säge“ werde gebogen. Saiten „kollabierten“ und wurden mit der sich aufbäumenden Posaune konfrontiert. „Züngelnde Klangflammen“ sah man hier und da. Den Schlusspunkt des Abends mit seinen diversen Hörcollagen setzten die beiden Musiker mit dem Stück „Ein Leben ohne dich“. Was vom Titel her ein wenig nach Schnulze klang, war es aber ganz und gar nicht, sondern ein gewaltiger Malstrom, der sich sinnbildlich durch die Black Box wälzte.


© Fotos und Text ferdinand dupuis-panther

 



Infos

https://www.samuelblaser.com
https://www.marcducret.com

https://jazzdorseries.bandcamp.com/album/samuel-blaser-marc-ducret-voyageurs




In case you LIKE us, please click here:




Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet




our partners:

Clemens Communications


 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst