20. Jazztage Emsdetten #2

Masaa: Zwischen Folk, Protestsong und Jazz



Der Auftritt von Masaa im Lichthof von Stroetmanns Fabrik war insoweit eine Besonderheit, als die Band um den aus dem Libanon, genauer aus Byblos, stammenden Vokalisten Rabih Lahoud die Sängerin Yael Deckelbaum aus Israel eingeladen hatte, gemeinsam das Konzert zu gestalten. Daraus ergab sich eine Dreiteilung des Konzertabends.

Zunächst trat Yael Deckelbaum solistisch in Erscheinung und erwies sich dabei als durchaus versierte „Singer-Songwriterin“ mit einem Hang zu allzu lauten und auch einfach strukturierten Botschaften. Gewiss auch den Blues beherrschte sie stimmlich. Eine gewisse Nähe zu den Sängern von Protestsongs der späten 1960er Jahre wie Joan Baez war außerdem nicht zu leugnen. Das galt sowohl für die musikalischen Kompositionen als auch für den Vortrag. Hier sei nur angemerkt, dass es auch zuvor, man erinnere sich an Billy Holiday und „Strange Fruit“, formulierten Protest im Jazz gab, wenn auch mit stimmlich anderen Mitteln! In deren „Fußstapfen“ bewegte sich Yael Deckelbaum leider nicht.



Masaa gleich Abend


Im „zweiten Teil“ trat dann das Quartett Masaa auf. Der Bandname, so erfuhr ich vom Trompeter und Flügelhornisten Marcus Rust, bedeutet Abend, aber nicht so sehr im zeitlichen als vielmehr im übertragenen Sinne. Der Abend, so Rust, sei die Zeit, in der man zusammenkäme und den Tag Revue passieren lasse, sich erzähle, was man so am Tag alles erlebt habe. Es sei die Zeit, in der man auch abschalten und zur Ruhe kommen könne. Es sei die Zeit für gutes Essen und ein Glas Wein; es sei die Zeit des Erzählens von Geschichten, wie sie auch Masaa in Wort und Musik vorträgt.


Masaa trifft Yael Deckelbaum

 

Der letzte Teil galt dem gemeinsamen Auftritt von Yael Deckelbaum und Masaa. Um es vorwegzunehmen: In diesem Teil konnte man nicht übersehen, dass dieser Auftritt nun doch nicht zu einem harmonischen Ganzen wurde. Bisweilen erschien es so, als ob Yael Deckelbaum verloren am Rande stand, ein Fremdkörper blieb, und zwar auch deshalb, weil sie sich zu sehr in ihrem eigenen Schema eingesponnen hatte und zu wenig in der Lage war, auf die Improvisationen, auf die  deutlichen dialogischen Szenen zwischen den Musikern einzugehen.

Es war auch in diesem Teil ein Genuss, zu sehen und zu hören, in welcher Weise zum Beispiel Marcus Rust und Rabih Lahoud aufeinander eingingen, phrasierten und paraphrasierten. Dabei stand dann Yael gleichsam mit Staunen dabei. Solange sie sich nicht von Pop und Folk weg- und hin zu Improvisation und Jazzgesang bewegt, solange wird der Zusammenarbeit m. E. ein schaler Geschmack beihaften.


Frieden in verkürzten Losungen

Dass Masaa und Yael Deckelbaum der Friedensprozess im Nahen Osten und weltweit am Herzen liegt, mag die Verbindung zwischen beiden sein. Dabei scheint es mir jedoch von Bedeutung, wie dies vorgebracht wird. Bisweilen überkam den Berichterstatter der Eindruck von einfachen Formeln, nach dem Motto, dass die Frauen, die Mütter und Schwestern es schon richten werden. Frauenpower wurde insbesondere von Yael Deckelbaum formelhaft beschworen. Doch m. E. ist das in einer  komplexen Welt zu einfach gedacht.


Protestsong Revival, oder?

