20. JOE Festival - Tag 2: Vom FC Fritsche in die Kölner Subway

Der Anstoß zum zweiten Festivaltag verzögerte sich ein wenig, aber dafür war das Katakomben-Theater sehr gut besucht, auch wenn John Dennis Renken vom Vorstand der Jazz Offensive Essen, sich ein ausverkauftes Haus gewünscht hätte. Diesmal führte John Dennis durch das Programm, wobei er die Zuhörer ermunterte, der Jazz Offensive Essen beizutreten, um ein Stück der Arbeit mit den wöchentlichen Sessions, dem Festival und anderen Aktivitäten auf mehr Schultern verteilen zu können.

Doch nach der Vorrede hieß es dann: Der FC Fritsche ist angetreten. Das Spiel kann beginnen, ohne Blutgrätschen, rote Karten und Bananenflanken. Die Bühne ist schließlich kein Fußballplatz, wenn auch ein Spielfeld, auf dem sich das FC Fritsche 5tet gleich mal zu Hause fühlte. Übrigens, wies Simon Camatta – er saß am Schlagzeug – darauf hin, dass FC nicht für Fußballklub stehe, sondern für die beiden Vornamen des Bandleader Felix Carlos Fritsche! So nun war das auch klargestellt.

 

Fouls gab es keine

Mit „dem alten Problem“ begann der FC Fritsche musikalisch und endete mit „Das ist wirklich das Letzte“, ein Titel wie gemacht für eine Zugabe, meinte Felix Carlos Fritsche in der Ansage zu dieser Komposition von ihm. Ach ja, das muss mal gleich vorangestellt werden: Der FC Fritsche spielte keine verfremdeten Standards. Alles, was zu hören war, entstammt der Feder des Bandleaders, der an diesem Abend Altsaxofon und Klarinette spielte. Das tat auch Sebastian Gerhartz. Am E-Bass stand Johannes Nebel, und Raphael Zapp ließ seine Finger über die Tastatur des vibrierenden Rhodes huschen.

Wir kennen doch alte Probleme, unbewältigte Dinge, aufgeschobene Angelegenheiten. Doch wie löst man diese musikalisch? Felix Carlos Fritsche und seine Mitstreiter ließen es uns wissen, keine Frage. Ohne Ansage ging es gleich musikalisch zur Sache. Simon Camatta eröffnete die musikalische Ansprache mit kraftvollen Stockwirbeln. Nach dieser Einleitung waren die beiden Altsaxofonisten unisono im Spiel vereint. Das, was die beiden spielten, klang frisch und nicht abgestanden. Mitgerissen wurden die Zuhörer, wenn sie sich mitreißen lassen wollten. Zwischenapplaus bei Solos zeigte, dass das zutraf.

Hörte man Felix Fritsche bei seinem Solo zu, dann dachte man an Unordnung, an Liegengebliebenes, an Unerledigtes und zugleich an „Ärmel hochkrempeln, zupacken“. Die Aufforderung „Mach mal!“ vermeinte man aufzuschnappen. Dazu flogen die Sticks in den Händen von Simon Camatta nicht durch die Luft, ja auch, aber vielmehr auf die Trommeln und Bleche. Auf das folgende, eher nervös-aufgeregte und erregte Solo von Felix Fritsche antwortete der zweite Altsaxofonist entspannt, wenn auch nicht unbedingt tiefenentspannt. Es klang nach „Hej, is was“ und „Ja, alles wird gut“. Hintergründiges war dem Mann am Bass und dem am Rhodes vorbehalten, die sich nicht so richtig ins „Zwiegespräch“ einmischen wollten. Es war eher ein untergründiges Kommentieren. Im Nachgang trieb dann Simon Camatta das Spiel energisch voran.

„Eng“ wurde es bei dem zweiten Stück des Abends nie. Eher hatten die Zuhörer den Eindruck von offenen Formen, von freiem Agieren, von einem Stück Grenzenlosigkeit. Diesmal griff Sebastian Gerhartz zur Klarinette, die für eine leicht melancholische Stimmung verantwortlich war. Beinahe flüsternd kam das Rhodes daher. Unerbittlich war das Getrommel von Simon Camatta. Es war Ausdruck von „Das geht schon.“ und „Es muss gehen.“ Zum Schnalzen des Saxofons gesellte sich ein Knistern und Knarren, dank sei dem elektronischen Zauberkasten, den Johannes Nebel „dirigierte“. Zum Schluss vernahm man Rabatz und Ratzfatz. Es gab neben einem Solo von Simon Camatta und einem Saxofon-Geschnatter dann auch die Rückkehr zum Thema, ohne Umwege.

