Europa Quartett live @ Backyard Club

Recklinghausen 17. Dezember 2022






Was geschieht, wenn sich ein Gitarrist und ein Kontrabassist treffen? Es entsteht beinahe zwangsläufig eine Band, so auch im Falle des Europa 4tetts, zumal wenn sich beide schon von der Zeit als Gymnasiasten kennen. 2015 gründeten der Bassist Stefan Werni und der Gitarrist Christian Jendreiko das Quartett, um ihre musikalische Vision einer genreübergreifenden Musik zwischen Rock, Jazz und elektronischer Musik in einer vielseitigen und improvisationsfähigen Quartettbesetzung zu realisieren. So liest man es auf der Homepage der Band. Zur Band gehören neben dem Gitarristen und Bassisten außerdem der Saxofonist Frank Bergmann und der Drummer Schroeder, ja einfach und schlicht Schroeder. Sie begaben sich auch an diesem Dezemberabend in Recklinghausen „auf eine musikalische Reise in unerforschte Regionen des musikalischen Bewusstseins.“ Dabei spielte die Spiritualität im Sinne von Sun Ra oder Pharoah Sanders weniger eine Rolle. Ganz zu schweigen davon, dass es auch keine musikalische Übereinstimmungen zwischen den zuletzt Genannten und dem Europa 4tet gibt, oder?

Noch ein paar Sätze zum Spielort: Der Backyard Club wird getragen von zurzeit 46 Mitgliedern. Er ist gemeinnützig und kann daher auch Spendenbescheinigungen ausstellen. Durch die Mitgliedsbeiträge und den Getränkeverkauf wird zum Beispiel die Miete für den Spielort bezahlt. Die Einnahme aus dem Eintritt gehen an die auftretenden Musiker. Der Club residiert im Untergeschoss eines Industriebaus, in dem sich auch noch die Disko Moondock befindet. Zudem wohnt der Eigentümer der ehemaligen Industrie-Immobilie vor Ort. Weit und breit gibt es keine weiteren Anwohner, die sich über Lärm beschweren könnten, ein Vorteil für Bands, die auf Verstärker nicht verzichten können und wollen.

Der Umstand, dass im Kellergeschoss sich einst Biker trafen, hat für die heutige Nutzung einen Vorteil: Es gab schon einen Tresen. Der Getränkeverkauf und auch der Verkauf der einen oder anderen Bockwurst spült nämlich Geld in die Kassen des Trägervereins. Ohne dieses Geld ließe sich ein solcher Club nicht betreiben, denn staatliche Förderung gibt es zurzeit nicht.


Zu hören waren an einem frostigen Winterabend Tracks wie „Europa heute“, „Cranach in London“ oder auch „Janine“ und nach einer kurzen Pause „King  Suite“ und „Big Tom“. Um es mal gleich vorweg zunehmen: Der Beifall war anhaltend und daher kamen die Musiker noch einmal auf die Bühne, um mit „La Coupule“ die Anwesenden in die Dezembernacht zu entlassen. Draußen empfingen diejenigen, die sich auf den Heimweg machten, weiß überpuderte Straßen und Gehwege, untrügliches Zeichen, dass es Winter geworden ist.

Eigentlich präsentierten die vier Musiker ein klangliches Kontinuum, mit additiven Fragmenten, mit Ansätzen von klanglichen Collagen, mit Anmutungen von Zitaten aus der Welt des Rocks von The Ventures bis The Doors. Dabei wurde nun nicht gecovert oder gar über weite Strecken ausschließlich der Geist von Rocklegenden der letzten Jahrzehnte beschworen, sondern immer auch der Weg der Improvisation begangen, stellenweise obendrein  Free Jazz umgesetzt. Die Musik stand ohne Frage im Fokus. Zwischenansagen fehlten. So wusste auch keiner der Anwesenden, welches Stück gerade im Vordergrund stand, ganz zu schweigen von den spezifischen Titeln. Das war aber auch nebensächlich.


Themenstränge wurde geknüpft und wieder entwirrt. Stets waren Themen deutlich auszumachen, gab es ein rhythmisches Gittergerüst und hier und da auch starke Doppelbindungen, so zwischen dem Bassisten und dem E-Gitarristen. Der Saxofonist wandelte zwischen diesem Gittergerüst, suchte sich eigene, auch lyrische Pfade, spielte Sopransaxofon wie auch Tenorsaxofon. Mit dem Letzteren schien er ab und an in die Tiefen einer Baritonstimme abzutauchen. Insgesamt wurden die Zuhörer auf Sonnen- und andere Stürme mitgenommen, erlebten Donnerhall und Gewitterrauschen, aber auch einen Malstrom des Klangs. Die beiden Jongleure auf den Saiten entwickelten einige Sequenzen, die an einen Hagelsturm denken ließ, der auf ein Blechdach prasselt. Die Saiten wurden kurz angerissen, schienen wie ein Zäng und Zwäng oder auch wie ein scharfes, kurze Pling und Plong zu klingen. Dazu hörte man ein stetes Klackklack, aber manchmal auch den Wohlklang von diversen Kuhschellen. Bleche wurde gestrichen und kurz am Rand angetippt. Vorlagen wurden gespielt und aufgegriffen, aber dann auch verworfen.