 

Sehr ausführlich, meines Erachtens zu ausführlich, schilderte Yael Deckelbaum ihren Weg in die Frauen- und Friedensbewegung einschließlich der Begegnung mit der Friedensnobelpreisträgerin aus Liberia, die sich gegen den jahrelangen Bürgerkrieg in ihrem Land gewandt hatte. Die Sängerin aus Israel, sich mit der Gitarre begleitend, besang die „Krieger des Friedens“, die Schwerter in Pflugschare umschieden, ließ Zeilen wie „to turn anguish into hope, darkness to light“ vernehmen. Und das bewegte sich dann gänzlich im Fahrwasser der Protestsongs der 1960er Jahre.


Dialog stand im Vordergrund

Zumindest der Berichterstatter war gespannt auf den Auftritt von Masaa, der übergangslos nach vier vorgetragenen Songs von Yael Deckelbaum stattfand. Aufgemacht wurde von Rabih Lahoud, mit 19 Jahren zum Studium aus dem von Bürgerkrieg gezeichneten Libanon nach Deutschland gekommen, mit einem französischen Chanson „Quand le soleil“. Vokales traf auf Blechgebläse, auf samtene Klangformen, die den stimmlichen Modulationen nacheiferten, sie kommentierte, ergänzte, stets auf den Austausch bedacht.


Auch auf Duos kam es an

Das war überhaupt während des gesamten Vortrags von Masaa das Leitmotiv: das Herunterbrechen des Quartetts in Duos, denn auch Schlagzeuger und Pianist, Pianist und Sänger sowie Flügelhornist und Schlagzeuger ließen sich auf Duette, auf Zwiegespräche, ein. Das bedeutet nun nicht, dass derweil die anderen Musiker schweigend danebenstanden. Nein, der Schlagzeuger Demian Kappenstein kommentierte verhalten das eine oder andere „Gespräch“ mit Tickticktick und Dumdumdum, ließ das Hi-Hat schwingen und schwirren, brachte das Fell der Toms zum Klingen.


Blicke und Körperhaltungen unterstützten beim Vortrag das Dialogische. Stets waren die Musiker einander zugewandt, ob nun Rabih Kopf- oder Bruststimme bediente. Der Pianist Clemens Pötzsch zeigte sich in seinem Tastenspiel stark rhythmisierend und ließ die Töne wie eine Fontäne sprudeln. Ein wenig zu mächtig agierte dabei manchmal der Schlagzeuger, der sich noch mehr auf ein Besenspiel und Fellgewische hätte beschränken sollen.


Sawa und ...

 

Dass Rabih in Französisch sang, war kein Zufall, ist doch diese Sprache seine zweite Muttersprache, wie er in einem Zwischentext verriet. Arabisch singe er natürlich auch. Dabei ginge es weniger um den Wort- und Satzsinn, sondern um die Klangfärbung. Das könne jeder verstehen, wenn er den Wortfetzen, die Rabih auch einsetzt, lausche. Dies konnte man nachfolgend anhand der Komposition „Sawa“, was gemeinsam bedeutet, nachvollziehen. Dabei schien sich das Flügelhorn in ein arabisches Atemrohr zu verwandeln. Besen traf auf Besen, und Rabih unterstrich, welch vortreffliche Kopfstimme er besitzt, um auch in den höheren Lagen voll und treffsicher singen zu können. Marcus Rust interpretierte diese stimmlichen Ausflüge mit seinem Blechbläser, der bisweilen wie eine Trompete und weniger wie ein Flügelhorn daherkam. Es schienen Geschichten aus dem „Blasrohr“ zu entstehen. Mit einem gewissen Wispern wurde über Neuigkeiten berichtet, durchaus auch mit Anmutungen von Free Jazz. Das galt auch für Clemens Pötzsch, der dabei das von Rabih angesungene Thema hier und da durchscheinen ließ.


Lautmalerei oder Inhalt?