„Ja wir bleiben romantisch. Ein Lacher.“ versprach uns Felix Fritsche, als er die Komposition „Puls“ ansagte. Zu Beginn meint man noch, den Ruhepuls zu verspüren. Dafür sorgte mit ruhiger Hand Johannes Nebel an seinem E-Bass. Doch Schritt für Schritt erhöhte sich der Puls, gab es Aufreger,  gefolgt von Entspannung. Letzteres war der Fall, als sich Klarinette und Saxofon ganz einig wurden. Schloss man die Augen, meinte man sich auf einem Sonntagsspaziergang, in der Sommerfrische, beim Almwiesenpicknick oder beim Grillen vor der Gartenlaube. Romantisch genug?

Auch für „Rückenwind“ sorgte das Essener Ensemble, das den Zuhörer aber eher den Wind von vorne spüren ließ. Aus einem schwachen Lüftchen – das Saxofon wurde zur Windmaschine – wurde ein nicht zu überhörender Fahrtwind. Nein, ein Orkan erfasste das Katakomben-Theater nicht, aber … Am Schluss gab es Wind von allen Seiten, und man hatte die Vorstellung, Herbstlaub werde aufgewirbelt.

„Wir kommen nun zum letzten Stück“! Was geschah wohl nach dieser Bemerkung des Bandleaders? Ja, es gab Ohs und Ahs. Doch erst einmal ging es um „Phasen“. Auch in diesem Stück fungierte das Saxofon eher als Windmaschine, jedenfalls zu Beginn. Dazu wummerte der E-Bass. Der sich entwickelnde Spielfluss wurde von schnellen Trommelwirbeln, von Gerassel und Kettenschlag aufs Blech begleitet. Man war geneigt, von Phase 1 und Phase 2 zu sprechen. So wartete man dann zunächst auch auf die Endphase, auf das Furioso. Und das kam natürlich noch.

Es wechselten sich im Verlauf des Konzerts offene und gebundene Formen ab. Es gab Spannungen und Entspannungen; es gab aber auch Höhepunkte und einen jeweiligen Schluss.

Information

FC Fritsche
http://www.felixfritsche.de/
http://www.felixfritsche.de/kapellen/
http://www.felixfritsche.de/heisse-streifen/
http://www.nrwjazz.net/anfrage/jazzdatenbank/musikerportrait.php?musiker=241
https://soundcloud.com/felix-fritsche

 

Elektronische und stimmliche Wasser

Nach dem furiosen Auftakt hatte es Eva Pfitzenmaier, die im regenreichen norwegischen Bergen lebt, nicht leicht, dagegen zu halten. Ihre Perfomance war sehr stark von Elektronik beeinflusst, um nicht von Dominanz zu reden. Handgemacht im klassischen Sinne war der Vortrag nicht, auch wenn sie immer wieder ihre Stimme einsetzte, auch durchaus ansprechende Lyrik zu Gehör brachte. Das war allerdings ohne Sampling und Loops nicht möglich. Zeitweilig verschwand sie auch aus dem Blick der Zuhörer, weil sie an den Reglern unter ihrem Spieltisch hantierte.

Projektionen eines Pferdes auf einem Laufband oder verwischte Kamerafahrten durch die Landschaft begleiteten ihren Auftritt. Schon in der Vorankündigung ihres Auftritts fiel der Begriff Singer/Songwriter. Mit Recht, wie ihr Auftritt unter Beweis stellte. Samplings von Schlagwerk und präpariertem Klavier, das Spiel auf den Keybords– stets dabei durch Effekte verfremdet –,Stimmläufe mit und ohne Text – all das fand durchaus Sympathien bei den Zuhörern. Irgendwie war m. E. zu viel „Konserve“ im Spiel. Eva Pfitzenmaier, in Pausen um Kommunikation mit dem Publikum bemüht, schien auf der Bühne einen Kokon um sich gewirkt zu haben.

Geräuschschwall traf auf Beats, Summen auf gesummte Verdopplungen. Selbst der Einsatz einer Blechdose, auf die eingeschlagen wurde, wurde wieder elektronisch verwurstet. Das Klatschen der Hände blieb nur für Momente pur und ging dann wieder ins Sampling ein.

Wahrscheinlich ist das, was Eva Pfitzenmaier vorstellte, nur vor dem Hintergrund von 280 Regentagen im Jahr zu verstehen. Es scheint, als wäre sie da in einer künstlerischen Einsiedelei zu Hause, die sich dann auch beim Konzert widerspiegelt.

Informationen

By The Waterhole
http://bythewaterhole.com/
http://bythewaterhole.com/video
http://bythewaterhole.com/music

 

Eine Suite, die zu begeistern verstand

Das Subway Jazz Orchestra aus Köln ist das musikalische Baby des Posaunisten Tobias Wember, der 2015 mit dem WDR Jazzpreis für Komposition ausgezeichnet wurde. Ihm ist auch die Suite zu verdanken, die nun im Katakomben-Theater vorgestellt wurde. Die Suite trägt den Titel „State Of Mind“, ein Schelm wer da an „N.Y. State of Mind“ von Billy Joel denkt.

