25 Jahre Jazz in ’t Park, Gent 6.9.2018

Vier Tage lang konnte man kostenlos im Zuidpark Jazz vom Feinsten genießen. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums – ein Viertel Jahrhundert Jazz unter freiem Himmel (sic!) – präsentierten die Veranstalter die Crème de la Crème des Jazz aus Belgien. Der Zuidpark verwandelt sich so vier Tage lang in eine offene Freilichtbühne für Jazz verschiedenster Färbung. Der interessierte Jazzliebhaber wurde ebenso angesprochen wie derjenige, der mehr oder minder zufällig vorbeikam und für Momente einhielt, um der Musik zu folgen.



© Stad Gent



Spotlight 1: „Donner zum Lunch“


Zunächst sei an dieser Stelle das Eröffnungskonzert mit Donder besprochen, ohne dass allerdings musikalisch wie auch sonst ein Donnern oder gar ein Donnerwetter zu vermelden war.



Auf die Bühne im Zuidpark kam am Donnerstagmittag ein klassisches Jazztrio, bestehend aus dem Drummer Casper Van de Velde, dem Pianisten Harrison Steingueldoir und dem Bassisten Stan Callewaert. Sie stellten Material vor, das in dem demnächst bei WERF Records erscheinenden Album enthalten ist. Allerdings taten die Musiker abgesehen von ihrem Klangspiel wenig dazu, diese Platte wirklich zu promoten. Ansagen zu den Songs fehlten, auch gab es keine Erläuterungen zu den Titeln oder zur Band. Artig bedankte man sich am Ende beim Publikum, das in Teilen die konzertante Musik zur Mittagszeit wenig oder gar nicht zu würdigen wusste.


Geschwätzigkeit war in Teilen angesagt. Insbesondere auf den Bänken und an den Tischen, die von der Bühne weiter entfernt waren, schien man sich mit Freunden zum Lunch verabredet zu haben und quatschte munter darauf los. Die Musik wurde zur Nebensache degradiert. Das spricht nicht für einen ausgeprägten Respekt einiger Anwesender gegenüber den Musikern.

Der Berichterstatter war höchst verwundert, dass weder der Veranstalter noch die Musiker um Ruhe und Zurückhaltung in der Unterhaltung baten. Selbst wer in den ersten Reihen saß, sah sich dem „Gesumme im Bienenkorb“ ausgesetzt, hörte Wortschwaden und fühlte sich in der Konzentration auf das Musikalische behindert. In die Musik versenken musste man sich schon, denn sie war lyrisch gewebt und bevorzugte die sanften Klangformen, war bisweilen von Romantik beeinflusst, schien in einen Erzählmodus verstrickt, den jeder für sich dechiffrieren musste. Da hätte man sich schon das eine oder andere begleitende Wort aus dem Mund der Musiker gewünscht. Nun ja, das blieb leider aus.


Mit tropfenden Klangfolgen wurde das Mittagskonzert eröffnet. Klanggewitter schien sehr, sehr fern. Zartes Beckengeschwirr paarte sich mit dezenten Tieftönen. Bilder eines Sonnenaufgangs und Tautropfen am Geäst schienen sich leicht beim Hören einzustellen. Gehauchte Rhythmik traf den Bass. Tiefe Registervorlieben legte der Pianist an den Tag. Man hörte zartes Brodeln und Sprudeln.

Gleich im ersten Song erlebte man zudem, dass ein Trio auch in Solos und in verschiedene Duoformen heruntergebrochen werden kann. Beim Basssolo hatte man vielleicht den Eindruck einer nahenden Katastrophe, die da musikalisch untermalt werden sollte. Man denke in diesem Kontext an Filme, in denen Flugzeugunglücke die Storyline ausmachen.


Im nachfolgenden Stück vermeinte man anfänglich das Schlagen einer Uhr zu hören. Dazu wurden kristalline Formen gereicht. Alles schien im Fluss begriffen. Und auch Chopin und Co. schienen ihre Spuren hinterlassen zu haben.


Tapptappetapptapptapp – so eröffnete Casper Van de Velde das nächste Stück. Tiefe, erdige Tonfolgen in Verbindung mit gedämpften Saitenanschlägen waren das Ding des Bassisten. Tippelnde Schritte auf Stöckelschuhen meinte man im weiteren zu vernehmen. Während diese Klangwellen ans Ohr drangen, musste man an Catwalk und das Schaulaufen der Models auf dem Steg denken, mit Drehungen, Schwüngen und wackelnden Pos. Im nächsten Moment drängte sich jedoch ein anderes Bild auf, das vom Wellenschlag, von Gezeitenstrom. Und stets vernahm man den „dichten Stimmenwald“. den diejenigen schufen, die wohl nicht der Musik wegen gekommen waren.