Überwiegend unaufgeregt und ohne furioses Röhren spielte Frank Bergmann seine Holzbläser. Er vermittelte durch diverse Klangschleifen ein Hin und ein Her, aber auch Ekstase. Eingebettet in einen rhythmischen Schwall seiner Mitmusiker bewegte sich der Saxofonist immer wieder auch auf einen klanglichen Höhepunkt zu, ein Crescendo, ein Furioso. Doch auch Weichzeichnungen waren Teil seines Vortrags. Folgte man dem Bassisten, dann meinte man, man sehe ab und an akrobatische Wellenreiter auf ihrer Superwelle vor sich. Während man sich noch auf dieses Bild einstellte, kreischten Bleche. Industrial Noise als „Kontrapunkt“ oder was? Purer Saitenklang und das Wimmern und Flirren einer E-Gitarre waren ebenso Teil der klanglichen Inszenierung. Da schienen dann Ten Years After für Momente zugegen zu sein, oder?

Gelegentlich drängte sich der Eindruck auf, dass es obendrein Referenzen zu The Ventures gibt, eine der erfolgreichsten Instrumentalbands der Geschichte der Rockmusik! Hörten wir nicht Wahwahwah und Wow-Wow-Wow zu Kettengliedern vereint? Dazwischen meldete sich das fragil erscheinende Sopransaxofon mit Linearem und Melodischem. Überbordend war jedoch der Klang der E-Gitarre, die sich Ton für Ton mit dem E-Bass gemeinsam zu einer Klangwalze vereinte. Blechgewische und eine glockenhell klingende Hi-Hat waren, so schien es, notwendige Ergänzungen. Derweil lauschten wir auch dem flirrenden und teilweise an den Klang einer Klarinette erinnernden „Gesang“ des Sopransaxofons.


Streckenweise war der Begriff kammermusikalisch für die Sequenzen des Saxofonisten zutreffend.  Diese schienen Momente der Beschwichtigung heraufzubeschwören, ganz im Gegensatz zu dem ungestümen Agieren des Gitarristen. Klangliche Nebelschwaden, die sich lichteten, trafen auf Klangunwetter, dank an den E-Bassisten und den E-Gitarristen, an Christian Jendreiko und Stefan Werni, aber auch an Frank Bergmann, der für lichte Färbungen des Klangs sorgte, der Lindgrün dem Anthrazit und Umbra zufügte.

Diskantes vermischte sich mit Blues-Anklängen, die aber nicht von A bis Z ausgereizt wurden, sondern eher einem Zwischenspiel, einem klanglichen Exkurs, glichen. Redundanzen waren gewollt. Doch diese Wiederholungen lösten sich stets auf, verfingen sich in Paraphrasierungen. Spielte Frank Bergmann statt des Sopransaxofons sein Tenorsaxofon, so schien er sich in den klanglichen Lavaströmen einzufinden, die Stefan Werni und Christian Jendreiko inszenierten. Unaufdringlich, aber auf den Punkt war stets das Schlagwerkspiel von Schroeder.


Dass das Saxofon, eigentlich für Militärmusikanten entwickelt wurde, unterstrich der Saxofonist des Abends mehrfach. Da röhrte, gurgelte, krächzte der Holzbläser oder überschlug sich in aufgerauter Stimme, ehe dann ein Tonsilbenfluss zu erleben war.

Trotz eines Zwischenrufs, die Band möge doch auch mal singen, blieb es bei der instrumentalen Performance. Und das war stimmig und gut so. Die Musik strahlte Urbanes aus, ließ uns in den Dschungel der Großstadt eintauchen, jenseits der gewählten Titel für die jeweiligen Kompositionen.  Sphärisches und andere Klangsamples wurde vorgestellt und durchzogen die Musik ab und an. Klangregen vernahm man aus dem Off, dank der elektronischen Beimischungen.

Folkloristisches bekam Raum, aber auch Hardrock, oder? Insgesamt wehte ein Schirokko  des Klangs über weite Strecken durch den Backyard Club. Gestisches wurde ausgelebt. Stimmengewalt wurde zelebriert. Für klangliche Feinmalerei gab es keinen Raum, eher für Action Painting und Informel. Gelegentlich wurden schwarze dunkle Konturen gesetzt, entstanden Zick-Zack-Linien, insbesondere im Zusammenspiel von E-Bassist und E-Gitarrist. An die Frühzeit der Beatmusik knüpfte die Band ebenso an wie auch an Jazz Rock, allerdings unter Verzicht eines vereinigten Bläsersatzes, wie wir ihn zum Beispiel von Blood, Sweat & Tears her kennen.


Stefan Werni meinte am Schluss des Konzerts, dass es genug Material gebe, um demnächst auch eine CD zu veröffentlichen. Man sei deshalb mit zwei kleineren Labels in Verhandlungen. Eine CD, so Werni, sei auch eine gute Gelegenheit, mit der Band eine CD-Release-Tour zu organisieren. Man darf also gespannt sein. Übrigens: Das Konzert am 17.12. war erst das dritte seiner Art, bei dem das neue Material live vorgestellt wurde. Großes Kino, fürwahr!

© text und fotos: ferdinand dupuis-panther/a.panther


Info

Backyard Club
Alte Grenzstraße 153 e, 45663 Recklinghausen
www.backyard-club.de


Europa 4tett
www.europaquartett.eu
www.facebook.com/europaquartett

Line-up

Christian JENDREIKO – Gitarre (Düsseldorf)
Frank BERGMANN – Saxophone (Rheinberg)
Stefan WERNI – E-Bass (Recklinghausen)
SCHROEDER – Schlagwerk (Freiburg)

Musik/Kompositionen: Werni & Jendreiko





Further concerts/Weitere Konzerte Backyard Club

14.01.23  Akra Boa
21.01.23 Power Up, Frantic Quo
04.02.23 Boomtown Shakedown
18.02.23 The Roughtone
04.03.23 One of These
18.03.23 Olli DaCapo, The Grey Lodge


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