Wollte man alle Musiker des Orchesters aufzählen, würde das Zeile um Zeile fülle. Für die Konzertberichterstattung wurde darauf weitgehend verzichtet, wenn auch in der Band Musiker in Erscheinung treten, die durchaus nicht nur in Köln bekannt sind wie Johannes Ludwig und Jens Böckamp – beide stehen hinter dem Label Float Music. Doch eine Bemerkung scheint vorab wichtig. Unter den Männern des Orchesters gab es eine Baritonsaxofonistin, die zudem Bassklarinette spielte. Augenscheinlich ist sie aber nicht ständiges Bandmitglied, schaut man auf die Vorstellung der Band auf deren-Homepage.

Tobias Wember, der das Ensemble dirigierte und nicht selbst spielte, verzichtete sowohl auf die Vorstellung der Band als auch auf die Ansage der einzelnen Suiteteile. Die Suite besitzt nicht nur eine Einleitung und ein Interlude #1 gefolgt von vier Teilen – „State Of Mind“, „Stress“ und „Pine“ sowie „End Of A Circle“ –, sondern auch ein Interlude #2 sowie einen Teil 5 namens „Looking Forward“. Dass es noch eine Zugabe gab, sei vorweggeschickt: „Frowning“ war der nachmitternächtliche Song für den Heimweg.

„Wir spielen ohne Ansage, aber ihr könnt euch frei äußern, klatschen und was auch immer.“ Das waren neben dem Dank an die Veranstalter die einzigen Worte, die Tobias Wember an das Publikum richtete, für deren Erscheinen er sich ausdrücklich bedankte. Kein Wunder die Stunde war schon vorgerückt und dennoch war das Theater immer noch gut besucht. Ach ja, es gab noch einen „Werbeblock“ mit dem Hinweis auf die beiden eingespielten Alben des Orchesters, wobei die Suite aus der Feder von Tobias Wember bei Unit Records erst im Mai erscheinen wird.

Um es gleich mal vorwegzunehmen, keine Sequenz der Suite strahlte etwas aus, das an eine klassische Big Band erinnerte. Big Band Musik hat ihren Platz keine Frage, aber wir befinden uns im 21. Jahrhundert, in dem es um mehr als Duke Ellington, Count Basie oder Tommy Dorsey gehen muss, oder? Zu hören war ja auch nicht die Subway Big Band, sondern das Subway Jazz Orchestra. Auf kleine, feine Unterschiede kommt es schon an!

Geballte Energie gab es zu Beginn dank der Trompeten, die sich ebenso einig waren wie die nachfolgenden Posaunen. Deren Spiel hatte Aufforderungscharakter, im Sinne von „Jetzt geht’s aber richtig zur Sache.“. Danach bewegte sich das Ensemble in einem ruhigeren Fahrwasser. Für einige Momente dachte man an Schwerelosigkeit oder zumindest an einen Gleitschirmflug im Aufwind.

Auf ein Posaunensolo antwortete einer der Trompeter der Band. Es galt das Prinzip des Dialogs, in unterschiedlichen Färbungen und Lagen. Jenseits dieses Dialogischen gewann man beim Zuhören den Eindruck, man werde in den Frühling entführt, mitten im Januar. Es klang beschwingt, was zu hören war. Der Gedanke an eine launige Segelregatta bei leichter Brise kam auf. Auch eine Karrusselfahrt auf dem Frühlingsdom in Hamburg schien ein durchaus naheliegendes Bild. Beim Posaunensolo wurde man gar zu einem Strandspaziergang animiert.

Im weiteren Verlauf traf Gerassel auf den brummigen Bass. Kurze Momente, in denen man an Tanzbares dachte, drängten sich danach auf. Samtener Klang des Flügelhorns erfüllte das Theater. Tonale Kaskaden ergossen sich, als Sebastian Scobel seine Hände über die Tasten des Flügels „hetzte“. Dann wieder hatte man den Eindruck, es hieße „Manege frei!“, und eine Zirkusband habe ihre Stunde. Klarinetten vereinten sich im Reigen mit Querflöten, derweil der Mann am Bass seinen Dickbäucher zum Tanzen brachte.

Happy Time war unterdessen dann auch mal ein Programmpunkt, ehe beinahe Choralartiges an unserer Ohren dran. Immer wieder aber tauchte das Thema, wenn auch in leichten Abwandlungen auf und war unzweifelhaft auszumachen. Nur gut, dass dem so war. Wiedererkennung ist ja ein wichtiges Bindeglied, denn es kann bei Musik der Gegenwart ja nicht nur um freies Spiel mit Ratzfatz und Rambazamba gehen. Nach Mitternacht und einer Zugabe, einer taufrischen Komposition, hieß es dann: Gute Nacht und bis morgen dann.

Text und Photos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Subway Jazz Orchestra
http://www.jazz-im-subway.com/


Interview Tobias Wember
http://www.jazzhalo.be/interviews/tobias-wember-interview-mit-dem-posaunisten/


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