Auch die weiteren Kompositionen unterschieden sich nicht wesentlich im Duktus, der getragen, bisweilen auch schwermütig angehaucht war. Da schien sich Brahms mit Grieg zu vereinen, auch wenn man hin und wieder zarte Grüntöne durchscheinen sah, die das Umbra und Schwarz verdrängten, die in den Klangbildern sehr überwältigend durchschienen. Insgesamt verlangte die Musik nach einem Salon und nicht nach einer offenen Bühne, forderte Versenkung und nicht Beiläufigkeit. Doch das scheint bei einer Veranstaltung unter offenem Himmel wohl weniger möglich, oder?



Spotlight 2: „Dankbarkeit am frühen Abend“

Nach dem sehr lyrisch-melancholisch gestimmten Eröffnungskonzert – eher ein Konzert für den Salon in einem Herrenhaus – betrat das Gratitude Trio am frühen Abend die Bühne. Das seit 2010 bestehende Trio ist ein klassisches Saxofontrio, wenn auch um ein EWI – gleich Electric Wind Instrument – erweitert.


Dieses Instrument zu spielen oblag dem Saxofonisten Jeroen Van Herzeele, der also neben dem klassischen Holzbläser auch einen „mundgeblasenen Synthesizer“ zur Klangvielfalt brachte. Zur Band gehören außerdem der Schlagzeuger Louis Favre, der sich auch auf Rap-Gesang versteht, und der E-Bassist Alfred Vilayleck. Dieses Dreigespann brachte die Bühne zum Beben, sorgte für klanglichen Lavafluss und vulkanische Eruptionen. Kraftvoll und von Energie strotzend erwies sich das Spiel, dabei das jüngste Album präsentierend, das es sowohl als Vinyl als auch als gepressten „Silberling“ gibt, wie Louis Favre sehr geschickt während des Konzerts erwähnte. Auch bei der Schlussverbeugung fehlte das Album nicht, denn Favre hielt es deutlich sichtbar fürs Publikum in seiner Hand.


Eröffnet wurde das Konzert solistisch von Jeroen Van Herzeele, der ein vibrierendes Tenorsaxofon als Klangkörper einbrachte. Beckenbeben kam erst nach und nach hinzu. Sehr rocklastig gab sich der Bass, als er denn zum Zuge kam. Geifernd, auftrumpfend, das letzte Wort habend, lauthals und ätzend – so trat das Tenorsaxofon im weiteren Verlauf in Erscheinung. Dabei gab es interessante Interaktionen mit dem E-Bass, der als Gegenspieler in Erscheinung trat. Brandungswellen wurden klanglich gezeichnet. Wirbelwinde ließen die drei Musiker aufkommen. Geblasene Effekte zogen die Aufmerksamkeit des Publikums an.


Bombastisch war das, was zu hören war, auch als Louis Favre eine Mischung aus Rap und Poetryslam vortrug. Die Band ließ bereits zu Beginn Soft Maschine und Kraftwerk sowie all die anderen Jazz-Rock-Formationen vergessen, die in der Vergangenheit ein spezifisches Sub-Genre des Jazz präsentierten. Zu nennen ist in diesem Kontext auch Spyra Gyra. All die Genannten wurden zu Fußnoten der Jazzgeschichte, war man willig, die Ohren zu spitzen und sich auf das Gratitude Trio einzulassen. Einige taten das nicht und schwätzten derweil vielstimmig. Musik war für sie Nebensache. Schade!


Dass ein E-Bass auch durchaus ein Gespür für hohe Lagen habe kann, unterstrich Alfred Vilayleck im Folgenden. Zwischen hohen und tiefen Registern changierend legte er seinen Vortrag an, ließ dabei an strichweisen Regen und an dunkle Wolkenbänke denken, wenn man denn eine bildliche Umsetzung der Klangstruktur bemühen will. Viel Tamtam entwickelte Louis Favre für sein Drumssolo. Erdiges Umbra wählte der Bassist aus der Klangpalette aus. Jeroen Van Herzeele schien hingegen im Stil von Chicago und Blood, Sweat & Tears reloaded unterwegs zu sein.

Dem Trio gelang es in jeder Phase Spannungsbögen zu bauen. Lautmalerisches mischte sich mit dahinfliegenden Saxofonpassagen. Hier und da musste man bei Favres Gesang an Ritualgesänge denken, auch an die Art des Vortrags der Sami-Sängerin Marie Boine. Nicht der Text, sondern die Textur waren bedeutungsvoll. Sphärisches wurde zum Teil des Klangbilds, eine besondere Würze, die dem „rockigen Menü“ beigegeben wurde.


Immer wieder mal wechselte Jeroen Van Herzeele das Instrument und gab dem EWI den Vorzug, Wiederholte Module erklangen. Oszillierende Klangformen drangen ans Ohr, durchmischt von einem Drummer, der wie ein Berserker Felle und Bleche traktierte. Momente souliger Klanganmutungen waren bisweilen  zu vernehmen.