Wie sich Sprache in Lautmalerisches verwandelte, unterstrich die Band in „Miah“. Da hörte man so Passagen wie „Sarahasarahahaha“ oder Ähnliches. Das mag im Kern Arabisch sein, aber der Bedeutungsinhalt wurde dem Klanginhalt wohl untergeordnet. Es gab Formen von Vor- und Nachgesang zu erleben, wenn die Stimme Rabih Lahoud auf das Flügelhorn stieß. Schließlich meinte man gar im stimmlichen Vortrag sakrale Musik wahrnehmen zu können, wenn formelhaft „Miah, Miah, Miah“ angestimmt wurde.


So singt ein Mann nicht

 

Hingewiesen werden sollte auf Rabih Lahouds Zwischenansage, in der er seine Erfahrungen einer Libanontournee schilderte und  damit, dass ein Mann eigentlich nicht wie er singe, vielleicht auch gar nicht singen solle. Verwirrend für viele sei sein Gesang schon. Doch die emotionale Tiefe seines Gesangs habe dann auch die Skeptiker im Libanon überzeugt und am Ende zu Tränen gerührt. Er zeige eben Authentizität wie auch alle anderen Musiker, die das auf die Bühne brächten, was sie können.


Poesie trifft Philosophie

Welch ein Poet Lahoud ist, unterstrich er mit seiner Rezitation von „Longing“, einem Text, den er zunächst in Deutsch vortrug und dann in Arabisch sang.  „Dich suche ich und finde nichts außer mein suchendes Selbst. / Dieses Selbst, das nach den Rosen und Küssen von gestern verlangt. / Du bist ich, aber wer bin ich? ...“ Das hat auch philosophische Tiefe und ist nicht etwa blumiges Geschwafel.

Der letzte Teil des Konzerts war dann dem gemeinsamen Auftritt mit Yael Deckelbaum vorbehalten. In diesem standen Songs wie „Everything I Know Is Gone“ und „Mira“ im Mittelpunkt. Als Zugabe wurde außerdem noch „Yael“ präsentiert.


Fazit

Es war ein Abend mit „Stolpersteinen“, weniger bezogen auf Masaa als auf Yael Deckelbaum, die sich zu wenig aus ihrem festgeschriebenen Schema bewegte, zu sehr auf Folkigem und Popigem beharrte und nicht fähig war, auf die musikalischen Wendungen und Drehungen der Band einzusteigen und sich auch von deren feingesponnenen Improvisationen animieren und treiben zu lassen. Leider!


Text und Photos (♦): © ferdinand dupuis-panther / Text and photos are not public commons / Respect the copyrights


Informationen

http://www.masaa-music.de/de/home.html

Photos (♦): I had taken photos during the sound check after I had asked if this would be acceptable for Masaa. One band member wrote an email as response and gave me the okay. During the sound check I took  photographs without any intervention by the band members. After the sound check nobody demanded that the photos taken should not be used for a review but after the concert review was published the drummer of Masaa Mr. Demian Kappenstein wrote an email and asked on behalf of Masaa and the management of Yael Deckelbaum that the photos should be removed from the article. Instead to start a legal battle our plain answer are the inserts you see i. e. black boxes instead of photos.

Bevor ich während der Soundchecks fotografiert habe, habe ich bei Masaa angefragt, ob das in Ordnung gehe. Das wurde durch ein Bandmitglied per Email mit einem Okay bestätigt. Keiner der Musiker hat sich, während ich Aufnahmen machte, dagegen verwahrt. Auch beim Interview mit Rabih Lahoud und Marcus Rust wurde nicht darauf bestanden, dass die entstandenen Fotos nicht für einen Artikel verwendet werden dürfen. Im Nachgang wurde nun ein Mail von Herrn Demian Kappenstein übermittelt, der auf das Löschen der Fotos bestand und davon sprach, dass nur von Masaa authorisierte Fotos verwendet werden dürfen. Auf ein solches Ansinnen und Verfahren ist unsere Antwort schlicht: schwarze Fotoflächen.


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