Ob auch „Snakes“ zum Programm gehörten, konnte man nach Favres Aussage vermuten. Richtig zu verstehen, war diese wie auch andere Ansagen zu den Songs kaum.

Schlangenbeschwörungen gab es aber dann nicht im klassischen Sinne. Auch das Rasseln von Klapperschlangen stand nicht auf dem Zettel. Kraftvolles Jazzgebläse umfing die Anwesenden auf alle Fälle. Das Trio entzündete ein klangliches Feuer auch bei diesem Stück, ließ es lodern, knistern und explodieren. Siedepunkte wurden angestrebt und wieder aufgegeben, sodass eine wellige Struktur nachzuvollziehen war.

Zum Abschluss gab es noch einmal einen Höhenflug und ein Kraftpaket Jazz Rock, als das Trio „Gratitude“ spielte. Wem danach die Trommelfelle bebten und die grauen Zellen eine Achterbahnfahrt vollführten, tja, der hatte wohl  mit allen Poren die Musik verfolgt.


Informationen

http://gratitudetrio.com/home.php



Spotlight 3: „Eine Jazz-Institution auf der Bühne: AKA MOON“

Nach das Gratitude Trio betraten die drei Musiker von AKA MOON  am Abend die Bühne.


Schon beim öffentlichen Soundcheck zeigten vor allem der Bassist Michel Hatzigeorgiou und der Drummer Stéphane Galland Spielwitz, auch wenn nur den Kommandos des Soundmixers zu folgen war. Doch beide ließen es sich nicht nehmen, kleine Jamsessions einzustreuen. Derweil spielte sich Fabrizio Cassol Backstage warm.

Das Trio ist ein gutes Beispiel für die Begriff Fusion, Weltmusik, Rock Jazz oder Jazz Rock und das seit Jahrzehnten. Aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Band wurde eine CD-Box mit Aufnahmen von 1992 bis 2015 herausgegeben. Nun öffneten sie diese Box in kleinen Teilen für das Abendkonzert im Zuidpark. Gut besucht war dieses Konzert, keine Frage. Dass das Trio den Begriff Institution des Jazz als Charakterisierung nicht so gerne hört, sei an dieser Stelle eingefügt.


Es war nicht einfach, sich auf AKA MOON zu fokussieren, nachdem man bereits die Klangeruptionen des Gratitude Trios erlebt hatte. Gewiss, es gab Unterschiede in der musikalischen Auffassung, aber auch Gemeinsamkeiten. Im Fluss war das Saxofonspiel von Fabrizio Cassol. Erkennbar waren auch die Strukturen, die von einem wiederkehrenden Thema durchsetzt waren. Dazwischen gab es Ausblicke, Umwege, Erkundungen. Manchmal erschien es, als habe auch Paul Horn seine Hand mit im Spiel.

Orientalisch anmutende Harmoniewallungen gab es hier und da zu erleben. Bassist und Drummer schienen sich die Bälle zuzuspielen. Glasklare Linien verfolgte der Altsaxofonist Cassol. Quirligkeit traf auf Behäbigkeit. Tief gegründet zeigte sich der Bass, aber auch beweglich, leichtfüßig.


Serail, Basar und Karawanserei ließ das Trio in Klangbildern entstehen. Doch wurde das Verweilen im Orient stets auch konterkariert, paraphrasiert und aufgehoben.

Im Verlauf des Abends rumorte der Bassist, der auf ein aufmüpfiges Altsaxofon traf. Himmelsstürmer schienen auf der Bühne unterwegs zu sein. Tempokaskaden ließ der Drummer Stéphane Galland entstehen. Vorgaben wurden gemacht und Gegenentwürfe präsentiert. Kanonendonner schien man mitzuerleben. Farbenfrohes Feuerwerk wurde entzündet. Lyrisches war abwesend, doch die Suche nach dem Melodiösen war stets vorhanden.


Kleinschalige Klangformen und vermeintliche musikalische Zitate galt es zu entdecken. Verwobene Klangwolken zogen dahin. Klangliche Blütenstäube fielen hernieder, vor allem wenn das Altsaxofon musikalische Regie führte. Als Kontrapunkt dazu entwickelte Michel Hatzigeorgiou eine sehr dynamische Basslinie. Von der sonst üblichen Introvertiertheit des Bassisten war dann gar nicht mehr die Rede.  Eine Genter Nacht nahm ihren Lauf mit Jazz, der nicht verkopft daherkam, sondern sich „bodenständig“ offenbarte, laut, vorlaut, rockig, aufbrausend, urban halt.


Informationen

www.akamoon.be


Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther – Review and Photos are not Public Commons!


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